Leitartikel zur Organspende
Neue Kampagnen und ein Legitimationsproblem
Am Samstag ist der Tag der Organspende, und mit einer groß angelegten Kampagne trommelt das Gesundheitsministerium für den Spendeausweis. Doch die große Frage bleibt: Wird uns das wirklich mehr Organspender bringen?
Veröffentlicht:Ein Satz soll Deutschlands Bürger zu einem Volk von Organspendern machen: "Das trägt man heute: den Organspendeausweis." Zum Tag der Organspende hat das Gesundheitsministerium Stars aus Sport, Funk und Fernsehen zusammengetrommelt, um für die kleine orange-blaue Pappkarte zu werben.
Vielleicht hätte das Ministerium aber - ganz in Anlehnung an die KBV-Kampagne - besser folgenden Slogan gewählt: "Ich spende für Ihr Leben gern."
Wie viel prägnanter wäre damit das ganze Ausmaß der Organspende, nämlich dass es um Leben geht, ein unschätzbares Geschenk, um Altruismus, eine schwere Entscheidung und eben die Angst vor Schindluder oder wahlweise dem nächsten Skandal in der Transplantationsmedizin - und eben nicht um eine Pappkarte.
Endlich wäre deutlich, was der Medizinethiker Professor Jochen Vollmann jüngst in der "FAZ" mit so formuliert hatte: "Nicht die Transplantationsmediziner und auch nicht die auf ein Organ wartenden Patienten, sondern die selbstlosen Organspender sind die ethischen ‚Helden‘ dieses Systems."
Um es vorweg zu nehmen: Die guten Absichten des Ministeriums und seiner Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) um die Organspende kann man gar nicht in Abrede stelle. Allein in diesem Jahr will die BZgA acht Millionen Euro für neue Organspendeausweise und Kampagnen ausgeben.
Zur Erinnerung: Seit November müssen die Krankenkassen alle Versicherten über die Organspende informieren. Das Material dafür stammt von der BZgA. Die Frage ist bloß: Werden diese Anstrengungen je Früchte tragen?
Ein Blick auf die nackten Zahlen lässt Schlimmes erahnen: Seit 1997 steigen die Organspenden nur langsam (von 3500 auf 4600 im vergangenen Jahr). Die Kurve gleicht eher einem sanften Hügel als einem steilen Aufstieg - mit dem bekannten Einbruch vor allem bei der Zahl der Nieren- und Leberspenden im vergangenen Jahr.
Das Legitimationsproblem
Transplantationsmediziner glauben ohnehin, dass der Zuwachs an Spenden dem medizinischen Fortschritt zu Verdanken ist. Ein Beispiel sind Organe von älteren Spendern oder Patienten mit Vorerkrankungen. Auch die Zahl der Lebendspenden ist seit 1997 um über 540 auf 844 angestiegen.
Patientenverfügungen und die bessere medizinische Versorgung (junge Motorradfahrer sind nicht mehr per se dem Tod geweiht) tun ihr Übriges für eine stagnierende Spenderzahl. Taugen letztlich all die Kampagnen gar nichts, sind die Deutschen vielleicht nur spendefaul, oder gibt es womöglich ein Systemversagen?
Vor allem Letzteres muss man vermuten, denn die Organspende scheint ein Legitimationsproblem zu haben. Grundsätzliche Fragen, etwa die strittige des Hirntods, der Wartelistenführung oder der technisch-medizinischen Zuteilungsalgorithmen werden in der Öffentlichkeit schlicht nicht diskutiert. Und das, obwohl es um Leben und Tod geht, um "meinen Tod" und um "dein Leben" - und vice versa.
Der Organspender scheint nur noch ein "Objekt und Erfüllungsgehilfe der Transplantationsmedizin" (Vollmann). Zu sehr kreist die Fachwelt um sich selbst, den Spender hat sie aus den Augen verloren.
Dass der sich abwendet, verwundert nicht. All die Kampagnen, Ausweise und Infoschreiben sind schön und gut, doch ihnen ist eines gemein: sie bitten und betteln um Organe und vergessen partout das Wichtigste, nämlich den potenziellen Organspender zur Partizipation einzuladen.
Mit der Teilhabe ist es nicht gut bestellt im deutschen Organspendesystem. Denn der normative Rahmen wird ausschließlich von Fachleuten vorgeben. Mit dem Transplantationsgesetz, das im Dezember 1997 in Kraft getreten ist, hat das Parlament sämtliche Fragen der Organspende und Transplantation an die Selbstverwaltung delegiert.
Kritiker, wie der Münsteraner Medizinrechtler Professor Thomas Gutmann sprechen sogar davon, dass der Gesetzgeber die Frage der Organverteilung "wie eine heiße Kartoffel ausgespuckt" hat. Gelandet ist sie bei der DSO (für die Organspende), Eurotransplant im niederländischen Leiden (für die Vermittlung) und der Bundesärztekammer (für die Richtlinien).
Und gerade darin sehen Fachleute wie Gutmann, Vollmann oder etwa der Staatsrechtler Professor Wolfram Höfling ein gravierendes Missverständnis: Denn weder die DSO noch Eurotransplant oder die BÄK sind hinreichend demokratisch legitimiert.
Sowohl die DSO als auch Eurotransplant sind private Stiftungen, die BÄK lediglich eine Arbeitsgemeinschaft. Auf diesem Fundament werden Entscheidungen über Leben und Tod getroffen und der normative Rahmen vorgegeben. Doch Organspende besteht aus mehr als nur medizinischen Kriterien.
Sie wirft "Fragen wie Priorisierung, Ethik, Organisation, Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit" auf, wie es der Generalsekretär des Uniklinikaverbands, Rüdiger Strehl, und der Chirurg Professor Rüdiger Siewert jüngst formuliert haben.
"Solche Mischentscheidungen kann man nicht ohne, aber auch nicht allein oder vor allem durch Mediziner treffen lassen." Gerade ethisch-politische Vorgaben gehörten in die Hand von gewählten Politikern.
Man muss nicht eine Behörde zur Organverteilung fordern, wie es manche Vorschläge suggerieren. Aber man kann eine ministerielle Genehmigungspflicht für die BÄK-Richtlinien einführen - so, wie es das Parlament derzeit plant.
Die Richtlinien erhielten so nicht nur eine rechtlich verbindlichere "Vermutungswirkung", sondern auch eine zumindest in Ansätzen demokratische Absicherung durch den Verordnungsgeber, namentlich die amtierende Bundesregierung.
Das wäre ein erster Schritt, das Thema Organspende dorthin zu holen, wo es hingehört: in den öffentlichen Raum, auf ein demokratisches Fundament. Nur so wird man die Bürger davon überzeugen können, wie wertvoll die Organspende ist, und dass sie jeden von uns, also den "Demos", das Volk, betrifft.