Agnes II

Auf Besuchstour mit Schwester Bärbel

Von der Dokumentation der Besuche im Pflegeheim bis zum angeforderten Hausbesuch: agnes zwei leistet in Brandenburg vieles, was den Arzt entlastet. Die "Ärzte Zeitung" hat eine der Schwestern begleitet.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Blutdruckmessen bei der 85-jährigen Patienten - das ist Routine für Schwester Bärbel, die insgesamt 100 Patienten betreut.

Blutdruckmessen bei der 85-jährigen Patienten - das ist Routine für Schwester Bärbel, die insgesamt 100 Patienten betreut.

© Mißlbeck

POTSDAMBRIESEN. In der Hausarztpraxis in Briesen telefoniert Schwester Bärbel mit dem Pflegeheim im elf Kilometer entfernten Pilgram. Es ist Freitagmorgen. Eine Bewohnerin muss ins Krankenhaus.

"Und geben Sie ihr bitte alle Bilder mit", sagt sie der Pflegerin im Heim, bevor sie auflegt.

Dann organisiert sie einen Krankentransport und kündigt im Krankenhaus an, dass die Patientin gegen Mittag kommt. Die Krankenhauseinweisung bringt sie wenig später selbst ins elf Kilometer entfernte Heim.

Bärbel Ulrich ist die agnes zwei in der Praxis des Hausarztinternisten Dr. Jürn von Stünzner in Briesen. Zusammen mit einem angestellten Allgemeinmediziner betreut der 41-jährige Arzt rund 2200 meist alte, multimorbide oder chronisch kranke Patienten.

Insgesamt sieben Helferinnen auf sechs Vollzeitstellen kümmern sich um die Organisation.

Neue Versorgungsform wird gesondert honoriert

Schwester Bärbel übernimmt seit April im Rahmen des Strukturvertrags zwischen KV Brandenburg (KVBB), AOK Nordost und BARMER GEK Berlin-Brandenburg indikationsbezogenes Fallmanagement, Schnittstellen- und Überleitungsmanagement und nicht zuletzt auch Hausbesuche bei vielen Patienten. "Eigentlich haben wir immer schon mehr gemacht als Blutdruckmessen", sagt sie.

Ziel des Projekts agnes zwei in Brandenburg ist, aus der "Schwester Agnes" für Routine-Hausbesuche in unterversorgten Gebieten eine Fallmanagerin für fast alle Fälle zu machen, die den Arzt allerorts entlasten kann.

In Briesen scheint das gelungen zu sein. "Das ist wirklich eine Entlastung", sagt von Stünzner.

agnes zwei: Auch ohne Unterversorgung aktiv

Am Projekt agnes in Brandenburg wirken bislang 30 fortgebildete Medizinische Fachangestellte (MFA) mit. Bis zum Jahresende sollen es rund 100 MFA und Schwestern sein. Ihre Einsätze werden in Brandenburg im Rahmen eines Strukturvertrages zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung, der AOK Nordost und der BARMER GEK nach Paragraf 73a SGB V extrabudgetär abgerechnet. Pro betreutem Patient und Monat gibt es 40 Euro.

Das Einsatzspektrum der agnes zwei ist deutlich weiter gefasst als das ihrer Verwandten Agnes, Mopra oder VERAH. So kann eine agnes zwei auch bei einem Facharzt oder einem Ärztenetz angesiedelt sein. Zudem ist sie nicht auf unterversorgte Regionen beschränkt. Von den 30 agnes zwei in Brandenburg sind 17 für Hausarztpraxen, vier für Facharztpraxen, sechs in MVZ, eine für eine Kinderarztpraxis, eine für ein Ärztehaus und eine im Ärztenetz tätig.

Er schickt seine agnes zwei auch schon mal bei Patienten vorbei, die über Erkältungssymptome klagen, wie die 87-jährige Frau Püttke (Name von der Redaktion geändert) in Jacobsdorf.

Zwei Tage pro Woche ist Schwester Bärbel auf Achse

Bei ihr fragt Schwester Bärbel viele Daten ab: Gewicht, Stuhl, Auswurf. Sie misst Fieber und den Blutdruck. Der ist niedrig. Dann ruft sie ihren Chef an. Auf seine Anweisung hin nimmt sie Blut ab.

