Interview

"Beim Jugendamt können sich Ärzte Rat holen"

Mit dem geplanten Kinderschutzgesetz hat sich Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) bei den Kinderärzten kaum Freunde gemacht. Im Interview verteidigt die Ministerin auch ihre Gesetzesvorhaben zur Pflegezeit und zum Bundesfreiwilligendienst.

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Dr. Kristina Schröder

© dpa

Geboren: 3. August 1977 in Wiesbaden

Aktuelle Position: Seit 30. November 2009 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Ausbildung: 1997 bis 2002 Studium Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte in Mainz; Promotion 2009

Werdegang: 1994 Eintritt in die CDU, seit 2002 Mitglied des Bundestages

Privates: verheiratet; erwartet z. Z. erstes Kind

Ärzte Zeitung: Die schwarz-gelbe Koalition will 2011 zum Jahr der Pflege machen. An Ihrem Gesetz zur Pflege-Zeit hagelt es bereits Kritik. Nach Ansicht von Gewerkschaften und Sozialverbände ist es der falsche Weg, sich nur auf den guten Willen der Unternehmen zu verlassen.

Kristina Schröder: Wir haben das Familienpflegezeitgesetz wie die Altersteilzeit konzipiert, darauf gab es keinen Rechtsanspruch. Dennoch wurde sie sehr stark in Anspruch genommen: Wir hatten nach wenigen Jahren mehr als 100.000 Fälle.

So soll es bei der Familienpflegezeit auch laufen. Denn das Modell ist für beide Seiten hoch attraktiv: Die Unternehmen haben kein Risiko und keine Kosten, aber die Chance, gute Leute im Betrieb zu halten. Das ist auch keine Frage des guten Willens, sondern in Zeiten des Fachkräftemangels ist Familienfreundlichkeit ein harter Wettbewerbsfaktor.

Und die Pflegenden können Verantwortung für ihre Angehörigen übernehmen, dabei im Beruf bleiben und haben keine Nachteile zu fürchten. Vor allem die kleineren und mittleren Einkommen profitieren, weil sie keine Einbußen bei den Rentenansprüchen haben.

Ärzte Zeitung: Kritiker sagen, die Frist von zwei Jahren zum Aussetzen aus dem Beruf sei zu kurz.

Schröder: Bislang haben Pflegende nur die Möglichkeit, insgesamt sechs Monate ohne Lohnausgleich die Arbeitszeit zu reduzieren oder auszusteigen. Die Familienpflegezeit sieht zwei Jahre mit Lohnaufstockung vor: das ist ein klarer Fortschritt!

Darüber hinaus kann ein Pflegefall von verschiedenen Angehörigen nacheinander betreut werden - also etwa erst vom Sohn, dann von der Tochter und dann von der Schwiegertochter. Dadurch kann ebenfalls ein längerer Zeitraum abgedeckt werden.

Ärzte Zeitung: Wäre es sinnvoller die Pflegestützpunkte flächendeckend auszubauen?

Schröder: Wir sollten verschiedene Instrumente nicht gegeneinander ausspielen! Der Pflegestützpunkt dient der Beratung und Orientierung für Pflegebedürftige und Angehörige. Die Familienpflegezeit ist eine Hilfe, die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu erleichtern. Beide Maßnahmen sind notwendig, und beide ergänzen sich.

Ärzte Zeitung: Bei dem in Ihrem Ministerium geplanten Kinderschutzgesetz rügen Kinderärzte, dass es weiterhin keine Möglichkeit gibt, sich ohne Einverständnis der Eltern mit anderen Betreuern des Kindes auszutauschen.

Schröder: Wir haben über ein Jahr lang in einem sehr konstruktiven fachlichen Prozess unter Einbindung aller Akteure dieses Gesetz vorbereitet. Die "Befugnisnorm" im neuen Bundeskinderschutzgesetz legt nun fest, dass der Arzt das Jugendamt informieren kann, er muss es aber nicht.

Wäre es eine Pflicht, könnte das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Arzt so geschädigt werden, dass die Eltern nicht mehr mit ihrem Kind zum Arzt gehen.

Aktuelle Vorhaben im Familienministerium

Einige Gesetze, die das Bundesfamilienministerin derzeit plant oder die bereits verabschiedet sind, betreffen auch Ärzte und andere Akteure im Gesundheitswesen.

