Transplantationen
Privatpatienten und ein böser Verdacht
Werden Privatpatienten in Deutschland bei der Vergabe von Organen bevorzugt? Eine neue Analyse weckt diesen bösen Verdacht. Im Vergleich zu GKV-Patienten erhalten Privatversicherte mehr Organe - zumindest im Verhältnis ihres Anteil auf der Warteliste. Bewusste Manipulation?
Veröffentlicht:BERLIN. Ein schlimmer Verdacht macht in der Transplantationsmedizin die Runde: Werden Privatpatienten bei Transplantationen bevorzugt?
Solche Mutmaßungen wurden bereits immer wieder geäußert, nicht erst seit dem Skandal von Göttingen und Regensburg.
Die Hypothese: Weil sich mit Privatpatienten mehr Geld verdienen lässt, etwa per Chefarztbehandlung, rutschen Privatversicherte hin und wieder auf ominösen Wegen in den Wartelisten nach oben.
Soweit die unbestätigte Vermutung. Dass Privatversicherte offenbar wirklich verhältnismäßig häufiger Spenderorgane erhalten als GKV-Patienten, hat jetzt Grünen-Gesundheitspolitiker Dr. Harald Terpe ausgerechnet.
Mit seinem Team hat er die Eurotransplant-Daten von 2011 ausgewertet. Den Zahlen zufolge, die der "Ärzte Zeitung" vorliegen, ist der Anteil der transplantierten Organe im vergangenen Jahr für Privatpatienten höher als ihr Anteil auf den Wartelisten.
Will heißen: Sie erhalten im Verhältnis zu ihrem Bedarf mehr Organspenden als GKV-Patienten.
Ein Beispiel: Auf eine Niere warteten 7545 Menschen in Deutschland, 6,2 Prozent davon waren Privatpatienten.
Keine Erklärungen, keine Beweise
Allerdings lag der Privatanteil unter den Nierenempfängern bei 6,8 Prozent, im beschleunigten Verfahren waren es sogar 7,6 Prozent Privatpatienten.
Das beschleunigte Verfahren kommt immer dann zum Einsatz, wenn ein Organ "abzusterben" droht. Dann wird zunächst in der Transplantationsregion ein geeigneter Empfänger gesucht. Scheitert auch das, kann das Organ in der Entnahmeklinik verpflanzt werden.
Auffälliger ist der Unterschied bei den Lebertransplantationen: 9,7 Prozent aller Menschen auf der Warteliste waren Privatpatienten, ihr Anteil unter den Empfängern machte aber immerhin 13,1 Prozent aus.
Auch im beschleunigten Verfahren lag der Anteil mit 11,4 Prozent höher als der Anteil auf der Warteliste.
Ein Manko hat die Auswertung allerdings: Die Zahlen der Wartelisten sind vom August dieses Jahres, die Zahlen der Transplantationen aus dem Jahr 2011.
Methodisch ist die Analyse daher angreifbar, gibt auch Terpe zu. Allerdings seien die Zahlen der Patienten auf der Warteliste "linear" und vergleichbar mit dem Jahr 2011, so sein Argument.
Wird also im großen Stil geschummelt zugunsten der Privatpatienten? Das lässt sich so nicht sagen. Stichhaltige Erklärungen für diese Diskrepanzen und Beweise gibt es nicht, auch Grünen-Politiker Harald Terpe hat bislang keine.
Manipulation nur mit krimineller Energie
Er fordert nun von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), Licht ins Dunkel zu bringen. Auch an der Basis, also in den Transplantationszentren herrscht Schweigen.
Reden will keiner, öffentlich schon gar nicht. Auch die zuständigen Organisationen und Gremien hielten sich am Dienstag weitgehend bedeckt.
Seitens der Politik und der Privatversicherer wurden allerdings Zweifel an Terpes Daten laut. Für den PKV-Verband etwa ist allein der Vergleich der Warteliste von August 2012 mit Daten aus dem Jahr 2011 "unzulässig".
Damit werde nicht nur ein falscher Eindruck erweckt, tatsächlich allokiere Eurotransplant außerdem ausschließlich anhand der Dringlichkeit und Wartezeit.
Was die Privatversicherer an dieser Stelle jedoch unberücksichtigt lassen: Eurotransplant erhält lediglich Zahlen, Laborwerte und Befunde. Und eben die lassen sich eben manipulieren.
Und so machen vor allem in den Kliniken seit langem Gerüchte die Runde: Privatpatienten lösten ein "Chefarzt-Symptom" aus.
Weil auf Privatrechnung mehr Geld verdient werden kann, gebe es Ärzte, die einiges tun würden, ihre Patienten gut auf den Wartelisten von Eurotransplant zu positionieren.
