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Tele-Coaching unterstützt Diabetiker

Für Diabetes-Patienten ist die Lebensstilveränderung ein entscheidender Baustein der Therapie. In einem Projekt des Innovationsfonds in NRW wird nun wissenschaftlich evaluiert, inwieweit telemedizinisches Coaching die Patienten dabei unterstützen kann.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Ohne Hintergrundwissen geht es nicht: Die Gesundheitscoaches, die mit den Diabetespatienten Ziele für eine Lebensstiländerung erarbeiten, sind fachkundige Diätassistentinnen und Ernährungs- sowie Diabetesberaterinnen.

Ohne Hintergrundwissen geht es nicht: Die Gesundheitscoaches, die mit den Diabetespatienten Ziele für eine Lebensstiländerung erarbeiten, sind fachkundige Diätassistentinnen und Ernährungs- sowie Diabetesberaterinnen.

© Willi Nothers / DITG

DÜSSELDORF. Die Zahlen sind erschütternd: Über sechs Millionen Deutsche sind von Diabetes betroffen, davon leiden 95 Prozent an einem Typ-2-Diabetes. Jedes Jahr würden nach einer Analyse des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) etwa 500.000 GKV-Patienten die Diagnose Diabetes Typ-2 neu erhalten.

Daten, die die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Diabetes Hilfe in ihrem "Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2018" zusammengetragen haben. Dabei sei der Anstieg der Diabetesprävalenz in den letzten Jahren gerade auch durch Personen mit hohem Body-Mass-Index (= 30 kg/m2) und geringer körperlicher Bewegung bedingt gewesen.

Das Ziel: Lebensqualität erhalten

Genau hier setzt TeLiPro – das Telemedizinische Lebensstil-Interventions-Programm für Typ-2-Diabetiker an. Es soll übergewichtige Diabetespatienten durch eine individuelle telemedizinische Betreuung hin zu einem gesünderen Lebensstil führen und gleichzeitig die Adhärenz stärken. Ziel ist es, den Gesundheitszustand und die Lebensqualität der Programmteilnehmer langfristig zu verbessern, mindestens aber zu erhalten und damit Risikofaktoren für Begleit- und Folgeerkrankungen zu minimieren.

In dem Projekt, das mit rund 1,8 Millionen Euro über den Innovationsfonds gefördert wird und über drei Jahre läuft, kooperieren die AOK Rheinland/Hamburg als Konsortialführerin, das Deutsche Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung (DITG), das Private Institut für angewandte Versorgungsforschung GmbH, das Deutsche Diabetes Zentrum sowie die KV Nordrhein.

2000 Patienten sollen laut der AOK Rheinland/Hamburg mitmachen. Diese werden vorrangig von der Krankenkasse angeschrieben. Auch Hausärzte und Diabetologen sollen bei der Rekrutierung einbezogen werden. Starten soll das Projekt im Mai. Es wird eine einfach-blind randomisierte kontrollierte Studie durchgeführt.

Dabei wird die Interventionsgruppe mit telemedizinischen Geräten (Waage, Schrittzähler und Blutzuckermessgerät) ausgestattet. Zusätzlich erhalten die Teilnehmer einen Zugang zum DITG-Online-Portal, über das sie in einer Patientenakte ihre eigenen Daten verfolgen können, und ein telefonisches Coaching. Die Kontrollgruppe soll hingegen nur eine Waage, einen Schrittzähler und den Zugang zum Online-Portal erhalten.

AOK will DMP auf neue Füße stellen

Für die AOK ist das Projekt ein wichtiger Baustein grundsätzlicher Überlegungen: Die Gesundheitskasse ist gerade dabei, das Disease Management Programm (DMP) Diabetes auf neue Füße zu stellen. "Wir wollen die Disease Management Programme patientenorientiert und zielgruppenspezifisch weiterentwickeln. Innovationsprojekte wie TeLiPro sind eine Blaupause dafür", sagt der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/ Hamburg, Günter Wältermann.