Mit dem Kinderschutzgesetz sollen Kinder, die misshandelt oder vernachlässigt werden, schneller entdeckt werden. So soll sich ein Arzt, der bei einer Untersuchung den Verdacht auf eine Misshandlung hegt - ohne Nennung des Namens des betroffenen Kindes - beim Jugendamt beraten lassen können.

Diese Beratung soll ihm helfen, beurteilen zu können, ob er mit seinem Verdacht richtig liegt. Im Gespräch mit den Eltern soll der Pädiater oder Hausarzt Lösungsmöglichkeiten ausloten. Das Gesetz bestimmt auch klar die Voraussetzungen, unter denen Ärzte befugt sind, Informationen an das Jugendamt weiterzugeben.

So ist die Weitergabe von Daten nicht rechtswirdrig, "wenn bei einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib und Leben der Schutz des Kindes das Interesse an der Geheimhaltung der Informationen deutlich überwiegt".

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte kritisiert das Gesetz: Der Rechtsanspruch auf Beratung durch das Jugendamt für den Arzt bestehe zwar, allerdings hätten die Ämter oft nicht die Kapazitäten, eine solche Beratung für den Arzt anzubieten.

Das geplante Gesetz zur Pflegezeit soll es Angehörigen von Pflegebedürftigen ermöglichen, die häusliche Pflege mit dem Beruf zu vereinbaren. Mit einer Zeitkontenregelung sollen Angehörige maximal zwei Jahre ihrer Arbeitszeit um 50 Prozent reduzieren können.

Um finanzielle Einbußen abzufedern, sollen sie während dieser Zeit 75 Prozent des vorherigen Gehaltes bekommen. Kritiker finden die Frist von zwei Jahren zu kurz: Viele Pflegebedürftige müssten etwa sechs bis sieben Jahren betreut werden. In Deutschland werden von den 2,38 Millionen Menschen, die Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen, etwa 1,6 Millionen zu Hause gepflegt.

Das Gesetz zum Bundesfreiwilligendienst, das zum 1. Juli in Kraft tritt, betrifft vor allem Rettungs- und Pflegedienste sowie Kliniken. Mit dem Wegfall der Wehrpflicht entfällt auch der Zivildienst. Der Bundesfreiwilligendienst soll rund 35 000 Menschen begeistern. Experten halten diese Zahl für deutlich zu hoch.

Die Länder, die das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) oder das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) anbieten, sehen den Bundesfreiwilligendienst kritisch: Sie befürchten, dass ihre Stellen, die finanziell weniger attraktiv sind, nicht mehr besetzt werden.

Ärzte Zeitung: Wird diese bundeseinheitliche Regelung von der Ärzteschaft nicht schon lange gefordert?

Schröder: Ja, und ich finde, mit gutem Recht: Denn die Regelungen in den einzelnen Bundesländern dazu sind sehr unterschiedlich und häufig verwirrend, zumal Kinderschutzfälle auch länderübergreifende Auswirkungen haben können.

Jetzt kann das Jugendamt bereits dann informiert werden, wenn gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen. Nach geltendem Bundesrecht ist dies nur möglich, wenn eine akute Gefährdungssituation für Leib oder Leben des Kindes dies dringend erfordert.

Was aber nicht übersehen werden darf: Vorrang hat immer das vertrauensvolle Gespräch des Arztes mit den Eltern. Der Arzt sollte bei den Eltern dafür werben, selbst im Rahmen ihrer elterlichen Erziehungsverantwortung die notwendigen Schritte zum Schutz des Kindes zu unternehmen.

Diese beiden Schritte: 1. Werben bei den Eltern, 2. Informierung des Jugendamtes, kommen in der Vorschrift klar zum Ausdruck.

Ärzte Zeitung: Reicht das?

Schröder: Zur Unterstützung bei der Entscheidung über das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung, führen wir außerdem einen Rechtsanspruch auf fachliche Beratung für Berufsgeheimnisträger wie Kinderärzte und Betreuer in Kindertageseinrichtungen ein.

