Prinzipien, Finanzierung und Organisation des DDR-Gesundheitswesens

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Als Grundlage des Gesundheitswesens der DDR sehen die Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem, Doris Mill und Jürgen Wilhelm die "Staatlichkeit der Strukturen" sowie eine "starke Gewichtung der Prophylaxe" in der medizinischen Betreuung. Angelehnt war das System an das der UdSSR. Es nahm aber auch Anleihen bei der Gesundheitspolitik des Deutschen Reiches sowie bei der Tradition der Weimarer Sozialhygiene.

Daraus resultierte die Organisation: Für die stationäre Versorgung waren die staatlichen und wenige kirchliche Krankenhäuser zuständig, die ambulante Versorgung lag bei Polikliniken und Ambulanzen. Die Ärzte waren in Kliniken und Gesundheitseinrichtungen angestellt und wurden proportional auf die Einrichtungen verteilt. Die Polikliniken, in denen die fachärztliche Versorgung angesiedelt war, betreuten zugeteilte Bezirke. Zunächst sollten auch die Allgemeinmediziner diesen Bezirken zugeordnet werden -  das stieß aber auf Widerstand: Im September 1973 wurde das formelle Recht auf freie Arztwahl ausdrücklich bestätigt. In der Grundversorgung durch Allgemeinmediziner sollte der "Arzt des Vertrauens" konsultiert werden können.

Gerade auf dem Land waren die Allgemeinmediziner in Ambulanzen tätig. Zusätzlich gab es eine parallele Versorgungsstruktur durch Betriebsärzte, die nicht nur die Arbeiter, sondern auch deren Familien versorgten. Auch dort gab es Polikliniken und untergeordnete Ambulanzen. Diese Versorgungsstrukturen sollten gemeinsam mit der Dispensairebetreuung eine Einheit bilden.

Das Gesundheitswesen wurde als Teil des Gesundheitsschutzes angesehen und hatte als Institution die gesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung, für alle staatlichen, kommunalen und betrieblichen Einrichtungen die gesundheitliche Betreuung zu übernehmen. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung sollte von den Werten sozialer Gleichheit und sozialer Sicherheit bestimmt sein. Damit wollte man - der Theorie nach - gleiche Gesundheits- und Lebensbedingungen für alle schaffen.

Die Finanzierung des Gesundheitswesens stand auf drei Säulen: Ein Teil der Kosten wurden aus den Beiträgen der Sozialversicherung und staatlichen Versicherung bestritten. Der Sozialversicherung wurden Subventionen zugewiesen, die den zweiten Teil der Finanzierung darstellten. Der dritte Teil kam direkt aus dem Staatshaushalt. Damit wurden Gesundheitseinrichtungen und Personal finanziert.

Die Zuschüsse aus dem Staatshaushalt stiegen mit der Zeit deutlich, denn die Einnahmen aus den Beiträgen der Erwerbstätigen und der Betriebe für die Sozialversicherung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und der Staatlichen Versicherung der DDR konnten immer weniger die Gesundheitsausgaben decken. (bee)

Ambulante Versorgung: Polikliniken

Die Polikliniken hatten eine herausgehobene Stellung in der ambulanten Versorgung. Die Großstädte hatten in einzelnen Stadteilen eine Poliklinik, ebenso wie in den Zentren der Landkreise. In den Polikliniken waren in den 1970er Jahren mindestens fünf fachärztliche Abteilungen angesiedelt, sowie ein Zahnarzt und eine Apotheke. Die Bezirks- oder Kreispolikliniken waren eine "Leiteinrichtung" der ambulanten Versorgung. Ihr waren alle anderen fachmedizinischen Einrichtungen der Region unterstellt. Den Polikliniken war also ein fester Bereich zugeteilt, den sie betreuen sollten. Zunächst war angestrebt, dass die Fachärzte aus den

Polikliniken ihre Patienten auch am Krankenhausbett weiter betreuen.

Damit sollte ein rationeller Verlauf von Diagnostik und Behandlung sichergestellt werden. Somit war jeder Poliklinik auch ein Krankenhaus zugeordnet, das so die Funktion eines Gesundheitszentrums in einem fest umgrenzten Versorgungsbereich hatte. Dies war auf lange Sicht organisatorisch nicht möglich - die Kommunikation zwischen Krankenhausärzten und den Ärzten in der Poliklinik war fortan ein Thema. (bee)

Ambulanzen

Im Unterschied zu Polikliniken sollten Ambulanzen in den kleineren Gemeinden und Städten die medizinische Versorgung sicherstellen. In der Rangordnung waren sie den Polikliniken nachgestellt und gleichzeitig auch an eine Klinik angegliedert.

