Gastbeitrag zur Klinikkrise

Mitläufer Chefarzt?

Die deutsche Kliniklandschaft steht im Umbruch - und viele Ärzte klagen über die Macht der "Verwaltungsleute". Doch die Schuld für die Krise muss nach Meinung unseres Gastautors auch bei den leitenden Ärzten gesucht werden.

Von Professor Reinhard Brunkhorst Veröffentlicht:
Primum non docere - wer will schon widersprechen?

Primum non docere - wer will schon widersprechen?

© Mathias Ernert

Krankenhausserien im Fernsehen werden nicht nur wegen der vielen gut aussehenden Menschen in Weiß und ihrer dramatischen Schicksale, sondern auch wegen des gelegentlich aufflackernden Realitätsbezuges gerne gesehen.

Ein Beispiel: Die Chefärzte saßen in einem engen Halbkreis um das Podium und strahlten Selbstgewissheit und Optimismus aus. Mit einem wohldosierten, gelassenen Kopfnicken signalisierten sie vor allem eines: Zustimmung.

Prof. Reinhard Brunkhorst

Der Autor ist Nephrologe und unter anderem Chefarzt der Medizinischen Klinik I am Klinikum Oststadt-Heidehaus in Hannover. Von 2009 bis 2013 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN). Der Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar.

Hinter ihnen lauschte die gesamte Führungsmannschaft der Klinik den Worten der dreiköpfigen Geschäftsführung, die nacheinander vortrug. Die Aufmerksamkeit war trotz der Hitze in der Kantine gespannt, die Reden wirkten wohlüberlegt. Kein Wunder: Alle wussten, dass die Hahnenkämpfe um die Macht in der Geschäftsführung groteske Züge angenommen hatten.

Die Worte des medizinischen Geschäftsführers, der irgendwann einmal als Anästhesist gearbeitet hatte, waren kritisch: Die Leistungszahlen lagen hinter den Zielen zurück und die Umfragen der Krankenkassen waren zu vernichtend schlechten Resultaten gekommen. Weitere Personaleinsparungen seien geplant.

Das Auditorium murrte nicht, nur selten flüsterten zwei Zuhörer sehr leise miteinander - immer die gleichen. Gegen Ende der Sitzung drückten die Gesichtszüge vieler Anwesender Frustration und Wut aus. Trotz leutseliger Aufforderung vonseiten des Podiums wurden keine Fragen gestellt.

Auch nach einer Pause, die zur Besinnung auf offene Punkte dienen sollte und in der ungewöhnlich wohlschmeckende Häppchen und Kuchen serviert wurden, herrschte Stille. Dem Vorsitzenden, der zu kritischer Diskussion aufrief, wurde von den beiden ärztlichen Direktoren unter den Chefärzten signalisiert, das sei doch wirklich nicht nötig.

Wir Ärzte wissen doch, was zu tun wäre

So oder sehr ähnlich könnte es sich heute tatsächlich in den meisten deutschen Kliniken zutragen.

Die Geschäftsführungen und Manager sind jedoch nicht die alleinigen "Bad Guys". Die Ursache für die Krise der deutschen Krankenhäuser liegt nach meiner Überzeugung auch an der Angepasstheit und der mangelnden Fähigkeit leitender Ärzte zu konstruktiver Kritik und Einmischung.

Überleben ist nicht genug

Man könnte meinen, es sei eine Abrechnung, ist es aber nicht. Zwar geht unser Gastautor in seinem Erzählband "Überleben ist nicht genug" schonungslos mit Missständen, Verwaltungschefs und Fehlern von Kollegen ins Gericht – und das, obwohl er noch aktiv im Dienst ist. Doch nach den zwölf eindrücklichen und berührenden Kurzgeschichten bleibt als Botschaft vor allem das Pathos für die Medizin hängen. Trotz der Auswüchse des Gesundheitswesens bestimmt noch immer die Leidenschaft für die Schicksale der Patienten den Arztalltag. (eb)

Reinhard Brunkhorst: Überleben ist nicht genug, Frankfurt 2013, atp Verlag, 187 S., 19,80 Euro, ISBN 978-3-943064-05-6

Warum schweigen die Chefärzte, die nicht selten universitär-wissenschaftlich geschult wurden, zu methodisch haarsträubenden Qualitätsbefragungen der Krankenkassen?

