Pflegeexperte Rüddel

"Wichtig ist eine Reform, die die Pflege stärkt!"

Der Pflegeexperte der Unionsfraktion Erwin Rüddel sagt, die Reform der Pflegeberufe sei nur zu retten, wenn die Befürworter der Generalistik Bedingungen akzeptieren.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Ausbildung von Altenpflegeschülerinnen. Über eine generalistische Ausbildung der Pflegeberufe gehen die Meinungen in der Koalition auseinander.

Ausbildung von Altenpflegeschülerinnen. Über eine generalistische Ausbildung der Pflegeberufe gehen die Meinungen in der Koalition auseinander.

© Büttner/dpa

Ärzte Zeitung: Herr Rüddel, was ist Ihrer Ansicht nach am aktuellen Regierungsentwurf des Pflegeberufsgesetzes falsch?

Erwin Rüddel: Derzeit haben viele Praktiker die Sorge, dass die Inhalte der Krankenpflege – bedingt durch EU-Vorgaben – die Reform dominieren und die Besonderheiten der Kinderkrankenpflege und der Altenpflege zu kurz kommen.

Hinzu kommt, dass, während in der Krankenpflege überwiegend Abiturienten und Realschüler einen Abschluss machen, es in der Altenpflege ein wesentlich breiteres Spektrum an Bildungsabschlüssen – beginnend bei den Hauptschülern – und sehr viele Quereinsteiger gibt.

Es besteht die Gefahr, dass sich Hauptschulabsolventen zukünftig seltener für eine Pflegeausbildung entscheiden werden, wenn sich das Ausbildungsniveau an die Krankenpflege anpasst.

Ist das die Auffassung der gesamten Unionsfraktion?

Erwin Rüddel

Aktuelle Position: Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Pflegepolitik, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages

Ausbildung: Diplom-Betriebswirt, von 1993 bis 2009 Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Senioren-Residenz Bad Arolsen GmbH

Privates: Jahrgang 1955, verheiratet, zwei Kinder

Rüddel: Innerhalb der Unionsfraktion diskutieren wir intensiv, um die beste Lösung für die Pflegeberufe zu finden. Bei der Reform der Pflegeberufe steht aus meiner Sicht nicht die Frage pro oder kontra Generalistik im Mittelpunkt.

Ziel ist vielmehr, eine hochwertige und attraktive Ausbildung – im Sinne der Pflegekräfte und im Sinne der Pflegebedürftigen.

Es gibt einen Kompromissvorschlag aus der SPD, das Gesetz in der aktuellen Fassung zu beschließen, aber die bestehenden Berufsgesetze für zehn Jahre nicht außer Kraft zu setzen. Könnten Sie damit leben?

Rüddel: Ich begrüße die Initiative, die ursprünglich von GKV-Vorstand Gernot Kiefer ausging, eine Zeit lang mehrere Ausbildungswege zuzulassen.

Es wäre besser, wenn sie jeweils die Möglichkeit erhielten, sich zu bewähren, bevor die gesamte Pflegeausbildung komplett auf den Kopf gestellt wird – mit durchaus ungewissem Ausgang.

Ich halte es für denkbar, das Konzept des derzeitigen Gesetzentwurfs in einem Bundesland zu erproben. Da sowohl Gesundheits- wie auch Familienministerium bereit sind, jährlich bis zu 746 Millionen Euro aus der Pflegeversicherung für die generalistische Berufsausbildung bereitzustellen, könnten diesem Bundesland anteilig Mittel für die Erprobung zur Verfügung gestellt werden.

Risiko und Kosten blieben überschaubar und man könnte in einigen Jahren evaluieren, ob sich die Ausbildungszahlen und das Lohnniveau in der Pflege in diesem Bundesland tatsächlich erhöht haben.

Sollte das so sein, könnte das Modell innerhalb kurzer Frist auf ganz Deutschland ausgedehnt werden.

Gibt es weitere Kompromisslinien, auf die man sich einigen könnte?

