Altenpflege
"Neue Wege sind Pflicht"
Über 2500 fehlende Altenpfleger allein in Hessen: Landesgesundheitsminister Stefan Grüttner (CDU) erklärt im Interview, warum er auf Modellprojekte setzt – und wie Erfolge unter der Generalistik weiter wachsen könnten.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Inwiefern sind Projekte, die die Pflegeausbildung für neue Zielgruppen öffnen, nötig im Kampf gegen den Fachkräftemangel?
Stefan Grüttner: Neue Projekte sind notwendig, um für dieses Berufsbild zu werben und seinen Ruf zu verbessern. Die Pflege – insbesondere die Altenpflege – ist wie kaum ein anderer Sektor durch einen großen Fachkräftebedarf gekennzeichnet.
Allein in Hessen fehlten 2014 2557 Altenpfleger. Es ist zu erwarten, dass aufgrund des demografischen Wandels bis zum Jahr 2020 um 3172 Altenpfleger und 2069 Gesundheits- und Krankenpfleger aufgestockt werden muss, um die bestehende Versorgungsqualität beizubehalten.
Diese Zahlen zeigen deutlich, dass gerade auch mit Blick auf sich weiterentwickelnde Versorgungsstrukturen weiter neue Wege bei der Gewinnung von Zielgruppen gegangen werden müssen.
Denn aktuell übersteigt die Nachfrage nach Pflegekräften regelmäßig das Angebot an Absolventen, vermittelbaren Arbeitslosen mit einer Pflegeausbildung oder arbeitslosen Personen mit Interesse an einer Umschulung auf einen Pflegeberuf.
Wo sind Grenzen dieser Öffnung? Wie gehen Sie mit Bedenken um, dass die Qualität der Pflege leidet?
Man muss sich zunächst vergegenwärtigen, dass sich das Modellprojekt auf die Berufe der qualifizierten Helferebene bezieht, sprich Fachpraktiker Hauswirtschaft und Altenpflegehilfe.
Diese sind dem Niveau nach für Hauptschüler geeignet und qualifizieren für die Ausübung von Helfertätigkeiten unter der Anleitung und Verantwortung von Fachkräften. Bisher sind die Rückmeldungen aus der Praxis zu den Teilnehmern der Pilotklasse überwiegend positiv.
Wie schnell könnte ein solches Modellprojekt in die Regelversorgung übergehen?
Bei dem laufenden Modellprojekt sind drei Ausbildungsgänge geplant. Die Erfahrungen sind dann wissenschaftlich fundiert auszuwerten. Ob und in welcher Form das Ausbildungsangebot dann zu einer gesetzlichen Änderung im Sinne der Schaffung eines neuen Berufs führen wird, muss ergebnisoffen sein.
Wichtig ist, dass mit dem Modell ein Weg aufgezeigt und erprobt wird, wie unter Einhaltung der bestehenden Berufsgesetze eine integrierte Ausbildung mit formal zwei Abschlüssen durchgeführt werden kann.
Ob es zwingend notwendig ist, die Regelausbildung der Helferausbildung grundsätzlich in die erprobte Richtung weiterzuentwickeln oder ob die Helferausbildung zukünftig zu einer zweijährigen generalistischen Pflegeassistenzausbildung (Krankenpflegehilfe und Altenpflegehilfe, Berücksichtigung von Inhalten der Hauswirtschaft) weiterentwickelt wird, ist derzeit noch nicht absehbar.
Wäre als weiterer Schritt denkbar, dass künftig auch Menschen ohne Hauptschulabschluss in die Pflege gehen können?
Grundsätzlich ist es für die Regelausbildung – also für Auszubildende ohne Lernbeeinträchtigung und ohne Ausbildungsverlängerung – nicht beabsichtigt, den Hauptschulabschluss als Zulassungsvoraussetzung abzuschaffen.
Im Rahmen von Evaluierungen gibt es Überlegungen, Personen zuzulassen für die Ausbildungen, wenn am Ende dieser dann auch der Hauptschulabschluss steht.
Inwiefern muss darüber hinaus auch an den Rahmenbedingungen – etwa der Vergütung – geschraubt werden, um die Pflege attraktiver zu machen? Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Generalistik ein?
Fragen der Vergütung sind Aufgabe der Tarifpartner. Es ist darüber hinaus festzustellen, dass die Vergütungen in der Pflege besser als ihr Ruf sind. Mit der beabsichtigten Weiterentwicklung der Fachkraftausbildung durch das Pflegeberufereformgesetz wird es auf Dauer nicht haltbar sein, dass in der Altenpflege geringere Tariflöhne bestehen als im Bereich der Krankenhäuser.
Wenn mit der neuen Ausbildung alle gleich gut qualifiziert sind, besteht die Hoffnung, dass sich auch die Löhne in den Versorgungssektoren angleichen werden.
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