Die Laborwerte liegen am Nachmittag vor, so kann der Arzt noch vor dem Wochenende reagieren. Die Dosis der Antikoagulantien wird gesenkt. Den Pflegedienst informiert Schwester Bärbel von der Praxis aus über die geänderte Medikation.

Zwei Tage pro Woche ist die Schwester auf Achse. Der Rest der Zeit vergeht mit Anrufen und Anträgen oder Dokumentation.

Hausarzt von Stünzner hat Bärbel Ulrich zunächst zur VERAH (Versorgungsassistentin für Hausarztpraxen) fortbilden lassen. "Dass es sinnvoll ist, war uns schnell klar, aber die Umsetzung war holprig", sagt er.

Weil Briesen nicht in einem unterversorgten Gebiet liegt, waren die Einsätze von Schwester Bärbel als VERAH nicht abrechnungsfähig. Im Rahmen der Schulung zur agnes zwei wurde sie zur Fallmanagerin weitergebildet und dies wird nun gesondert honoriert.

Pro betreuten Patient und Monat gibt es 40 Euro. Voraussetzung ist, dass der Arzt die Patienten einschreibt. In Briesen sind derzeit rund 70 AOK-Patienten eingeschrieben.

Auch ein Doku-Bogen muss ausgefüllt werden. Mit fünf Seiten Umfang ist er nach Auffassung von Bärbel Ulrich noch überarbeitungsbedürftig.

Viele der Patienten sind pflegebedürftig

Daran feilen auch die 30 agnes-zwei-Kräfte, die derzeit schon in Brandenburg tätig sind, bei ihren regelmäßigen Treffen zum Erfahrungsaustausch.

Bärbel Ulrich ist mit der ausgeweiteten Helferinnen-Tätigkeit zu ihren beruflichen Wurzeln zurückgekehrt. Als Gemeindeschwester hat die gelernte Krankenschwester vor 36 Jahren am Landambulatorium in Briesen begonnen.

Bis heute arbeitet sie mit wechselnden Ärzten im gleichen Gebäude. Das denkmalgeschützte "Ärztehaus an der Eiche" beherbergt heute neben der Hausarztpraxis, einen Psychotherapeuten, einen Zahnarzt und die Sozialstation des Pflegedienstes.

Besonders mit der Sozialstation hat Schwester Bärbel viel zu tun. Anfangs musste Bärbel Ulrich dort Vorurteile aus dem Weg räumen, weil die Pflegedienstmitarbeiterinnen Konkurrenz fürchteten.

Doch nun klappen Informationsaustausch und Zusammenarbeit mit dem Pflegedienst vor Ort ebenso gut wie mit dem Pflegeheim im Nachbarort. Das ist vor allem dann hilfreich, wenn ein Patient aus dem Krankenhaus oder der Rehaklinik wieder nach Hause geht.

Viele der Patienten, die Bärbel Ulrich besucht, sind pflegebedürftig. Darauf wurde sie in der agnes-zwei-Fortbildung eigens vorbereitet.

Auf Besuch fällt eher auf, wo Patienten Hilfe benötigen

Was die Patienten außer medizinischer und pflegerischer Hilfe brauchen, erfährt Schwester Bärbel am besten bei ihren Hausbesuchen. Ein Beispiel: Eine krebskranke Patientin mit starken Kontrakturen liegt mit temporärer Beinschiene zu Hause in einem Klappbett.

Ein Toilettenstuhl und ein Rollstuhl stehen im Zimmer, Inkontinenzeinlagen stapeln sich an der Wand. Es riecht nach Urin. Die Patientin hat Pflegestufe 1, ihre Schwägerin bringt das Mittagessen und macht das Nötigste.

Schwester Bärbel hat nun eine höhere Pflegestufe beantragt, und zwar mit Dringlichkeit. Außerdem soll das Bad umgebaut werden, damit die Patientin wieder selbstständig duschen kann.