Dass die DMP hier bereits viel geleistet haben, unterstreicht auch Dr. Carsten König, stellv. Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein. "Diabetes als chronische Erkrankung kann nur strukturiert erfolgreich behandelt werden. Die Disease Management Programme waren insofern ein Meilenstein."

Die langjährige Erfahrung mit den DMP zeige aber auch, dass Schulungsangebote und ärztlicher Rat im Sprechzimmer nur bei einem Teil der Patienten eine nachhaltige Lebensstiländerung bewirken. König: "Der telemedizinische Ansatz von TeLiPro eröffnet die Chance, auch jene Diabetiker zu erreichen, die einer besonders intensiven Betreuung und Begleitung bedürfen." Er sieht TeLiPro daher nicht als Konkurrenz zur ärztlichen Therapie, sondern als "eine wertvolle Unterstützung der täglichen Arbeit" der Ärzte.

Hilfe zur Selbsthilfe

"Unser Projekt unterstützt und ermutigt Patientinnen und Patienten dabei, den Krankheitsverlauf selbst positiv zu beeinflussen", sagt denn auch Wältermann. "Im persönlichen Kontakt kann der Coach auf die individuelle Lebenssituation der Teilnehmer eingehen, sie individuell begleiten und motivieren."

Ein Unterstützungsangebot, das gerne angenommen wird, wie Gesundheitscoach Ursula Brix aus anderen Projekten des DITG weiß. Ganz einfach, weil sich viele mit der Aufforderung, "Sie müssen abnehmen" oder "sich mehr bewegen" im Alltag alleine gelassen fühlen.

Die Rückmeldung: "Sie haben mir geholfen, erst einmal zu erkennen, was ich wirklich will", bekommt die staatlich examinierte Krankenschwester mit Fachweiterbildung zur Diabetesberaterin DDG häufiger.

Das Coaching setzt an zwei Stellen an: "Wir erarbeiten ein großes Ziel, das beschreibt, was der Teilnehmer bis zum Programmende erreichen will", erläutert Brix. "Wobei wir immer schauen, ob das Ziel auch umsetzbar ist." Hierbei würden nicht nur die gesundheitlichen Ressourcen mit einbezogen. Jedes Ziel müsse auch alltagstauglich sein.

Gerade bei letzterem Punkt hilft der zweite Baustein des Coachings: Von Gespräch zu Gespräch werden kleine Ziele vereinbart, berichtet Brix. "Das fängt bei der Bewegung an." Hier helfe etwa der mitgelieferte Schrittzähler. Stehe der Patient zu Anfang des Programms bei 1000 Schritten täglich, werde gemeinsam überlegt, wie er kurzfristig auf 2000 Schritte komme. "Durch ganz praktische Überlegungen: Etwa einmal mehr aufzustehen und zum Kopierer zu laufen; vielleicht doch mal die Treppe anstatt des Aufzuges zu nehmen."

Werte als Erfolgsbestätigung

Ganz wichtig beim Erarbeiten der Ziele – ganz gleich ob großes oder kurzfristiges, kleines Ziel – sei, dass der Teilnehmer erkenne, dass die Zielerreichung ihm persönlich Vorteile bringe. Denn Hauptaufgabe der Coaches ist die Motivation. "Alles was den Teilnehmern von außen aufgestülpt wird, führt in der Regel immer nur zu kurzfristigen Veränderungen", so Brix. Für den einzelnen Teilnehmer können solche Vorteile durchaus in weichen Faktoren bestehen, etwa dass er wieder beweglicher wird oder mehr am sozialen Leben teilhaben kann.

Trotzdem sei das Erfassen der Werte – also Gewicht, gegangene Schritte und Blutzuckerwerte – wichtig, sagt Brix. "Man kann sich orientieren: Wo stehe ich?" Und Erfolge würden visualisiert. Mithilfe der Blutzuckerwerte würden die Teilnehmer zudem lernen, die Auswirkungen von Mahlzeiten besser einzuschätzen. "Da kommen ganz oft wichtige Aha-Erlebnisse", erläutert Brix.

