Laumann über die Pflegereform

"Es wird nicht nur Gewinner geben"

Die Allgemeinmedizin darf sich nicht verstecken, sagt Staatssekretär Karl-Josef Laumann. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" lobt er außerdem Hausarztverträge und fordert besseren Patientenschutz auch in Sachen Hygiene. Vor allem aber erklärt er die bevorstehende Pflegereform.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Karl-Josef Laumann: Die Pflegebeiträge sind nicht für weitere Begehrlichkeiten gedacht.

Karl-Josef Laumann: Die Pflegebeiträge sind nicht für weitere Begehrlichkeiten gedacht.

© Mike Wolff / dpa

Ärzte Zeitung: Das erste Gesetz der großen Koalition zur Pflege steht in den Startlöchern. Damit kommen 3,6 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich ins System, von denen 1,2 Milliarden in den Vorsorgefonds fließen sollen. Für welche weiteren Ausgabepositionen sind die verbleibenden 2,4 Milliarden Euro vorgesehen?

Karl-Josef Laumann: Ich will nur so viel sagen: Wir wollen die Betreuungsleistungen in der ambulanten und stationären Pflege dynamisieren, flexibler gestalten und ausbauen. Dabei geht es etwa um die Einstellung zusätzlicher Betreuungskräfte. Und es geht darum, Sonderleistungen wie die Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege besser zu kombinieren.

Wie ist der Pflegebevollmächtigte eingebunden in die Arbeit am Gesetz, nachdem es im Ministerium eine eigene Abteilung zur Pflege gibt?

Karl-Josef Laumann (CDU)

Aktuelle Positionen: Beamteter Staatssekretär im Gesundheitsministerium; Bevollmächtigter der Bundesregierung für Patientenrechte und Pflege

Werdegang/Ausbildung: Gelernter Maschinenschlosser

Karriere: Laumann war von 2005 bis 2010 Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen; von 2010 bis 2013 Fraktionsvorsitzender der CDU im NRW-Landtag

Privates: geb. 1957 in Riesenbeck, katholisch, verheiratet, Vater von drei Kindern

Laumann: Es ist richtig, dass es im Ministerium dazu eine Abteilung gibt. Die Pflege soll in dieser Legislaturperiode schließlich einen größeren Stellenwert haben gegenüber anderen Themen in der Gesundheitspolitik. Ich habe den Eindruck, dass die Fachabteilung das fachlich sehr gut vorbereitet, dass ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht wird.

Dass ich in diesen Prozess sehr gut eingebunden bin, sehen Sie alleine schon daran, dass es keine Besprechung zum Thema Pflege gibt, an dem mein Team und ich nicht beteiligt sind. Mein Amt lebt sehr davon, dass man mit Fachlichkeit und Authentizität gewisse Gesichtspunkte einbringt und so die Pflege stärker an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet.

Welche Gesichtspunkte?

Laumann: Sie können sich vorstellen, dass ich viel Wert darauf lege, dass man die Dinge nicht zu kompliziert macht. Man muss es ja so machen, dass alle, die zu Hause pflegen, wissen, dass es Zusatzleistungen wie Haushaltsführung und Betreuung gibt. Und nicht so, dass nur die profitieren, die sowieso immer wissen, wie man sich gegenüber dem Staat durchsetzt und aus der Sozialversicherung Leistungen bekommt.

Und es gibt einen zweiten Punkt, den es bei der zweiten Stufe der Pflegereform stärker zu beachten gilt: nämlich dass das Beitragsgeld ausschließlich für die Pflegebedürftigen da ist, und für diejenigen, die die Pflegearbeit leisten.

Und nicht für weitere Begehrlichkeiten. Ich werde sehr darauf achten, dass mit den Beiträgen zur Pflegeversicherung nichts anderes gemacht wird, als die Sicherung und Verbesserung der Pflege zu bezahlen.

Insofern ist es schon einmal gut, dass es einen gibt, der mit seinem Stab darauf achtet, dass es nicht angehen kann, dass die Pflegeversicherung etwas finanziert, was heute schon von anderen bezahlt wird.

Zum Beispiel?

