IV-Vertrag zur Schizophrenie in der Kritik

Der IV-Vertrag zur Schizophrenie in Niedersachsen bleibt weiter in der Diskussion. Nun melden sich die Kliniken zu Wort: Sie fürchten, zu viele Patienten an das Projekt zu verlieren. Deswegen wollen sie mitmachen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Stationäre Psychiatrien: Das IV-Modell in Niedersachsen soll auch Kliniken einbeziehen.

Stationäre Psychiatrien: Das IV-Modell in Niedersachsen soll auch Kliniken einbeziehen.

© HR Schulz / imago

NEUSS/BREMEN. Die Integrierte Versorgung Schizophrenie in Niedersachsen von AOK und der Janssen-Cilag-Tochter I3G aus Neuss sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt.

Vertreter der psychiatrischen Kliniken im Land fürchten den Rückgang der Einweisungen und die Kooperation der beteiligten IV-Ärzte mit der Pharmabranche.

Auch die Ärztekammer Niedersachsen bemängelt fehlende Transparenz und die Pharmaindustrie als Geldquelle.

In einem Schreiben an die I3G vom März 2011 fordern die 31 Chefärzte und ärztliche Direktoren der niedersächsischen Psychiatrien von den Initiatoren des IV-Vertrages "den Einbezug in Konzepte und Maßnahmen unter Berücksichtigung bestehender Strukturen".

Kliniken wollen einbezogen werden

Gemeint sind die stationären Psychiatrien. "Eine integrierte Versorgung kann (jedoch) nur in enger Kooperation mit allen Anbietern der psychosozialen Versorgung erfolgversprechend sein", heißt es in dem Papier.

Die Kliniken fürchten, dass ihnen Patienten abhanden kommen. Tatsächlich ist dies auch das Ziel des Vertrages: 2008 hatte das Institut für Innovation und Integration im Gesundheitswesen (I3G GmbH) von der AOK den Zuschlag für das IV-Modell bekommen.

Schizophreniepatienten sollen danach von ambulanten Teams betreut werden, unter anderem, um teure Klinikeinweisungen zu verhindern.

Derzeit seien 320 Patienten eingeschrieben, hieß es bei I3G. Damit ist erstmals die Pharmabranche in einen IV-Vertrag einbezogen. Janssen-Cilag gehört dem US-Gesundheitskonzern Johnson&Johnson und stellt auch die Neuroleptika Invega®, Risperdal® und das Depot-Neuroleptikum Consta® her.

I3G hat zur Umsetzung des Vertrages die Firma Care for Schizophrenia (care4S GmbH) mit der Akquisition der Ärzte, der Organisation der Versorgungseinheiten und der Abrechnung beauftragt.

Geschäftsführer der Firma mit Sitz in Hemmoor bei Stade ist der Psychiater Dr. Matthias Walle. Care4S gehört der Züricher Firma Turgot Ventures.

AOK profitiert mehr als sie riskiert

Von der Konstruktion profitieren finanziell die AOK und I3G. Die rund 52 Millionen Euro pro Jahr für die Versorgung der Schizophrenie-Patienten in Niedersachsen werden bei der AOK quasi als virtuelles Budget geführt, so ein Insider.

Dagegen laufen die Kosten für die integrierte Versorgung. Das Geld, das der Vertrag erspart, teilen sich die I3G und die AOK. Damit hat die AOK das Risiko des Versorgungsmodells abgewälzt.

Aber: Die AOK werde auch über den Risikostrukturausgleich (RSA) viel Geld mit dem Vertrag verdienen, mutmaßt der Psychiater Volkmar Aderhold von der Uni Greifswald.

Er fürchtet, dass die teilnehmenden Ärzte die Patienten-Medikation so einstellen sollen, dass sie mindestens ein halbes Jahr lang die Tagesmittelwerte (DDD = daily defined dose) der Medikamente erhalten.

Denn erst dann bekomme die AOK einen Vergütungszuschlag von derzeit 5364,60 Euro pro Patient aus dem RSA überwiesen, so Aderhold. Er schätzt den jährlich möglichen Gewinn für die AOK auf zehn Millionen Euro.

Verhandlungen mit den Kliniken laufen

Tatsächlich sei eine neuroleptische Niedrigdosierung im Konzept nicht als Ziel enthalten, zitiert Aderhold den Psychiater Dr. Matthias Walle. Walle widersprach dieser Darstellung energisch.

"Die Vorwürfe sind fern aller Versorgungsrealität. Wir würden niemals die Behandlungsfreiheit des Arztes beschneiden wollen und bestimmte Medikamente oder bestimmte Mengen fordern", sagte er der "Ärzte Zeitung".

Weiter: "Und die Ärzte würden das zu Recht niemals akzeptieren." Unterdessen verhandeln I3G und eine Handvoll Krankenhäuser, wie sie an dem Vertrag teilhaben können.

"Wir diskutieren mit den Kliniken Kooperationsmöglichkeiten", so Marlis L. Richter, Vorsitzende der Geschäftsführung der I3G GmbH. Weche Kliniken beteiligt sind, wollte Walle noch nicht sagen.

Lesen Sie dazu auch das Interview: "Keine Indiviualdaten gehen an die Industrie"

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Vorverurteilung ist fehl am Platz

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