Strittiger Plan: Kassen sollen Klinikeinweiser werden

Steht die freie Klinik-Wahl vor dem Ende? Schwarz-Gelb will die Patientenströme in die Krankenhäuser neu steuern - und dafür die Krankenkassen mit mehr Macht ausstatten. Das Projekt ist umstritten, selbst in der Koalition.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
"Alle Macht den Kassen" - kritisiert die Deutsche Krankenhausgesellschaft die neuen Pläne.

"Alle Macht den Kassen" - kritisiert die Deutsche Krankenhausgesellschaft die neuen Pläne.

© Maurizio Gambarini dpa

BERLIN. Neuer Plan der Koalition: Ärzte sollen als Einweiser Konkurrenz von den Krankenkassen bekommen. Verzichten Patienten auf die freie Krankenhauswahl, sollen die Kassen ihnen die Zuzahlung erlassen.

Krankenkassen sollen Patienten in ihnen besonders geeignet scheinende Kliniken einsteuern können. Als Gegenleistung für die Aufgabe der Wahlfreiheit sollen die Patienten von Zuzahlungen bis zu 280 Euro befreit werden.

So hoch kann die Zuzahlung ausfallen, wenn der Patient das Klinikbett länger hüten muss und dann für die ersten 28 Tage je zehn Euro aus eigener Tasche berappen muss.

Das sieht ein Gesetzesantrag der Koalition vor, der der "Ärzte Zeitung" vorliegt. In der Begründung heben die Autoren deutlich auf die damit verbundene Steuerungswirkung ab.

Die Regelung stärke die Handlungsfreiheit der Krankenkassen. Es sei davon auszugehen, "dass Krankenkassen bei ihrer Entscheidung insbesondere qualitative Kriterien berücksichtigen werden", heißt es in dem Papier.

CSU: "Wir sind dagegen"

Genau das stößt einem der Koalitionspartner inzwischen wieder auf: Die CSU will die Pläne nicht mittragen.

Der Antrag sei noch nicht abgestimmt, sagte der CSU-Gesundheitspolitiker Max Straubinger der "Ärzte Zeitung". "Wir sind dagegen, weil das den Kassen eine zu starke Lenkungsmöglichkeit in die Hände geben würde," sagte Straubinger.

Hintergrund sind unter anderem Befürchtungen der bayrischen Staatsregierung um die wohnortnahe Versorgung und ihre Hoheit über die Krankenhausplanung.

Straubinger betonte, dass er sehr auf Qualität in der Krankenhausversorgung setze. Er billige den Krankenkassen allerdings nicht zu, die Qualität beurteilen zu können.

In der CDU-Fraktion gibt es inzwischen Überlegungen, mit der Gesetzesinitiative auf regionale Besonderheiten einzugehen.

"Das ist ein guter Vorschlag für mehr Qualität in der Versorgung und damit im Sinne der Patienten. Wir sollten das zumindest in Ballungsräumen möglich machen," sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, der „Ärzte Zeitung“.

Den Vertretern der Kassenseite ist das noch nicht genug. Sie streben selektivvertragliche Lösungen mit speziellen Qualitätsanforderungen an. Die Kassen finden die Initiative der Regierung daher gut, wollen allerdings noch mehr.

"Darüber hinaus wäre es notwendig, den Krankenkassen den Abschluss von Einzelverträgen mit einzelnen Krankenhäusern zu ermöglichen", sagte der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz, der "Ärzte Zeitung".

DKG sieht Kliniken in Existenzen gefährdet

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) reagierte empört. Die Regierung provoziere Krankenhäuser und Bundesländer.

Einzelne Kassen erhielten die Möglichkeit, die Krankenhausplanung der Länder zu unterlaufen, indem sie Krankenhäuser in ihrer Existenz gefährdeten, sagte DKG-Präsident Alfred Dänzer.

Die Einweisungen der niedergelassenen Ärzte würden durch solch eine Regelung entwertet. Zudem werde der Datenschutz ausgehebelt.

Patienten müssten vor Kassenmitarbeitern ihre Diagnose und die Behandlungsbedarfe darstellen, damit diese ein Krankenhaus auswählen könnten.

Das gesundheitspolitische Credo der Koalition laute: "Alle Macht den Kassen". Das sei mehr als bedenklich, sagte Dänzer.

Die Höhe der Zuzahlungen in den Krankenhäusern ist volatil. Im Jahr 2006 zahlten die Patienten 736 Millionen Euro, ein Jahr später 117 Millionen Euro weniger. 2009 waren es nur noch 596, 2010 aber schon wieder 681 Millionen Euro.

Der Vorstoß soll gemeinsam mit dem Psych-Entgeltgesetz beraten und beschlossen werden. Dieses Gesetz ist derzeit im parlamentarischen Verfahren. Mitte Juni befasst sich der Gesundheitsausschuss damit.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 03.06.201201:05 Uhr

@ Uwe Schneider

Werden GKV-Patienten von Zuzahlungen bis zu 280 Euro befreit, wenn sie bestimmte, ihrer Kasse "genehme" Krankenhäuser aufsuchen, kann man bei aller Liebe nicht mehr von "Klinikempfehlung durch die Kassen" sprechen. Und ich gehe davon aus, dass es den GKV-Kassen bei ihrer Einweisungssteuerung n i c h t um die Frage geht, ob ihre Versicherten eher Einzelzimmer und Krankenbett-TV in HD-Qualität in Anspruch nehmen können. Dann wäre jede Diskussion Zeitverschwendung.