"Manchmal muss man kolossale Probleme lösen", sagt Bärbel Ulrich. Dazu gehört - auf einer anderen Ebene - auch ein Hausbesuch, den sie ans Ende ihres Arbeitstages gelegt hat.

Denn dort steht Trauerarbeit an. Der Sohn einer pflegebedürftigen alten Dame, die gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hat eine Krebsdiagnose mit schlechter Prognose erhalten.

Es gibt Tränen. Für Bärbel Ulrich ist das Gespräch mit den Patienten essenzieller als der Laptop, den sie neben Verbandszeug, Spritzen, Desinfektionsmittel und weiterem Sprechstundenbedarf auf ihren Fahrten mit dem Praxis-Kleinwagen mit sich führt.

Rund 100 Patienten besucht die Schwester insgesamt, darunter auch Pflegeheimbewohner und schwer kranke Palliativpatienten. Die meisten Patienten sind jedoch ähnliche Fälle wie die 85-jährige Edeltraut Brandt (Name geändert) im rund elf Kilometer entfernten Pilgram.

Frau Brandt ist seit langem insulinpflichtige Diabetikerin. Früher musste sie oft ins Krankenhaus, weil der Zucker "entgleist" ist. Das ist vorbei, seit Schwester Bärbel die Patientin regelmäßig besucht.

Darüber freut sich auch Herr Brandt, der seine Frau pflegt und den Haushalt organisiert. Schwester Bärbel misst Blutdruck, erfragt den Blutzuckerwert vom Morgen. Im Wohnzimmer des Ehepaars vergleicht sie am Laptop die neuen mit den alten Daten.

So wird der Hausbesuch des Hausarztes eine Woche später vorbereitet. Dann bekommt die Patientin noch eine Vitamin-B12-Spritze, und das ärztliche Attest für das Behinderten-Autoschild der Tochter wird besprochen. Das war's. Ein Routine-Hausbesuch. Der Klassiker für nichtärztliche Hausbesuchskräfte, egal ob sie Agnes, Verah, Mopra oder agnes zwei heißen.

Evaluation: MFA mit Zusatzqualifikation entlasten den Arzt

Entlasten Medizinische Fachangestellte (MFA), die sich als Agnes zwei, VERAH oder Co ausbilden lassen und Hausbesuche und andere Aufgaben in der Patientenversorgung übernehmen, tatsächlich den Arzt? Ja, lautet die Antwort einer Evaluation des VERAH-Einsatzes innerhalb des AOK-Hausarztvertrages in Baden-Württemberg.

Hierzu hat Professor Ferdinand Gerlach, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin an der Goethe-Uni in Frankfurt am Main, gemeinsam mit Kollegen VERAH und Ärzte aus Praxen, die an dem Vertrag teilnehmen, befragt. 294 Praxen beteiligten sich an der Umfrage.

Dabei zeigte sich, dass VERAH spezifische Tätigkeiten häufiger als nicht fortgebildete MFA übernehmen. So gingen 41 Prozent der VERAH mindestens einmal pro Woche auf Hausbesuch, bei den MFA waren es nur neun Prozent. Über die Hälfte der VERAH kümmert sich zudem ums Medikamenten-Management, unter den nicht fortgebildeten MFA sind dies 31 Prozent.

Und: 59 Prozent der VERAH übernehmen auch das Impfmanagement (42 Prozent bei den MFA). Interessant ist aber vor allem die Sicht der Ärzte auf die Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis: 58 Prozent geben an, dass die VERAH sie zeitlich entlaste (73 Prozent der VERAH sehen das ebenfalls so). 70 Prozent der Ärzte sagen zudem, dass sich die Patientenversorgung verbessert hat.

Landarzt gesucht

Nicht nur in Sachen Unterstützung für Ärzte versucht die AOK, Versorgungslücken zu schließen. Auch mit der Aktion "Landarzt gesucht" - einer gemeinsamen Initiative von AOK-Bundesverband und "Ärzte Zeitung" - will sich die AOK für eine gute Versorgung in ländlichen Regionen stark machen. Gesucht wird ein Hausarzt für Woldegk.

Mehr zur Aktion unter: www.aok-bv.de oder www.aerztezeitung.de

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