Wenn sie sich also nicht sicher sind, wie konkret der Verdachtsfall ist, können sie beim Jugendamt kompetenten Rat einholen. Dass das Jugendamt der zuständige Adressat für Kinderärzte oder Betreuer ist, wenn sie eine Kindeswohlgefährdung annehmen, halte ich für richtig.

Wir brauchen eine zentrale Stelle, die Informationen und Hinweise zusammenführt und weitergibt. Wenn nun parallel auch noch ein unmittelbarer Informationsaustausch unter den Kinderärzten, Betreuern oder anderen Akteuren stattfindet, würden hochsensible Daten unkontrolliert ausgetauscht werden. Das wäre meines Erachtens nicht zu verantworten.

Ärzte Zeitung: Ein zentraler Baustein des Kinderschutzgesetzes sind aus Ihrer Sicht die Familienhebammen. Allerdings wird nicht geklärt, wem die Hebammen unterstehen.

Schröder: Familienhebammen sind keine neue Erfindung, sondern staatlich examinierte Hebammen mit einer Zusatzqualifikation, die zum Teil schon seit über zehn Jahren in Deutschland angeboten wird. Grundsätzlich sind für die Familienhebammen die Länder und Kommunen verantwortlich.

Die Familienhebammen sind allerdings nicht einseitig entweder der Jugendhilfe oder dem Gesundheitssystem zuzuordnen. Es gibt Familienhebammen, die beim Jugend- oder Gesundheitsamt oder auch bei einem freien Träger angestellt sind.

Die Mehrheit arbeitet aber freiberuflich auf Honorarbasis. Um die Aktivitäten der Familienhebammen von Ländern und Kommunen zu unterstützen, hat der Bund beschlossen, ab 2012 für vier Jahre 30 Millionen Euro jährlich für die "Bundesinitiative Familienhebammen" zu investieren.

Von dieser Investition sollen in erster Linie und ganz konkret belastete Familien und ihre Kinder profitieren. Zuständig für die Fortbildung zur Familienhebamme sind nach wie vor die Länder, die diese mit jeweils unterschiedlichen Partnern gestalten.

Das sind beispielsweise die Landesberufsverbände, Stiftungen oder Fortbildungsinstitute. Sie orientieren sich bei ihren Schulungen meistens an einem vom Deutschen Hebammenverband entwickelten Fortbildungsprogramm.

Ärzte Zeitung: Als Familienministerin sind Sie auch für den "Bundesfreiwilligendienst" zuständig. Sie gehen davon aus, dass sich dafür bereits ab Sommer über 35 000 Jugendliche melden werden. Ist Ihre Zahl nicht unrealistisch?

Schröder: Wir haben von Anfang an klar gemacht, dass sich der künftig entfallende Zivildienst nicht 1:1 wird ersetzen lassen können. Unser Ziel ist es, für den Bundesfreiwilligendienst 35.000 Menschen zu gewinnen.

Das ist ein ehrgeiziges Ziel, das wir aber bald erreichen können. Denn von den Trägern des Freiwilligen Sozialen Jahres wissen wir, dass es in den vergangenen Jahren doppelt so viele Bewerber wie Stellen gab - nämlich insgesamt rund 70.000 Bewerbungen.

Wir haben also zusätzlich zu den derzeit 35 000 Aktiven im Freiwilligen Sozialen Jahr künftig das Potenzial, eine ebenso große Anzahl Engagierter für den Bundesfreiwilligendienst zu gewinnen. Hinzu kommt, dass aktuell beim Zivildienst über die Hälfte der Zivis ihren Dienst freiwillig verlängern. Ich betone: Freiwillig, ohne Zwang. Das zeigt, dass die Bereitschaft sehr groß ist.

Ärzte Zeitung: Braucht es da nicht zusätzliche Anreize?

Schröder: Darüber machen wir uns natürlich auch Gedanken, zumal einige Tätigkeiten sicherlich stärker nachgefragt werden als andere. Zu möglichen Anreizen gehören etwa die Anrechnung der Freiwilligenzeit als Wartesemester für das Studium oder auch die Möglichkeit, in dieser Zeit den Schulabschluss nachzuholen.

Hier erwarte ich von den Bundesländern, die für diese Bildungsfragen ja zuständig sind, ein klares Bekenntnis zu den Freiwilligen.

Die Fragen stellten Rebecca Beerheide und Sunna Gieseke

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