Chronisch kranke Kinder
Zu viel oder zu wenig Reha?
In Deutschland gibt es Millionen chronisch kranke Kinder und Jugendliche. Der Reha-Bedarf für sie ist hoch - doch die Zahl der Maßnahmen sinkt. Keiner kann sich das so richtig erklären. Jetzt wollen die Kliniken gegensteuern, denn auch für sie hat der Trend negative Folgen.
Veröffentlicht:WESTERLAND. Bundesweit verlegen sich immer mehr Rehakliniken für Kinder und Jugendliche auf Mutter-Kind-Kuren. Diesen Trend machen die Rehakliniken der Deutschen Rentenversicherung Nord auf Sylt und auf Amrum bisher nicht mit.
Als spezialisierte Häuser ist ihre Auslastung noch hoch. Dennoch bereitet der bundesweit starke Rückgang von Anträgen zur Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen den dort angestellten ärztlichen Leitern Dr. Rainer Stachow (Fachklinik Sylt) und Dr. Christian Falkenberg (Kinderfachklinik Satteldüne, Amrum) große Sorgen. Denn der tatsächliche Bedarf ist ihrer Ansicht nach erheblich größer.
"32.000 abgeschlossene Rehamaßnahmen von Kindern und Jugendlichen bundesweit sind traurig und unplausibel", sagt Stachow. Über fehlende Auslastung müssen sich Stachow und Falkenberg im Gegensatz zu vielen Kollegen anderer Reha-Einrichtungen noch keine großen Gedanken machen.
Die Spezialisierung auf Diabetes (Sylt) beziehungsweise Mukoviszidose (Amrum) sorgt bislang für volle Häuser. Bundesweit ist die Tendenz zum Reha-Rückgang unter Jugendlichen aber eindeutig: 2008 waren es noch 37.568.
Zugleich leiden immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland unter chronischen Erkrankungen wie etwa Adipositas, Atemwegs- oder Hauterkrankungen. Laut Robert-Koch-Institut gibt es rund 3,2 Millionen jugendliche Chroniker.
Wenn man von rund einem Viertel schwerer Betroffener, die alle vier Jahre eine Rehamaßnahme benötigen ausgeht, müsste der Bedarf also um ein Vielfaches höher sein.
Eltern geben zu schnell auf
Stachow, der 2. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendrehabilitation ist, hat beobachtet, dass viele Eltern nach Ablehnungen ihrer Anträge nicht nachhaken. Dies allein erklärt den Rückgang aber nicht.
Auch vielen Ärzten ist seiner Erfahrung nach nicht bewusst, dass eine stationäre Reha Kindern, die ambulant nicht optimal eingestellt werden können, weiterhelfen könnte.
Aus Sicht von Kinder- und Jugendärzten gibt es zusätzliche Hürden, wie Dehtleff Banthien, Vorsitzender des Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Schleswig-Holstein, auf Nachfrage sagte. Nach Beobachtungen der Pädiater gebe es eine schleppende und widerwillige Bewilligungspraxis und Unklarheiten in der Trägerschaft.
Patienten würden mitunter zwischen den Trägern hin- und rückverwiesen. Außerdem wird das Antragsverfahren in der Reha von den Ärzten als kompliziert wahrgenommen.
Eine geringere Nachfrage kann Banthien nicht bestätigen - Eltern fragten unverändert häufig nach Rehamaßnahmen für ihre Kinder. "Den Rückgang erklären können wir nicht", sagte Banthien, der den Reha-Markt selbst als intransparent empfindet.
Die Kassen haben auch keine einfache Erklärung anzubieten. Laut Ersatzkassenverband gibt es nur Mutmaßungen über die Gründe für den Rückgang der Rehamaßnahmen. Dazu gehört auch die schwierige Gemengelage unter den Sozialversicherungsträgern. Außer in Fachkreisen weiß niemand, wann die Rentenversicherung und wann die Krankenkasse eine Maßnahme bewilligen muss.
Kliniken fokussieren Niedergelassene
Im Kieler Sozialministerium gab es bereits einen Runden Tisch zum Thema. "Gerade für chronisch kranke Kinder und Jugendliche ist es wichtig, frühzeitig die Weichen dafür zu stellen, dass sie möglichst unbeeinträchtigt an einem normalen Leben teilhaben können", sagte Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kristin Alheit anschließend.
Dabei, so die Ministerin, könnten die Fachkliniken helfen. Gezielte Maßnahmen wurden bislang aber nicht beschlossen.
Die Kliniken haben jetzt angekündigt, sich besser mit niedergelassenen Ärzten und Angeboten der Jugendhilfe vernetzen zu wollen. Aus gutem Grund: der starke Rückgang in der Belegung bringt viele Häuser, die sich auf die Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen spezialisiert haben, in wirtschaftliche Bedrängnis.
Ausgenommen bislang noch Einrichtungen der Rentenversicherung, die rund 20 Prozent der Reha-Leistungen erbringen und eigene Häuser wie die Fachkllinik Sylt oder die Kinderfachklinik Satteldüne weitgehend auslasten.
In der Fachklinik Sylt sind 130 Mitarbeiter beschäftigt. Für Kinder mit Diabetes ist die Nachfrage dort momentan so hoch, dass gar nicht alle Kinder aufgenommen werden können.
Auf Amrum sind besonders Rehaaufenthalte für Kinder mit Mukoviszidose nachgefragt und in der meisten Zeit des Jahres auch ausgebucht. Eine vergleichbare Leistung bietet allerdings auch nur eine einzige weitere Klinik in Deutschland an.
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