Warum kritisiert kaum ein leitender Arzt den gefährlichen Mangel an guten Pflegekräften? Warum schlägt niemand vor, dass medizinisches Hilfspersonal endlich in ausreichender Zahl eingesetzt wird? Warum sagen wir nicht, wo ohne Qualitätsverluste gespart werden könnte? Wir wissen es doch oft genug.

Warum geben wir Chefärzte nicht zu Protokoll, dass die medizinische Qualität für die Patienten steigt, wenn kleine Landkrankenhäuser geschlossen werden? Wir Ärzte haben so viele Informationen, die für eine erfolgreiche Klinikführung unentbehrlich wären!

Das Schweigen der ärztlichen Führungskräfte scheint mir eine Hauptwurzel vieler Klinikprobleme zu sein. Es reicht für den Erfolg eines medizinischen Krankenhausmanagements eben nicht aus, dass der ärztliche Geschäftsführer Medizin studiert hat.

Chefärzte, die ihre Posten sichern

Für den Erfolg der Kliniken ist es entscheidend, dass das Klinikpersonal sich zu Wort meldet, sich einmischt, und sein Know-how in die Entscheidungen einbringt.

Dies ist kurzfristig aber wohl eine eher naive Wunschvorstellung von mir - auch weil wir unsere jungen Assistenzärzte keineswegs zu Kritik und Diskussion anhalten, sondern immer noch den Autoritätsglauben unserer Mitarbeiter honorieren.

Die Autoren der oben zitierten Telenovela bewiesen erneut nüchternen Realitätssinn zum deutschen Klinikalltag: Wenige Tage nach der oben beschriebenen diskussionsfreien Sitzung werden zwei der Geschäftsführer, mit hohen Abfindungen ausgestattet, beurlaubt.

Die beiden Chefärzte, die am entschlossensten mit diesen Geschäftsführern kooperiert und besonders nachdrücklich dem offenkundig widersinnigen und später gescheiterten Vorhaben zugestimmt hatten, sitzen kurz nach der Beurlaubung der Geschäftsführer im Vorzimmer des Aufsichtsratsvorsitzenden, um ihre Kooperationswilligkeit kundzutun und ihre Pöstchen zu sichern.

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Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 14.08.201422:52 Uhr

Die Machtspiele hat der Chefarzt schon lange verloren.

@ Dr. Wolfgang Bensch Der "Sinn" eines Krankenhausdirektoriums ist doch zumindest,
dass der medizinische Aspekt in einem "Krankenhaus!!!" (Chefarzt) im Gleichgewicht mit dem ökonomischen Aspekt (Verwaltungsleiter, heute Geschäftsführer) stehen sollte.
Wenn nun schon bei der Einstellung eines Chefarztes ein flexibler "Erlösanteil" der ganzen Hauses bzw. der Abteilung des Chefarztes vertraglich verlangt wird, sind wohl die Prioritäten schon festgelegt.
Wer sich hier ein bischen auskennt, weis, dass dieser Erlös oft mehr vom Verhandlungsgeschick der Geschäftsführers bei den jährlichen "Pflegesatzverhandlungen" liegt, als an der ärztlichen Leistung.
Wer Chefarztbewerbungen kennt, weis, wieviel Kandidaten auch für die schäbigste Chefarzt Schlange stehen.
Ich kann es ihnen beim besten Willen nicht übel nehmen, fast jeden Vertrag zu unterschreiben,
wobei die Ärztekammer gute Hilfestellung geben kann, auf die man als Anfänger keinesfalls verzichten sollte.
Ich persönlich halte "Gewinnbeteiligung" für unethisch.

