Reformwünsche nach Leipzig
Weniger Zentren, andere Richtlinien
Nach dem Skandal von Leipzig wird nach den Ursachen für die Transplantationsaffäre gesucht. Gibt es in Deutschland zu viele Zentren? Oder sind vielmehr die Richtlinien der BÄK das Problem?
Veröffentlicht:BERLIN. Der jüngste Transplantationsskandal hat eine Debatte über die Zahl der Transplantationszentren und die Richtlinien zur Transplantationsmedizin entfacht. Derweil deutet sich kein rasches Ende der Prüfungen aller Zentren durch die Prüfkommission an.
Zahlreiche Funktionäre aus der Ärzteschaft und Patientenvertreter sprachen sich nach dem Bekanntwerden der Vorfälle von Leipzig für eine Reduzierung der Transplantationsprogramme in Deutschland aus.
Im "Focus" plädierte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCh), Professor Karl-Walter Jauch, für eine Halbierung der Lebertransplantationsprogramme von jetzt 24 auf 12.
"Die Ergebnisqualität der Lebertransplantation in Deutschland liegt weit unter dem international akzeptierten Standard", sagte er dem Magazin. Auch der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Professor Frank Ulrich Montgomery, plädierte für weniger Zentren.
"Wir wollen, dass es auf Dauer weniger Transplantationszentren gibt", sagte er der "Bild". Das mache die Überprüfung einfacher und sorge dafür, "dass falsche ökonomische Anreize keine Rolle spielen".
Mit dem gleichen Argumente forderte Eugen Brysch, Chef der Deutschen Stiftung Patientenschutz, vormals Deutsche Hospiz-Stiftung "einen bundesweit zu entwickelnden Masterplan, der alle Aspekte im Blick hat".
Den Forderungen nach weniger Transplantationsprgrammen widersprach hingegen der neue Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Dr. Rainer Hess. Dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sagte er, solche Pläne halte er für schwer umsetzbar.
Der ehemalige GBA-Vorsitzende ist seit Anfang Januar für ein Jahr DSO-Vorstand. Hess sagte, er würde jeder Klinik zunächst die Chance geben, Organe zu transplantieren. "Wenn sich das dann nicht rechnet, müssen die Länder natürlich überlegen, Zentren zusammenzulegen."
Hess machte hingegen den wachsenden ökonomischen Druck auf Ärzte in Kliniken für die mutmaßlichen Manipulationen von Patientendaten für die Eurotransplant-Wartelisten verantwortlich.
Jauch: Mediziner müssen Mut haben
"Wir dürfen den Ärzten keine Vorgaben auferlegen, die sich überwiegend an ökonomischen Zielen orientieren und mit Medizin nicht mehr viel zu tun haben", sagte er. Verantwortlich für die Missstände seien auch die Klinikverwaltungen und ein System, "das unmedizinisches Verhalten fördert und Fehlanreize setzt".
Die bekanntgewordenen Vorfälle von Göttingen, Regensburg, München und Leipzig nannte er ein "Aha-Erlebnis". Hess: "Jeder Beteiligte sieht, dass wir im System mehr Qualitätssicherung brauchen."
Nicht nur die Rolle der Qualitätssicherung wird derzeit hinterfragt - erneut gerät auch die Rolle der BÄK in die Kritik. Sie stellt die Richtlinien für die Transplantationsmedizin auf. Dazu zählen auch die Richtlinien zur Hirntoddiagnostik und der Wartelistenführung.
Der medizinische Vorstand der DSO, Professor Günter Kirste, verwies im "Focus" darauf, dass der Gesetzgeber im Transplantationsgesetz die Allokation von Organen nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit vorgeschrieben habe.
Doch "das Pendel", so Kirste, sei "eindeutig zugunsten der Dringlichkeit" ausgeschlagen. Kirste: "Der Gesetzgeber glaubte, dass die Bundesärztekammer eine Balance findet. Bei den Lebern ist das nicht gelungen."
Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, die Kölner Ärztin und Medizinethikerin Professor Christiane Woopen, attestierte im Focus, dass die Allokation "grundsätzlich nach Dringlichkeit und weniger nach Prognose erfolgt".
DGCh-Präsident Jauch sieht wegen der Richtlinien einen enormen Druck bei den behandelnden Kollegen: Mediziner müssten "den Mut haben, zu sagen, dass man Patienten, die nur mehr eine minimale Chance auf Rehabilitation haben, nicht mehr einer Transplantation unterzieht", sagte er dem "Focus".
Bereits im Sommer, kurz nachdem die Fälle von Göttingen und Regensburg bekannt wurden, kritisierten Verfassungsrechtler die geltenden Regeln in der Transplantationsmedizin als grundgesetzwidrig.
Die BÄK treffe in ihren Transplantationsrichtlinien Grundentscheidungen, "die über Leben und Tod von Patienten bestimmen", sagte damals der Münsteraner Jura-Professor Thomas Gutmann. Die BÄK sei "bei der Festlegung der Verteilungsregeln weitgehend an die Stelle des Gesetzgebers getreten, ohne hierzu demokratisch legitimiert zu sein".
Unterdessen verdichten sich die Anzeichen, dass die 47 Transplantationszentren in Deutschland mit ihren rund 140 Programmen nicht schneller als bislang vorgesehen überprüft werden sollen.
Hess: Vertrauensverlust
"Die Prüfungskommissionen arbeiten am Limit", hieß es am Freitag bei der BÄK. Bis Mitte 2013 sollen die 24 Zentren, in denen Lebern verpflanzt werden, von den Prüfungskommissionen der Selbstverwaltung unter die Lupe genommen worden sein.
Die übrigen sollen nach der Selbstverpflichtung von BÄK, Deutscher Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband spätestens bis 2015 überprüft sein.
Während die Prüfungen weiter laufen, sinkt zunehmend das Vertrauen in die Transplantationsmedizin. Laut einer Umfrage im Auftrag der "Bild" gehen 71 Prozent der Bundesbürger davon aus, dass Wohlhabende und Prominente bei der Organvergabe bevorzugt würden.
Immer weniger Menschen sind zudem bereit, nach ihrem Tod Organe zu spenden. Antworteten im August 2012 noch 34 Prozent der Befragten mit Nein, waren es jetzt bereits 37 Prozent.
Auch DSO-Vorstand Hess bereitet der Rückgang der Spenderzahlen Sorgenfalten. "Der Vertrauensverlust der Menschen hat den Rückgang der Spendebereitschaft mitverursacht", sagte er dem "Spiegel".
Ein Blick auf die offizielle Eurotransplant-Statistik zeigt, wie düster es aussieht: 11.247 Menschen in Deutschland stehen auf den Eurotransplant-Wartelisten (Stichtag 30. November). 1836 Menschen warten auf eine neue Leber, die Nieren führen mit 7635 Patienten auf der Warteliste naturgemäß das Feld an.
1098 Menschen auf den Wartelisten sind in den zwölf Monaten bis Ende November gestorben, davon allein 507 Patienten, die eine neue Leber gebraucht hätten. Dem gegenüber standen 4066 Transplantationen, die meisten Organe kamen von Post-mortem-Spendern (3273).
Noch geringer ist die Zahl der Spender hierzulande gewesen: Bis Ende November gaben 951 postmortale Organspender 1689 Organe - weniger als im Vorjahreszeitraum (1085 Spender mit 1913 Organen).
Im Oktober war die Zahl der Spender deutlich auf 60 eingebrochen, im November hatte sie sich aber wieder auf 82 aufgerappelt. Am heutigen Montag (7. Januar) will die DSO über die Entwicklung der im gesamten vergangenen Jahr 2012 berichten. (nös/af)