TK zu ein Jahr Cannabis auf BtM
Cannabis-Report lässt die Blütenträume platzen
Ein Jahr nach dem Start gibt es bei der Verordnung von Cannabis noch keinen Boom. Wissenschaftler und Kassenvertreter fordern ein Nutzenbewertungsverfahren. Sie wollen außerdem die Schmerzgesellschaften stärker involviert sehen.
Veröffentlicht:BERLIN. Seit 14 Monaten dürfen Ärzte Cannabis zu therapeutischen Zwecken verordnen. Der am Donnerstag in Berlin vorgestellte Cannabis-Report der Techniker Krankenkasse (TK) lässt nur einen Schluss zu: Ein Dammbruch ist ausgeblieben. Insgesamt hat die mit gut zehn Millionen Versicherten größte Krankenkasse in Deutschland im ersten Jahr für rund 2000 Patienten 2,3 Millionen Euro für Cannabisblüten und Dronabinolrezepturen, weitere 600.000 Euro für cannabishaltige Fertigarzneimittel ausgegeben. "Die Verordnungsfähigkeit von Cannabisprodukten hat praktisch keine finanziellen Auswirkungen auf die Krankenkasse", sagte TK-Chef Dr. Jens Baas bei der Vorstellung des Reports in Berlin. Gegenüber den Gesamtausgaben der TK für Arzneimittel von 4,3 Milliarden Euro im Jahr geht der Posten völlig unter.
Die für Deutschland ermittelten rund 30.000 mit Cannabis versorgten Patienten seien "keine überraschend hohe Zahl", sagte ReportAutor Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen. Aber: Zuwachs wird erwartet. Das Aufkommen könnte sich in den kommenden Jahren verdoppeln bis verdreifachen, schätzt Baas.
Evidenz zweifelhaft
Mit der Studienlage zu Cannabisprodukten sind viele Ärzte, Wissenschaftler und Kassenvertreter nicht zufrieden. Zwar gebe es viele Indikationen für Cannabis, aber nur geringere wissenschaftliche Evidenz für den Einsatz. Kein Cannabisprodukt würde eine frühe Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und den Gemeinsamen Bundesausschuss überstehen, ist sich Glaeske sicher. Gerade für die therapeutische Wirksamkeit der Blüten, die mehr als 450 wirksame Stoffe enthalten, gebe es wenig Evidenz, obwohl ausgerechnet dafür die höchsten Preise aufgerufen würden.
Gleichwohl gebe es im klinischen Alltag immer wieder Patienten, die von einer Cannabis-Therapie profitierten, berichtete Professor Michael Schäfer, Anästhesiologe an der Charité. Die in Deutschland weitverbreitete Annahme, Cannabis könne neuropathische Schmerzen besser lindern als andere Therapien, aber gehe in die Irre. Klinische Studien zeigten, dass nicht einmal eine 50-prozentige Schmerzreduktion erreicht werde, sagte er. Nur bei jedem 14. Patienten würde eine 30-prozentige Schmerzlinderung erreicht.
Eine vom Gesundheitsministerium geförderte Analyse zu "Cannabis: Potential und Risiko (CAPRIS)" unter Federführung der Ludwig-Maximilians-Universität München kommt zu ähnlichen Schlüssen. Die Studie werde in Kürze veröffentlicht, sagte Schäfer.
Baas, Glaeske und Schäfer forderten, die Begleitforschung zu Cannabis aus der Zuständigkeit des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) herauszulösen und den Schmerzgesellschaften zu übertragen. Die Studien sollten von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Im Anschluss sollten die Produkte dann den AMNOG-Prozess durchlaufen.
Die meisten Anträge genehmigt
64 Prozent der 2900 Anträge wurden im ersten Jahr seit der medizinischen Freigabe von der TK genehmigt, so Vorstandsvorsitzender Baas. Die meisten Anträge würden zur Behandlung von Schmerzen gestellt.
Mehr als zwei Drittel aller Anträge bezogen sich auf den Wirkstoff Dronabinol – weniger als ein Drittel auf Cannabisblüten. Dronabinol-Tropfen oder -Kapseln seien leichter anzuwenden, verlässlicher in der Wirkung und kosteten nur einen Bruchteil im Vergleich zu Blüten, so die TK.
Bei den meisten Ablehnungen habe der MDK auf alternative Therapieoptionen verwiesen; zweithäufigster Ablehnungsgrund seien unvollständige Anträge gewesen, die zum Teil aus der Unwissenheit über den Cannabiseinsatz stammten, erläuterte die TK.
Einsamer Spitzenreiter bei den Cannabis-Verordnungen ist den Kassendaten zufolge das Saarland: Rund 208 Verordnungen pro 100.000 Versicherte gab es 2017 im Südwesten. Es folgen Bayern, Baden-Württemberg und Bremen mit zwischen 151 und 155 Verordnungen. (Mitarbeit ajo/Grafiken ths)
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