In einer Ambulanz arbeiteten mindestens ein Allgemeinmediziner und ein Arzt für Kinderheilkunde sowie ein Zahnarzt. Fachärzte aus der übergeordneten Poliklinik hielten hier regelmäßige Sprechstunden.

Je nach Wohndichte wurde der Versorgungsbereich der Ambulanzen durch staatliche Arzt- und Zahnarztpraxen untergliedert. Den Ambulanzen waren auch die Gemeindeschwestern zugeordnet. Ihre Stationen waren oft im gleichen Haus wie die Ambulanzen. Auch die Hebammen hatten hier ihren Sitz.

In ländlichen Gebieten unterhielten die Krankenhäuser auch direkt die Ambulanzen und setzten ihre Ärzte zur Versorgung ein.

Da sich der Mangel im Gesundheitswesen spätestens ab 1980 immer deutlicher abzeichnete, wurden ärztliche und zahnärztliche Arbeitsplätze in den Ambulatorien stärker konzentriert. (bee)

Betriebsgesundheitswesen

Neben der Versorgung in Polikliniken, Ambulanzen und staatlichen Arztpraxen gab es ein paralleles Betriebsgesundheitswesen. Zwischen 1971 bis 1989 waren Betriebsärzte für die vollständige medizinische Behandlung der jeweiligen Betriebsangehörigen und deren Familien zuständig. Im Unterschied zum Werksarzt in der Bundesrepublik hatte der Betriebsarzt weiter gefasste Aufgaben: Neben arbeitsmedizinischen Funktionen wie Unfallverhütung, Hygiene, Tauglichkeits- und Überwachungsuntersuchungen oblag ihm auch die Gesundheitsförderung sowie die Behandlung von Betriebsangehörigen und deren Familien. Dabei richtete sich die Zahl der Ärzte nach der Größe des Betriebs. So gab es nicht nur Betriebsambulatorien mit zwei, teilweise nebenamtlich tätigen Ärzten und einem Zahnarzt, sondern ab etwa 4000 Beschäftigten auch eine eigene Poliklinik. Die Ärzte gehörten zum staatlichen Gesundheitsdienst. Die Leitlinien gab das Zentralinstitut für Arbeitsmedizin in Ost-Berlin vor. Allerdings mussten aus ökonomischen Gründen ab Anfang der 1980er Jahre einige arbeitsmedizinische Bereiche zusammengefasst werden. (bee)

Epidemiologie

Die Prävalenz war bei Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck oder Diabetes in der DDR ähnlich hoch wie in den anderen Industrienationen. Hier konnten die Präventionsstrategien der Dispensairebetreuung keine Senkung der Neuerkrankungen erreichen. Die Programme reagierten oft nicht schnell genug auf die Veränderung in der Morbidität der Bevölkerung.

Mit den umfangreichen Impfprogrammen bei Kindern und Jugendlichen konnten übertragbare Krankheiten bekämpft werden. Besonders interessant ist die Zahl der HIV-Infizierten: Diese stieg international in den 1980er Jahren stark, während in der DDR bis 1986 lediglich ein Fall registriert wurde. Die Annahme "Die Mauer war das Kondom der DDR", scheint zu stimmen.

Als ein Problem stellten sich infektiöse Darm- und Atemwegserkrankungen heraus. Mangelnde Hygiene in der Gemeinschaftsverpflegung der Betriebe sowie die hohe Luftverschmutzung waren dafür Ursachen. Fehlende ausgewogene Ernährung und ein Mangel an Diagnosemöglichkeiten erschwerten Präventionsbemühungen. (bee)

Dispensairebetreuung: Versorgungskette von der Früherkennung bis zur Nachsorge

Eine ständige gesundheitliche Beobachtung der Bevölkerung wurde durch die so genannte Dispensairebetreuung sichergestellt. Der Begriff stammt aus dem Französischen und bezeichnet ursprünglich eine Abgabestelle für Medizin an Mittellose.

Diese Dispensaire-Struktur war Mitte der 1950er Jahre eingeführt und bis 1989 kontinuierlich ausgebaut worden. Verbindlich war diese Betreuung für Schwangere, Mütter und deren Kinder sowie Diabetiker und Krebskranke.

Auch andere Erkrankungen wie Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose und psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen waren meldepflichtig. Die Betroffenen wurden in speziellen Dispensairestellen betreut. Diese waren zunächst in Polikliniken angesiedelt.