Dazu braucht es allerdings eine gewisse Portion kriminelle Energie - ähnlich, wie es in Göttingen bekannt wurde.
Laborwerte müssten bewusst manipuliert werden, Dialysebehandlungen erfunden oder provoziert werden.
Für das beschleunigte Verfahren müsste das entnommene Organ sogar absichtlich "liegen gelassen" werden, um die Ischämiezeit zu erhöhen, mit der Folge, dass die Ärzte der vorgesehenen Empfänger das Organ ablehnen.
Doch das sind Spekulationen. Und so wird der Ruf nach mehr Transparenz laut. Terpe: "Ich weiß nicht, ob diese Auffälligkeiten rein statistisch zu erklären sind."
Spahn: Bewusste Panikmache
Es brauche dringend mehr Transparenz und staatliche Kontrolle. "Ich hoffe, die Koalition zieht da endlich mit."
Auch die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung fordert, "diese offensichtliche Benachteiligung von gesetzlich Versicherten aufzuklären".
Auch der Staat müsse endlich seine "Statistenrolle im Organspendesystem" aufgeben, verlangte Vorstand Eugen Brysch.
Ähnlich äußert sich die Linken-Abgeordnete Martina Bunge: "Höchstmögliche Transparenz bei der Organtransplantation ist unerlässlich, und jede weitere Flickschusterei beim Transplantationsgesetz muss dringend aufhören."
Verhaltener argumentiert der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn: "Wir wollen gemeinsam mit allen Fraktionen die nötigen Maßnahmen ergreifen, um Kontrolle und Transparenz bei der Organvergabe zu verbessern. Das ist ohne Frage bitter nötig."
Er warf den Grünen allerdings "bewusste Panikmache" vor. "Die Verunsicherung aus politischem Kalkül führt zu noch weniger Spenden", sagt Spahn.
Ähnlich sieht es die Organspende-Expertin der FDP-Fraktion, Gabriele Molitor: Die von Terpe errechneten Unterschiede reichen für sie nicht aus, eine "grundsätzliche Bevorzugung von Privatpatienten" zu erkennen.
Auch aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) kam scharfe Kritik an Terpe: "Das Thema Organspende ist zu sensibel, um mit unverantwortlichen Spekulationen weiter Stimmung zu machen", ließ ein Sprecher auf Anfrage verlauten.
Höhere Sterblichkeit bei Privatpatienten
Er verwies darauf, dass Eurotransplant die Warteliste ohne Anerkennung des Versichertenstatus führe. Bloß führt gerade das nicht zur Antithese, denn die Manipulationsmöglichkeiten blieben immer noch in der Klinik.
Der PKV-Verband verwies, unisono mit dem BMG, auf die erhöhte Sterblichkeit von Privatpatienten auf der Warteliste. Tatsächlich lag sie nach Zahlen von Eurotransplant im Jahr 2011 bei privatversicherten Nierenempfängern mit 4,6 Prozent höher als bei GKV-Patienten (3,2 Prozent).
Noch deutlicher war der Unterschied bei Patienten, die auf eine Lunge warteten: Hier lag die Sterblichkeit bei Privatpatienten bei 14,9 Prozent, während "nur" 9,1 Prozent der GKV-Patienten starben, die auf eine Lunge warteten.
Auch über Mittelwerte aus den Jahren 2002 bis 2011 ergibt sich ein ähnliches Bild, wenngleich hier GKV-Patienten schlechter abgeschnitten hatten, die auf eine Pankreas-Transplantation gewartet hatten.
Für das BMG steht mit diesen Zahlen fest: "Damit ist schon die Grundannahme widerlegt, Privatversicherte auf der Warteliste seien im Schnitt jünger und gesünder."
Doch eben das lässt sich aus den Zahlen nicht ablesen. Im Gegenteil: Man muss nur eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV bemühen, um zu sehen, dass Privatversicherte im Schnitt jünger sind.
In der Altersgruppe von 30 bis 60 ist der Anteil in der PKV deutlich höher als in der GKV, spätestens ab 65 kehrt sich das Verhältnis wieder zu Ungunsten der GKV um.
Dennoch können all diese Zahlen und Statistiken nicht erklären, warum Privatpatienten womöglich verhältnismäßig häufiger Organspenden erhalten als GKV-Patienten.
Dass Privatversicherte generell gesünder seien als gesetzlich Versicherte, würden Epidemiologen sicherlich bestreiten – ebenso aber auch die Annahme, sie seien kränker und bräuchten womöglich häufiger Organspenden.