Laumann: Pflegeschulen zum Beispiel, oder Stadtteilmanagement. Das ist alles wichtig, aber dafür ist nicht die Pflegeversicherung da. Sie ist dafür da, dass wir Pflegeaufwand bezahlen.

Als man die SPV geschaffen hat, - ich bin ja einer der wenigen aktiven Politiker heute, die damals schon dabei waren - da gab's eine Abmachung: Wir machen die Pflegeversicherung, die ist für Pflegeaufwand da, und die Länder sind für die Infrastrukturzuständig. Daran erinnern sich manche nicht mehr.

Gibt es dafür Bereitschaft bei den klammen Kommunen?

Laumann: Davon bin ich fest überzeugt. Zur Zeit stecken die Kommunen ihre Ressourcen insbesondere in den Ausbau der Kinder- und Schülerbetreuung, in Ganztagsschulen und so weiter. Diese Strukturen werden in zwei, drei Jahren stehen. Und ich bin ziemlich sicher, dass dann die Pflege zum Riesenthema wird. Wie ist unsere Gemeinde aufgestellt für Ü85?

Dann wird es darum gehen: Sind die Wohnungen so, dass auch Menschen, deren Bewegungsradius eingeschränkt ist, sie noch bewirtschaften können, dass sie sich versorgen können, dass sie barrierefrei sind? Das gilt sowohl für das Land als auch für die Stadt. Ganz entscheidend wird die Lage sein. Gibt es ein Lebensmittelgeschäft, eine Sparkasse, eine Apotheke, Arztpraxen?

Verbände wie der vdk und die Alzheimer-Gesellschaft kritisieren den geplanten Vorsorgefonds. Er entziehe dem System das Geld, einen erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff umzusetzen...

Laumann: Der Fonds ist je nach politischer Einstellung umstritten. Die Linke zum Beispiel hält ihn für Quatsch. Ich bin ein großer Befürworter des Vorsorgefonds.

Ich glaube, dass es in die Zeit passt, dass wir sagen: Wir stellen uns jetzt in einer Sozialversicherung auf den Tag ein, wo die Baby-Boomer-Generation zu Leistungsempfängern wird. Und dafür jetzt etwas wegzulegen, halte ich für eine gute Idee - auch wenn wir dafür ein Zehntel Beitragspunkt mehr in Kauf nehmen müssen.

Die Bundesbank sagt, das Geld sei nicht sicher...

Laumann: Bei einer Rücklage ist immer das Problem, dass man sie nie sicher machen kann vor Politik. Politik kann alles. Sie kann sogar die Verfassung ändern. Aber wir sagen heute, wir wollen das Geld zweckgebunden für die Jahre nach 2030 haben.

Wenn einer unterwegs auf die Idee kommt, es verfrühstücken zu wollen, sollte man ihm den Brotkorb möglichst hoch hängen. Dass er so weit aus der Deckung muss, dass man ihn dabei auch sieht. Mittels geheimer Kommandosachen soll keiner an den Fonds herankommen.

Der Pflegebedürftigkeitsbegriff soll noch in dieser Legislatur umgesetzt werden. Ist damit gemeint, dass bis 2017 die angekündigten Erprobungen starten, oder dass der Begriff komplett umgesetzt werden kann?

Laumann: Man braucht Zeit, um den Pflegebedürftigkeitsbegriff vernünftig umzusetzen. Zunächst müssen wir untersuchen, ob es Gewinner und Verlierer gibt. Das müssen wir mit den MDK und einer Reihe von Menschen, die neu pflegebedürftig werden, quer durch alle Bundesländer untersuchen. Der neue Begriff bedeutet auch, dass mit den Einrichtungen Pflegesätze neu verhandelt werden müssen. Das geht nicht von heute auf morgen.

Eines muss ganz klar sein: Wir müssen den neuen Begriff in dieser Wahlperiode komplett umsetzen, ganz eindeutig. Es nimmt uns niemand mehr ab, wenn wir glauben, dass man das über die Bundestagswahl 2017 schieben kann.

Reicht die Zeit dafür? Müssen dann nicht alle Empfänger von Pflegeleistungen neu begutachtet werden?