Nein, es geht um die Frage, was passiert, wenn GKV-Kassen nur einen Hauch von medizinisch-therapeutischem Einfluss mit gezielten Krankenhauseinweisungen nehmen, o h n e Legitimations- und Qualifikationsnachweis. Kommt dadurch ein Versicherter ggf. zu Schaden, besteht unabhängig vom sonstigen Verlauf eine haftungsrechtliche Mitverantwortung der Krankenkasse.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Uwe Schneider 01.06.201219:48 Uhr

Keine Klinikeinweisung, aber Klinikempfehlung durch die Kassen

Nichts anderes sieht der Gesetzesvorschlag wohl auch vor. Die von der ÄZ gewählte Überschrift verkürzt das journalistisch nur etwas.

@ GKV-Spitzenverband: Der möchte lt. seinem Sprecher Lanz den Krankenkassen ermöglichen, mit Krankenhäusern Einzelverträge abzuschließen. Das geht im Rahmen der integrierten Versorgung nach §§ 140a ff. SGB V heute schon. Was genau möchte der Spitzenverband darüber hinaus noch?

@ Dr. Schätzler: Die Indikation für eine Einweisung stellt immer noch der Arzt. Dessen Empfehlung für ein Krankenhaus sollte für die Patienten natürlich auch weiterhin Gewicht haben, denn er kennt sich mit der Krankheit des Patienten und dem regionalen Krankenhausmarkt in der Regel am besten aus.

Dennoch kann eine zusätzliche Empfehlung durch die Krankenkasse Sinn machen. Natürlich nur, wenn der Patient ihr medizinische Details offenbart und das Personal dort fachlich auch in den relevanten Spezialbereichen kompetent ist, was v.a. für kleinere Kassen eine Herausforderung darstellt. Größere Kassen mit eigenen medizinischen Abteilungen und regionalen Servicezentren könnten die Empfehlung des Vertragsarztes aber druchaus sinnvoll ergänzen. Da soll (und muss) für den Patienten allerdings freiwillig sein, genauso wie er es ist, der letztlich sein Krankenhaus auswählt. Es geht lediglich um den Erlass der Zuzahlungen für den Fall, dass der Empfehlung der Kasse gefolgt wird.

Egon Manhold 01.06.201216:37 Uhr

Ideal wäre doch ...

... wenn die GKK dann auch Krankenhausträger würden - und ihre Versicherten nur noch in "ihre" Krankenhäuser einweisen würden!?!
Personal zu Dumpinglöhnen, da die in der GKK-Verwaltung viel ja Geld für ihre Gehälter benötigen.

Dr. Thomas Georg Schätzler 01.06.201214:21 Uhr

Absurdistan, Radio Eriwan oder Kannitverstan?

Sozialversicherungsfachangestellte und auch GKV-Kassenvorstände verstoßen ebenso wie Heilpraktiker gegen Gesetze zum Heilberuf(Bundesärzteordnung BÄO, Heilkundegesetz HKG, Heilberufsgesetze der Länder, Heilberufsordnung), wenn sie ohne ärztliche Ausbildung und Qualifikation approbationspflichtige medizinisch-therapeutische Entscheidungen treffen und eine Krankenhauseinweisung entscheiden wollen.

Denn sie müssten Art und Schwere der Erkrankung bzw. Co-Morbiditäten kennen, gewichten und beurteilen können bzw. je nach Art und Umfang der stationären Therapie im Krankenhaus eine Risikostratifizierung vornehmen.

Auch jenseits von medizinischen und arztrechtlichen Bedenken kann der absurde Plan, Kassen in Klinikeinweiser zu verwandeln, nicht aufgehen. Am praktischen Beispiel der nach "ICD-10-GM 2012" mit "A69.2" verschlüsselten "Lyme-Krankheit - Erythema chronicum migrans durch Borrelia burgdorferi" (Quelle: DIMDI) wird plastisch, dass Krankenkassenmitarbeiter nicht mal ahnen könnten, ob es sich dabei um eine Lyme Borreliose Stadium I, II oder III handelt? Der für "Sonstige Spirochätenkrankheiten (A65-A69)" typische Drei-Phasen-Verlauf mit z.T. schweren, krankenhauspflichtigen neurologischen Krankheitsverläufen in Endstadien ist ja offenkundig nicht mal den medizinischen ICD-10 Kodier-Koryphäen geläufig. Oder waren das etwa auch Abgesandte der GKV-Krankenkassen?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Christiane Hentke-Schink 01.06.201208:12 Uhr

Beurteilung

Aha, dem niedergelassenen Arzt, welcher die Patienten weiterbehandelt wird abgesprochen, dass er die Qualität beurteilen kann. Aber eine Krankenkasse welche häufig mehr als 100 km entfernt ist und den Patienten nie zu Gesicht bekommt, soll dies können? In was für einer Realität leben Schwarz-Gelb eigentich?

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