Arztreport 2017

Kopfschmerzen entwickeln sich zur Jugendplage

Immer mehr jungen Menschen schmerzt der Kopf. Darauf verweist der Arztreport 2017 der Barmer. Als Gegenmittel werden Sport und Entspannung empfohlen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Kinder und Jugendliche schlagen sich immer öfter mit quälenden Kopfschmerzen herum.

Kinder und Jugendliche schlagen sich immer öfter mit quälenden Kopfschmerzen herum.

© zerocattle / Getty Images / iStock

BERLIN. Jungen Menschen in Deutschland brummt der Schädel, Tendenz steigend. Im Jahr 2015 haben Ärzte bei 1,3 Millionen jungen Erwachsenen zwischen 18 und 27 Jahren Kopfschmerzen diagnostiziert. Das sind 400.000 mehr als zehn Jahre zuvor. Junge Frauen traf es deutlich häufiger als junge Männer.

Noch dramatischer ist der Anstieg der Diagnosen von Spannungskopfschmerz und Migräne. In der beschriebenen Altersgruppe sind diese Diagnosen von 2005 bis 2015 gleich um 50 Prozent in die Höhe geschnellt. Die Zahl der Verordnungen von Migränemedikamenten, vor allem der Triptane, ist sogar um 58 Prozent in die Höhe geschnellt.

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Ursachen bereiten Kopfweh

Diese Zahlen hat die Barmer für ihren aktuellen Arztreport vom Göttinger Aqua-Institut aus ihren Versichertendaten herausdestillieren lassen. Der Anstieg der Kopfschmerz-Diagnosen um 42 Prozent deute auf großen Handlungsbedarf, sagte Barmer-Chef Professor Christoph Straub am Montag bei der Vorstellung des Reports in Berlin. Umso mehr, als die jungen Menschen mit diesem Leiden deutlich aus dem Durchschnitt hervorstechen. Über alle Altersklassen hinweg haben die Kopfschmerz-Diagnosen im Berichtszeitraum ausweislich des Reports nur um 12,4 Prozent zugelegt, die der Migränediagnosen um 9,9 Prozent.

Die Ursachenforschung hinkt der statistischen Aufbereitung noch hinterher. "Der Besorgnis erregende Anstieg könnte ein Beleg dafür sein, dass der Druck auf die jungen Menschen in den letzten Jahren enorm zugenommen hat", sagte Straub. Gerade in dieser Altersgruppe könnten häufige Kopfschmerzen zu Depressionen und sozialem Rückzug führen. Straub warnte davor, junge Menschen unter den Generalverdacht zu stellen, der Brummschädel komme vom Feiern oder von ausuferndem Medienkonsum.

Ausweislich des Reports weisen die Kopfschmerzen häufig auf weitere Erkrankungen hin oder sind dadurch ausgelöst. Relativ erhöht sind demnach bei Kopfschmerzen Störungen des Fettstoffwechsels, depressive Episoden, Migräne, Sehfehler, akute Infektionen, Probleme mit der Wirbelsäule und Bluthochdruck, um nur einige der im Report genannten Beispiele herauszugreifen.

Nicht alle Altersgruppen sind gleichermaßen betroffen. Bei Kindern zwischen drei und zwölf Jahren sei die Kopfschmerz-Diagnoseprävalenz gesunken, sagte der Leiter des Aqua-Instituts Professor Joachim Szecsenyi. Einer Umfrage der Barmer zufolge nehmen 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 9 und 19 Jahren regelmäßig Kopfschmerztabletten ein. Die Präventionsangebote müssten sich verbessern. Ausdauersport, Entspannungstechniken und eine gesunde Lebensführung könnten aus der Pillenfalle helfen, sagte Straub.

Der Arztreport 2017 nimmt auch die regionale Verteilungen in den Blick. Von den 7,6 Millionen Kopfschmerzdiagnosen des Jahres 2015 bundesweit bei alle Altersgruppen entfielen knapp 350.000 auf Berlin, was einem Anteil von 10,04 Prozent der Bevölkerung entspricht. Nahezu gleichauf liegt Thüringen. Die niedrigste relative Kopfschmerzdichte registriert der Report für Sachsen mit 8,49 Prozent der Bevölkerung.

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Kommentare
Thomas Georg Schätzler 23.02.201716:25 Uhr

Kopfschmerzen in der Adoleszenz: Besondere Aufmerksamkeit!

Der Pressemitteilung Barmer Arztreport 2017 entnehme ich: "Kopfschmerzen plagen 1,3 Millionen junge Erwachsene"! ...Allein im Zeitraum von 2005 bis 2015 ist der Anteil der 18- bis 27-Jährigen mit Kopfschmerzdiagnosen um 42 Prozent gestiegen."

Das entspricht bei unaufgeregter Analyse einem jährlichen Anstieg von 3,81% und ist mit zunehmender Aufmerksamkeit in der Adoleszenten-Medizin bereits vor 2005, mit dem Bewusstsein für Kopfschmerzen und mit der zunehmenden Medizinalisierung und Medikalisierung des Alltags zu erklären. Im gleichen Zeitraum hat z. B. die Inanspruchnahme des von Prof. Dr. med. Christoph Diener gegründeten Essener Kopfschmerzzentrums, mit dem die BARMER übrigens keinen Behandlungsvertrag hat, sprunghaft zugenommen.

Wen soll es dann wundern, dass "inzwischen 1,3 Millionen junge Erwachsene von einem ärztlich diagnostizierten Pochen, Klopfen und Stechen im Kopf betroffen [sind], 400.000 mehr als noch im Jahr 2005".

Es macht keinen Sinn, über differenzierte Diagnostik zwischen Zephalgie, Gesichtsschmerz, Migräne, Neuralgie, Neuropathie, Spannungskopfschmerz, myofaszialem Schmerzsyndrom zu lamentieren, wenn Kinder-, Jugend-, Haus- und Allgemeinärzte häufiger und intensiver auf Kopfschmerz-Symptomatiken eingehen.

Prof. Dr. med. Christoph Straub, BARMER-Vorstandschef und Prof. Dr. Joachim Szecsenyi, Autor des Barmer Arztreport 2017 bzw. in Personalunion Ordinarius für Allgemeinmedizin und zugleich Geschäftsführer des AQUA-Instituts für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen in Göttingen, sollten als gelernt Mediziner eigentlich wissen, dass verbesserte Weiterbildung und "clinical awareness" zu mehr differenzierten Diagnosen führen.

Kopfschmerzen wurden vor 25 Jahren und früher kaum als eigenständige Krankheitsentität wahr genommen. Jetzt lösen sie eine ganze Batterie von Differenzialdiagnosen und Untersuchungstechniken einschließlich MRT des Gehirns und der HWS aus.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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