Laumann: Die Kommission zur Begutachtung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs hat gesagt, alle, die ab einem bestimmten Stichtag pflegebedürftig werden, sollen nach den neuen Bedingungen begutachtet werden. Alle, die bereits eine Pflegestufe haben, erhalten Bestandsschutz.

Die beiden Systeme werden also eine Zeit lang parallel laufen?

Laumann: Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff wird die Leistungen gerechter verteilen. Das bedeutet auch: Es wird nicht nur Gewinner geben. Deshalb will man den Menschen, die heute schon eine Pflegestufe haben, Bestandsschutz gewähren. Das sagen die Fachkommissionen.

Wann soll die Reform der Pflegeausbildung angegangen werden?

Laumann: Einen konkreten Zeitplan gibt es noch nicht. Eine Reform der Pflegeausbildung geht nur zusammen mit den Ländern. Am Ende muss stehen, dass man die Pflegeausbildung so macht, dass dadurch der Pflegeberuf attraktiver wird als heute. Viele sagen, das geht mit der Generalistik.

Es gibt aber auch Altenpflegeschulen, die das anders sehen. Deshalb ist es auch wichtig, dass man sich genau anschaut, wie man die Ausbildung von Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflegern sinnvoll zusammenbinden kann.

Ich persönlich halte die Generalistik nach wie vor für eine gute Idee. Am Ende der Operation muss stehen, dass dadurch die Pflegeberufe attraktiver werden. Ansonsten hat man mit Zitronen gehandelt.

Das große Ziel muss sein, dass die Leute eine Reform der Ausbildung als Bereicherung empfinden und nicht als Bestrafung.

Dabei geht es ja auch um die Bezahlung. Ist denn die angekündigte Untersuchung zu den unterschiedlichen Vergütungshöhen in den Regionen auf dem Weg?

Laumann: Der Haushalt 2014 muss im Bundestag erst verabschiedet sein, sonst können wir keine Haushaltsmittel verwenden. Dann werde ich jedoch als erstes eine Expertise in Auftrag geben, wie die Bezahlung von Pflegekräften in den Regionen in Deutschland ausfällt. Da haben wir offensichtlich gewaltige regionale Unterschiede. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Diese Niveauunterschiede auszugleichen, kann Politik nicht diktieren.

Laumann: Bezahlung ist Tarifpolitik. Und Tarifpolitik ist nicht Staat. Die Pflegekräfte müssen wissen: Tarifverträge fallen nicht vom Himmel. Um die muss man sich kümmern.

Dass die Pflege immer zurückgestanden hat, hat ja vielleicht auch dazu geführt, dass andere Berufsgruppen Lohnsteigerungen durchsetzen konnten, die mit Einsparungen bei der Pflege bezahlt worden sind. Das ist eine Frage von Tarifmacht. Der Marburger Bund hat in der Vergangenheit gezeigt, wie man mit Selbstbewusstsein und Tarifmacht die Einkommenssituation für die Klinikärzte verbessern kann.

Diesen Weg könnten die Pflegekräfte auch gehen. Tarifverträge gehören zur sozialen Marktwirtschaft. Und dazu wiederum gehört, dass die Verträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt werden. Die Pflege muss sich dementsprechend gewerkschaftlich organisieren.

Ob sie das über ver.di tut oder anders, muss die Pflege selbst wissen. Das ist nicht meine Baustelle. Aber dass die Pflege, was die Bezahlung angeht, einen ebenbürtigen Stellenwert im Vergleich zu anderen Berufen haben muss: Das ist für mich sonnenklar.

Höhere Löhne in der Pflege machen sie teurer und vergrößern die heute schon klaffenden Vorsorgelücken. Ist denn die gegenwärtige staatliche Förderung für Pflegetagegeldversicherungen, der Pflege-Bahr, eine sinnvolle Förderung?

Laumann: Die ist da. Danach sind Verträge geschlossen. Damit sind Tatsachen geschaffen. Ich finde, die private Vorsorge für den Pflegefall ist aus Sicht des Staates richtig.

Die Stiftung Warentest hat ungeförderte Verträge besser eingestuft als die geförderten...

Laumann: Es steht nirgendwo geschrieben, dass man schlechte geförderte Verträge entwickeln muss. Ich hoffe, dass die Versicherungswirtschaft das vernünftig macht. Denn dabei steht ihre Reputation auf dem Spiel. Sie kann ja nicht immer dann schlechte Verträge anbieten, wenn der Staat fördert.

