Aufsicht will Missbrauch beim Morbi-RSA verhindern

Selektivverträge, bei denen das Kodierverhalten der Ärzte im Mittelpunkt steht, sollen beendet werden. Da sind sich Aufsichtsbehörden von Bund und Ländern einig.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Die „richtige“ Kodierung der Diagnosen ist seit langem ein Streitthema.

Die „richtige“ Kodierung der Diagnosen ist seit langem ein Streitthema.

© momius/stock.adobe.com

KÖLN. Das Bundesversicherungsamt will verhindern, dass Krankenkassen Selektivverträge weiterhin darauf ausrichten, mehr Mittel aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) zu erhalten.

Eine mögliche Lösung wäre die gesonderte Kennzeichnung der Diagnosen aus solchen Verträgen, sagte der Präsident des Bundesversicherungsamtes Frank Plate beim "Gesundheitskongress des Westens" in Köln.

Es gehe ihm nicht darum, Selektivverträge komplett zu stoppen, betonte Plate. "Sie sollen weiterhin eine klare Verbesserung der Versorgung herstellen."

Die Vergangenheit habe aber gezeigt, dass die Vereinbarungen eine direkte Auswirkung auf den Risikostrukturausgleich haben. Deshalb müsse die Aufsicht reagieren.

Ungute Verknüpfung

Plate verwies auf das Treffen der Aufsichtsbehörden von Bund und Ländern, bei denen es um den Umgang mit Verträgen ging, bei denen das Kodierverhalten der Ärzte im Mittelpunkt stand. "Es existiert der einheitliche Wille, alle aktuellen Verträge, die am Thema der Diagnosen aufgehängt sind, zu beenden."

Bei der Reform des Morbi-RSA sei die Manipulationsresistenz eines der virulentesten Themen, sagte Professor Eberhard Wille, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs.

Es hänge für die Krankenkassen viel davon ab, dass die Krankheiten ihrer Versicherten diagnostiziert werden. "Es besteht die Gefahr, dass die Krankenkassen über Betreuungsstrukturverträge Einfluss auf die Diagnosen nehmen", betonte er.

Der Beirat hatte in seinem jüngsten Gutachten vorgeschlagen, die Vergütung in Selektivverträgen von der Diagnosestellung zu entkoppeln. Das sogenannte Up-Coding sei ein strafrechtlich relevanter Tatbestand.

Das von Verteidigern der Verträge ins Feld geführte "Right-Coding" gebe es in diesem Zusammenhang gar nicht, so Wille. Wenn Krankenkassen Ärzte nach der Diagnosestellung bitten, diese nochmals zu überprüfen, dann täten sie das schließlich nur aus einem einzigen Interesse.

Weiteres Gutachten im Mai

Wille bezeichnete sich als großen Befürworter von selektiven Verträgen. Kassen dürften aber nicht nachträgliche Korrekturen an der Kodierung verlangen oder Verträge abschließen, die gezielt die 80 Krankheiten umfassen, die für den Morbi-RSA relevant sind. "Das halte ich für ungerecht und unfair."

Im Mai will der Beirat ein weiteres Gutachten vorlegen, das sich mit der möglichen Aufnahme und Ausgestaltung eines Regionalfaktors in den Morbi-RSA beschäftigt.

Eine regionale Komponente mache Sinn, weil es dabei um Faktoren geht, die die Kassen nicht beeinflussen können wie die Bettendichte oder die Ärztedichte, erläuterte der Wissenschaftler.

Ulrich Paschek, Abteilungsleiter Finanzen und Zentrales Controlling bei der Knappschaft-Bahn-See, sieht die Politik gefordert. "Wir brauchen die zügige Einführung eines Regionalfaktors", bestätigte er. "Wenn der Gesetzgeber Krankenkassen haben will, die im Wettbewerb stehen, muss er die strukturellen Unterschiede in vollem Umfang ausgleichen."

Plädoyer für Übergangslösung

Egal, welche Schlüsse die Politik aus den Empfehlungen des Beirats zieht – vor 2020 oder 2021 werden die Gesetzesänderungen nicht in Kraft treten, erwartet der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit Andreas Storm.

Das sei zu spät, betonte er. "Aus Sicht der Ersatzkassen ist es dringend notwendig, dass wir schon 2019 Änderungen bekommen."

Storm plädierte für eine Übergangslösung, mit der die gravierendsten Verzerrungen durch den Morbi-RSA aufgefangen werden. "Sie darf nicht zu kompliziert sein, damit sie kurzfristig umsetzbar ist."

Er hält eine Reform des Aufsichtswesens für notwendig. In vielen Bundesländern gebe es nur noch wenige Krankenkassen, in vieren gar keine mehr.

"Die überwiegende Mehrzahl der kleineren Bundesländer hat nicht die Infrastruktur und den Personalapparat, den es braucht, um den Risikostrukturausgleich so zu handhaben, wie es das Bundesversicherungsamt macht."

Unterschiede in der Aufsichtspraxis können nach Einschätzung von DAK-Chef Storm den fairen Kassenwettbewerb beeinträchtigen.

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