Bei einigen Krankheitsbildern wurden die Krankenhäuser stärker einbezogen, so dass die Dispensairebetreuung immer mehr aus dem ambulanten Sektor verschwand.

Das Konzept sah die komplette Betreuungskette von Vorsorge, Früherkennung bis zur Nachsorge vor, differenziert nach Risikomerkmalen und Schweregrad der Erkrankung. Daher hatte die Dispensairebetreuung auch im betrieblichen Gesundheitswesen eine große Bedeutung. In den 1970er Jahren gab es fast 2000 Dispensairestellen mit hoher fachlicher Zersplitterung. Auch aus Kostengründen wurden sie wieder stärker zusammengeführt. So entstand ein allgemeinmedizinisches Grunddispensaire, bei dem unter anderem auch die Betreuung der "Gesamtfamilie" geschaffen wurde.

Allerdings war trotz der Straffung des Programms kein einheitliches Schema möglich -  viele Ärzte legten die Vorgaben nach ihren Therapiemöglichkeiten aus und kooperierten auch über Fachgrenzen hinweg.

Besonders ausgeprägt waren die pädiatrischen Dispensaires: Die Jugendgesundheitspflege begann bereits mit der medizinischen und sozialen Beratung für Mütter, die bis zum dritten Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden konnte. Für chronisch kranke Kinder wurde eine Gesundheitsfürsorge in den 1970er Jahren entwickelt. Daraus formten sich auch Sondersprechstunden, die je nach Region in den Kliniken oder den Polikliniken angeboten wurden. In die Dispensairebetreuung wurde teilweise auch die Frühförderung von Kindern einbezogen.

Doch auch bei der Dispensairebetreuung gab es Unterschiede: Lehrer, Journalisten und leitende Kader der Partei, bekamen eine eigene Dispensairebetreuung. (bee)

Starker Fokus auf Pädiatrieprogramme

Die Bemühungen um die Kinder und sozial Schwachen bezeichnen die Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem, Doris Mill und Jürgen Wilhelm in einer Abhandlung zum DDR-Gesundheitswesen als "besonders bemerkenswert". Der Kinderschutz begann bereits mit einer umfangreichen medizinischen und sozialen Schwangerenbetreuung.

Nach der Geburt gab es ein enges Netz an Mütterberatungsstellen in den Polikliniken oder Ambulanzen, die für die kontinuierliche Betreuung der Kinder bis zum dritten Lebensjahr zuständig waren. Dazu gehörten die ärztliche Untersuchung der Kinder, die Immunisierung sowie die Rachitis- und Fluorprophylaxe. Zwar gab es keine Impfpflicht, eine Ablehnung wurde aber protokolliert.

Mit den Beratungsstellen war eine fast lückenlose ärztliche Betreuung möglich. Mit den Entwicklungssprechstunden wurden auch chronisch kranke Kinder betreut. Pädiater übernahmen dort auch Sondersprechstunden, die die Polikliniken und Hochschulkliniken entlasten sollten. Das Ziel war, gerade sozial Schwachen bessere Chancen zu geben; allerdings war bis auf einige Inseln der Versorgung keine flächendeckende Betreuung von geschädigten Kindern möglich. (bee)

Gesundheitspolitik als Mittel der Diplomatie

Einer der wichtigsten außenpolitischen Erfolge war die Aufnahme der DDR als Vollmitglied in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1973. Kurze Zeit später waren einige Ärzte als Beamte am WHO-Hauptsitz in Genf sowie im europäischen WHO-Regionalbüro in Kopenhagen tätig. Insgesamt bekamen neun Institutionen in der DDR - so zum Beispiel das Zentralinstitut für Arbeitsmedizin in Berlin - die Funktion eines WHO-Kooperationszentrums.

Gleichzeitig wurde die Zusammenarbeit im Rahmen des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) verstärkt. Besonders mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei entstanden für medizintechnische Importe Beziehungen.

1976 trat ein Gesundheitsabkommen zwischen den beiden deutschen Staaten in Kraft, das eine engere Zusammenarbeit vorsah. Darin wurde auch eine kostenlose medizinische Betreuung für die aus dem jeweils anderen Teil Deutschlands eingereisten Bürger geregelt.

Trotz WHO-Mitgliedschaft blieben Wissenschaftler in der DDR isoliert und hatten nur eingeschränkten Zugang zu internationalen Informationen, Kongressen und Literatur. (bee)

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