Sie sind auch Patientenbeauftragter. Als solcher haben Sie patientennahe Versorgung als Patientenrecht bezeichnet. Was kann der Patientenbeauftragte denn tun, um die hausärztliche Versorgung zu stärken?

Laumann: Der Patientenbeauftragte muss im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür sorgen, dass die Menschen in allen Regionen Deutschlands eine gute medizinische Versorgung haben. Was nützen die besten Patientenrechte, wenn es keine vernünftigen Versorgungsstrukturen gibt.

Der Hausarzt ist ein wesentliches Element einer aus meiner Sicht vernünftigen Versorgungsstruktur. Es ist wichtig, dass wir mit diesem Amt hier deutlich machen, dass das ein Thema ist. Und dass wir in eine Katastrophe laufen, wenn sich in den nächsten Jahren nichts tut.

Ich finde die Erleichterungen für die Hausärzteverträge deshalb richtig. Wenn die hausärztliche Tätigkeit durch die Verträge attraktiver wird, werden mehr Menschen bereit sein, Hausarzt zu werden. Der Patientenbeauftragte muss auch die Ärzteausbildung zu einem politischen Thema machen.

Hochschulen sind Politik und vor allem Sache der Länder. Es muss diskutiert werden, ob wir genug junge Leute zu Hausärzten ausbilden und ob wir die richtigen ausbilden.

Aber das Wichtigste ist eigentlich, dass die Allgemeinmedizin sich nicht verstecken muss, sondern dass sie auf Augenhöhe mit den anderen Disziplinen in der Medizin steht.

Denn wenn es so bleibt, dass die Allgemeinmedizin in medizinischen Fakultäten als Aschenputtel angesehen wird, dann darf man sich nicht wundern, dass wir aus diesem System zur Zeit zu wenig Allgemeinmediziner bekommen.

Und noch etwas: Es kann nicht sein, dass wir in den Städten Ärzte haben und auf dem Land sagen wir den Versicherten, ihr werdet von Schwester Agnes oder Verah betreut. Das geht nicht.

Damit müssen sich die Krankenkassen beschäftigen. Sie können ja nicht zulassen, dass die Versicherten auf dem Land für den gleichen Beitrag eine schlechtere Versorgung haben als die Versicherten in Ballungszentren.

Ihr Einsatz für die Allgemeinmedizin in allen Ehren, aber was ist mit der geplanten Parität von Haus- und Fachärzten in den Gremien eigentlich genau gemeint?

Laumann: Wir haben einen klaren Koalitionsvertrag in dieser Frage. Er sagt, dass hausärztliche Fragen von Hausärzten behandelt und fachärztliche Angelegenheiten von Fachärzten geklärt werden sollen.

So wie ich die Situation nun wahrnehme, glaube ich, dass dies der richtige Weg ist. Wir wollen damit auch die Auseinandersetzungen in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entschärfen wollen.

Die Budgets sind schon getrennt...

Laumann: Ja, aber es kann nicht sein, dass die eine Gruppe die andere niederstimmt. Das soll mit der Neuregelung verhindert werden.

In den Krankenhäusern gibt es Hygieneprobleme. Werden Sie eingreifen?

Laumann: Patientenrechte darf man nicht nur unter dem Gesichtspunkt Haftungsansprüche diskutieren. Hygiene im Gesundheitssystem ist Patientenschutz. Das liegt auf der Hand. Da muss man schauen, ob es noch zeitgemäß ist, wie wir damit zur Zeit umgehen. Die Screening-Tests sind viel billiger geworden.

Hier stellt sich die Frage, ob man die Tests nicht zumindest deutlich ausweiten bzw. daran arbeiten muss, das alle gescreent werden. Manche Krankenhäuser machen das übrigens schon - wie ich höre, mit guten Ergebnissen.

Ich glaube auch, dass vor planbaren Operationen ein Test beim Hausarzt nützlich sein könnte. Wir werden das in den nächsten Wochen gründlich inhaltlich aufarbeiten. Ich glaube, dass in dieser Frage etwas zu bewegen ist.

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