Digitalisierung live
Ein neues Gesetz und 1200 Seiten Regeln
Der E-Health-Zug rollt. Bei einer vom AOK-Bundesverband ausgerichteten Diskussion wurden Zweifel laut, ob der Regierungsfahrplan dafür noch im Takt ist.
Veröffentlicht:BERLIN. Eine Neuigkeit hatte der parlamentarische Staatssekretär im Gesundheitsministerium Dr. Thomas Gebhart zur Diskussionsrunde über die Digitalisierung im Gesundheitswesen am Mittwochabend in Berlin mitgebracht: Noch im ersten Halbjahr 2019 werde das Ministerium ein „Digitalisierungsgesetz“ vorlegen. „Wir geben im Moment richtig Gas, um voran zu kommen“, sagte Gebhart.
Regierung punktet nicht
Richtig punkten konnte er damit bei seinen Gesprächspartnern nicht. Die fragten vielmehr eine konsistente Digitalisierungsstrategie nach. Anbieten kann das Ministerium im Moment aber nicht mehr als den bekannten Fahrplan: die Spezifikation einer Architektur für die elektronische Patientenakte bis Ende des Jahres, die Akte selbst bis 2021 und damit verbundene Anwendungen wie E-Rezept und E-Medikationsplan. Auch Künstliche Intelligenz zur Nutzung für Diagnose und Therapie stehe auf der Agenda.
Dieser Zeitplan und die gesetzlichen Grundlagen, auf denen er basiert (Paragraf 291a SGB V) , werden längst als Korsett empfunden, der der Entwicklung die Luft nimmt. „Wir wissen alle, was wir tun müssten“, sagte der Vorstandsvorsitzende des AOK Bundesverbandes Martin Litsch. Der Paragraf 291a sei dagegen „kompliziert, langsam und teuer“.
Die von der gematik für Dezember eingeforderte Spezifikation für die elektronische Patientenakte werde 1200 Seiten schwer und atme den Geist der alten Schule: „Räume eng machen, Anwendungen begrenzen, nur ja nicht zuviel zulassen“, warnte Litsch.
Stattdessen müssten aber bereits aktuell Fortschritte jenseits des aktuellen gesetzlichen Digitalisierungsfahrplans angegangen werden. Er setze dabei auf die Ungeduld der Patienten. „Mein Wunsch ist, dass die Patienten entscheiden, welche Anwendungen sie wollen, nicht die gematik, nicht die AOK und nicht irgendein Arztnetz oder sonst wer“, sagte er. Der Staat solle sich auf seine Aufgabe konzentrieren, Regeln zu setzen.
Superbehörde „gematik“?
Die gematik, hinter der die Spitzenorganisationen des Gesundheitswesens stehen, ist im Gespräch als übergeordnete Regulierungsinstanz im Prozess der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Ob das Ministerium der gematik im angekündigten Digitalisierungsgesetz eine solche Rolle übertragen wird, wollte sich Thomas Gebhart nicht entlocken lassen. „Das Gesetz wird weitere Dinge festlegen, die weit über die im Dezember erwarteten Spezifikationen hinausgehen“, sagte der Staatssekretär.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Dirk Heidenblut sieht die gematik jedenfalls nicht in der zukunftsweisenden Rolle einer nationalen Koordinierungsagentur, wie sie Fachleute einfordern. Die gematik sei und bleibe eine Unterabteilung der Selbstverwaltung. Deshalb sei er gespannt, welche Möglichkeiten die elektronische Patientenakte 2021 tatsächlich habe.
Gleichwohl forderte Heidenblut andere Strukturen, um nicht auf immer auf der „291er-Schiene“ zu rollen. Er habe „Bauchgrummeln“, ob die gematik zum Beispiel die sich mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz ändernden Voraussetzungen in ihren Spezifikationen aufgreifen werde oder ihren Auftrag streng nach geltender Gesetzeslage abarbeite, sagte Heidenblut.
Opposition zeigt sich skeptisch
Die gematik bewege sich auf dem Boden geltender Gesetze, arbeite aber auch mit Vorgriff auf laufende Gesetzesvorhaben, meldete sich dazu KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel aus dem Publikum zu Wort.
In den Plänen der Regierung vermochte die Gesundheitspolitikerin der Grünen Maria Klein-Schmeink keine konsistente Strategie erkennen. Sie vermisse die Einbindung der künftigen Nutzer, der Patienten. „Das ist der grundlegende Strickfehler“, sagte Klein-Schmeink. Es sei kein probates Rezept, mit den Organisationen der Selbstverwaltung nur diejenigen in die Entwicklung der elektronischen Patientenakte einzubinden, die seit jeher gemeinsam am Tisch sitzen.
Mehr Tempo forderte die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus. Digitalisierung solle für die Versorgung etwas Positives darstellen. Dafür müsse nicht alles neu erfunden werden. Auch das Aufpfropfen auf bereits vorhandene internationale Standards könne dafür ein guter Weg sein.