Über die Patientenakte auf dem Online-Portal des DITG haben die Teilnehmer aber auch der Gesundheitscoach Zugriff auf die übertragenen Daten. Zudem werden die Coaching-Berichte in die Akte eingestellt. Allerdings werden alle Daten anonymisiert gespeichert. Der Teilnehmer loggt sich mit seinem Benutzernamen, jedoch nie mit seinem tatsächlichen Namen ein. Und er werde auf dem Portal auch nie mit seinem realen Namen, sondern nur als "Teilnehmer" angesprochen, berichtet Brix. Das soll den Datenschutz erhöhen.

Auch die behandelnden Hausärzte und Diabetologen erhalten im Projekt TeLiPro Zugriff auf die gemessenen Daten – sofern der Patient dies erlaubt. Zusätzlich werden die Ärzte über einen Fragebogen, den sie vom DITG (ebenfalls mit Erlaubnis des Teilnehmers) erhalten, gebeten, aktuelle Labor- und Medikationsdaten, Hinweise zum Gesundheitszustand oder etwa bereits vorhandene Therapieziele mitzuteilen. Außerdem durchläuft jeder Teilnehmer zu Beginn des Coachings ein Erstanamnesegespräch. Dennoch: Es gehe nicht darum, ärztliche Therapie zu ersetzen, sondern zu unterstützen, stellt Brix klar.

Im gesamten Programmverlauf, der sich pro Teilnehmer über ein Jahr erstreckt, finden rund 14 bis 18 Coachinggespräche statt. In der ersten, sogenannten Intensivphase seien dies wöchentliche bis zweiwöchentliche Gespräche, erklärt Brix. Ungefähr ab der zweiten Hälfte des Coachings könnte der Rhythmus dann auf alle zwei bis drei Monate reduziert werden. Auch die Gesprächsdauer nehme im Zeitverlauf ab: Die Anfangsgespräche dauerten durchaus 30 bis 40 Minuten.

Brix: "Später dauern die Gespräche dann zehn bis 15 Minuten. Wenn die Teilnehmer einen Motivationseinbruch haben, kann es aber sein, dass ein Gespräch wieder etwas mehr Zeit beansprucht." Gerade bei der Frage der Gewichtsreduktion müsse man den Teilnehmern hin und wieder auch vor Augen halten, dass nicht nur eine stetige Reduktion, sondern auch das langfristige Halten des Gewichts, wenn man etwa schon vier Kilogramm abgenommen habe, durchaus ein Erfolgserlebnis sei.

Das Spannende an dem Projekt ist aber gerade auch die Evaluation: "Diabetes erfordert in hohem Maße lebensstilbezogene Maßnahmen wie mehr Bewegung im Alltag und ggf. eine Umstellung der Ernährung", sagt Professor Michael Roden, Vorstand des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ). Dafür benötigten die Betroffenen Unterstützung. Roden: "Telemedizinische Techniken, aber auch Coachings sind vielversprechende Ansätze.

Es fehlen jedoch gute Evaluationsstudien. Daher wird die Wirksamkeit der Ansätze in diesem Projekt entsprechend den Standards der evidenzbasierten Medizin geprüft." Wichtig sei zudem laut Roden, im Sinne der patientenzentrierten Versorgung Patientenpräferenzen zu berücksichtigen. Diese werden im Rahmen der Studie durch das DDZ erhoben, was eine weitere Besonderheit des Projekts darstellt.

Komorbidität bei Diabetes

- Typ-2-Diabetiker weisen eine höhere Prävalenz für bestimmte andere Erkrankungen auf. Dies belegen auch Daten der AOK Rheinland/Hamburg.

- Von Herzinsuffizienz waren 2016 etwa 31,5 Prozent der bei der Kasse Versicherten betroffen, die an Diabetes mellitus erkrankt sind. Bei der Vergleichsgruppe ohne Diabetes waren es nur 17,6 Prozent.

- Nierenleiden traten bei 19,1 Prozent der Versicherten mit Diabetes zusätzlich auf, bei der Vergleichsgruppe ohne Diabetes-Erkrankung waren 10,7 Prozent betroffen.

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