Dr. Wolfgang Bensch 14.08.201410:57 Uhr

"mangelnde Fähigkeit leitender Ärzte zu konstruktiver Kritik und Einmischung"

Zum Beitrag Prof. Cremer:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Dinge bei einer Einstellung - in welcher Form auch immer - zur Sprache kämen und dann ein "Kriterium" für JA oder NEIN zum Arbeitsvertrag darstellen.

Dr. Wolfgang P. Bayerl 13.08.201413:08 Uhr

Mitläufertum ist eine bekannte "menschliche" Schwäche

.. besonders wenn sie mit autoritärem Verhalten "nach unten" kombiniert wird ("Fahrradfahrer").
Hier gerade "die Chefärzte" anzuprangern, halte ich aber eher für schäbich, lieber Kollege.
Viel wichtiger ist es,
die falschen Strukturen anzuprangern denen der schwache Chefarzt meint nachlaufen zu müssen.
Von "Selbständigkeit" kann bei ihm sowieso keine Rede sein, sehen Sie sich die Verträge an!
Dazu gehört z.B. GANZ WESENTLICH die Personalhoheit, WENIGSTENS seiner ärztlichen "Mannschaft".
Er muss sie allein selbst auswählen dürfen, ggf. auch abmahnen und entlassen dürfen.
Wo gibt es das???
Ein starker Chefarzt macht das auch ohne "Vertrag", was aber keine korrekte Organisationsregelung darstellt.
Deshalb sucht man ja nicht selten bei Neueinstellung auch gezielt eine schwachen Chefarzt.
Einer muss ja zum "Verantwortung übernehmen" immer da sein :-)

Hildegard Fuchs 13.08.201412:17 Uhr

Falsche Sicht auf die Dinge

Der Autor des Beitrages hat Recht. Aber leider ist auch seine Sicht auf die Dinge nur eingeschränkt, d. h. die Ursache des ganzen Übels liegt in der Inkompetenz aller Beteiligten zur Führung eines Klinikbetriebes. Es beginnt also bereits viel früher mit dem Handlungsbedarf, nicht erst bei Betriebsversammlungen etc.. Bereits bei der Klinikgründung ist eine betriebswirtschaftlich durchdachte und medizinisch-qualitativ hochwertige Versorgung das Maß aller Dinge. Dazu bedarf es eines komplexen Fachwissens, ohne dem die Umsetzung dieser Zielsetzung nicht gelingt. Die heutige Kliniklandschaft und ihr teilweise desaströses Management, insbesondere im Hinblick auf die personelle Ausstattung einer Klinik in allen Abteilungen, spricht für sich und ist für die Missstände verantwortlich. Die Entscheidungsträger sind von sich überzeugt, lassen keine externen Experten zu, stricken ihre eigenen Lösungen - ohne Rücksicht auf Verluste! Vom kleinen Krankenhaus auf dem Land bis hin zu den universitären Maximalversorgern läuft es überall schief, weil es den Verantwortlichen an Weitblick und Fachkompetenz fehlt. Das gesamte Krankenhauswesen muss grundlegend umstrukturiert werden, aber bitte mit Weitblick und Fachkompetenz!
Hildegard Fuchs

Dr. Detlef Bunk 13.08.201411:55 Uhr

Ökonomisierungswahn im Gesundheitswesen

Niemand sehnt sich nach den Zeiten zurück, wo in den Krankenhäusern „Ökonomie“ ein Fremdwort war und die Chefärzte das Klinikbudget mehr oder weniger nach eigenem Gusto verwenden konnten. Doch seitdem vor knapp 20 Jahren die Gesundheitsökonomen und Controller die Macht in den Kliniken übernommen haben, ist eine erschreckende Enthumanisierung im Denken der Versorger festzustellen. Dabei wird der hilfsbedürftige Kranke, der vom Behandler Engagement und Verständnis für seine Lage erwartet, auf dem Altar der ökonomistischen Glaubenslehre geopfert. Stoppt den Ökonomisierungswahn im Gesundheitswesen! Wer noch einen letzten Funken der Grundsätze humanistischer Medizin und Psychologie in sich spürt, muss Herrn Wolfgang Meyer voll zustimmen.

Dr. Detlef Bunk, PP, PKJ, Essen

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