Rüddel: Eine Möglichkeit könnte eine integrierte Ausbildung sein, die zwei Jahre gemeinsames Lernen und im dritten Jahr auf die drei Berufe ausgerichtetes spezialisiertes Lernen beinhaltet.

Wir würden einen evolutionären Wandel hin zu einer gemeinsamen Berufsausbildung erreichen, ohne die Pflegekräfte in den einzelnen Berufszweigen fachlich zu überfordern und ohne die völlige Aufgabe der jeweiligen beruflichen Identitäten.

Eine Lösung, die auch den Vorstellungen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden nahe kommt. Wir sollten das Risiko vermeiden, die bestehenden Strukturen völlig aufzugeben, ohne zu wissen, welche Folgen das für die einzelnen Pflegebereiche und letztlich für die Pflegebedürftigen haben wird.

Diese ,2+1-Lösung‘ würde im Übrigen zu hundert Prozent den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag entsprechen. Hier heißt es: ,Der Wechsel zwischen den Berufen in der Pflege muss erleichtert werden.

Wir wollen die Pflegeausbildung reformieren, indem wir mit einem Pflegeberufegesetz ein einheitliches Berufsbild mit einer gemeinsamen Grundausbildung und einer darauf aufbauenden Spezialisierung für die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege etablieren.‘

Welche Signale empfangen Sie zum Thema Pflegeberufsgesetz vom Koalitionspartner?

Rüddel: Abgesehen davon, dass von einer Abgeordneten der Vorschlag von Herrn Kiefer aufgegriffen wurde, sind die Befürworter der dreijährigen generalistischen Pflegeausbildung leider bisher zu keinerlei Kompromissen oder Zugeständnissen bereit gewesen, obwohl ihr Modell sich bisher in keiner Weise in der Praxis bewährt hat.

Sollte die Reform der Pflegeberufe noch zu retten sein, müssen sich die Befürworter der Generalistik von einer bedingungslosen dreijährigen gemeinsamen Ausbildung lösen, die gerade in der Kinderkrankenpflege und Altenpflege Ängste und Vorbehalte auslöst.

Mit viel Verhandlungsgeschick konnte erst in der letzten Legislaturperiode die EU-Initiative abgewendet werden, nur noch mit Abitur eine Pflegeausbildung beginnen zu können. Jetzt darf dieses Brüsseler Begehren nicht durch die Hintertür eingeführt werden

Ist die zum Gesetz gehörige Verordnung in der Zwischenzeit inhaltlich aussagekräftig?

Rüddel: Leider nein. Viele einzelne Punkte sind in der bis jetzt vorliegenden Fassung der Verordnung noch sehr vage gehalten. Bevor nicht eine aussagekräftigere Version der Verordnung vorliegt, kann meines Erachtens sowieso nicht über dieses Gesetz abgestimmt werden, da eben viele Details zu den Ausbildungsinhalten in der Verordnung und nicht im Gesetz geregelt werden.

Die Zusage für eine umfassend ausformulierte Verordnung inklusive einer angemessenen Zeitspanne, diese zu diskutieren, habe ich schriftlich vom Bundesministerium für Gesundheit.

Wieviel Zeit bleibt, um den Gesetzentwurf vor der Diskontinuität zu retten?

Rüddel: Zeit darf nicht das bestimmende Kriterium sein. Wichtig ist eine Reform, die die Pflege stärkt. Wir dürfen nicht eine Reform beschließen, die eventuell die Altenpflege nachhaltig schädigt, nur um fristgerecht gehandelt zu haben.

Welche Konsequenzen hätte ein Scheitern des Entwurfs? Droht dann perspektivisch Arbeitskräftemangel in der Pflege?

Rüddel: Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in der Altenpflege brummt derzeit förmlich. Ich befürchte also eher umgekehrt, dass dieser Trend durch die geplante Generalistik gebremst werden könnte.

Sollte es tatsächlich zu einem Scheitern kommen, wäre es wichtig, besonders die Altenpflege weiter zu entwickeln, um diese Berufsausbildung weiterhin zu stärken.

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