Darmkrebs-Vorsorge
Ein Brief, der bei Männern ankommt
Seit Jahren nehmen immer weniger Menschen von der Darmkrebs-Vorsorge teil. Ein Bündnis aus Kassen und Stiftungen setzt deswegen auf die Einladung per Brief. Der kommt vor allem bei Männern gut an.
Veröffentlicht:BERLIN. Jedes Jahr erkranken etwa 73.000 Menschen neu an Darmkrebs, 26.000 Menschen sterben jährlich daran. "Darmkrebs ist bei Männern und Frauen immer noch die zweithäufigste Krebserkrankung", sagte Dr. Claudia Pieper vom Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie der Universität Essen, am Dienstag in Berlin.
Werde der Darmkrebs jedoch früh entdeckt, betrage die Heilungschance etwa 90 Prozent. Dennoch scheuten viele Menschen die Darmkrebsvorsorge, ergänzte Manfred Puppel, Vorstand des BKK-Landesverbandes Nordwest. Bundesweit nutzten nur drei Prozent der Berechtigten die Koloskopie - die Tendenz sei sogar rückläufig.
Knapp 60 Betriebskrankenkassen haben sich aus diesem Grund zum "Aktionsbündnis Darmkrebs" zusammengeschlossen. Partner des Bündnisses sind die Felix Burda Stiftung, die Stiftung LebensBlicke, das Netzwerk gegen Darmkrebs, der Berufsverband niedergelassener Gastroenterologen (bng) und die "Ärzte Zeitung".
Ihr Ziel: Die Prävention bei Darmkrebs zu verbessern. Dass dies gelingen kann, geht aus der Bilanz hervor, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.
Demnach konnte die Teilnehmerrate an der Darmkrebsprävention deutlich gesteigert werden: Etwa 225.000 Versicherte wurden bislang angeschrieben, 26 Prozent forderten daraufhin einen immunologischen Stuhltest an, die Rücklaufrate - also die tatsächlich vom Arzt abgerechneten Test - betrug immerhin noch 16 Prozent.
Vor allem die Männer konnten offenbar durch die persönliche Einladung zur Darmkrebsvorsorge motiviert werden: Mehr als jeder zweite Teilnehmer (52 Prozent) war männlich, normalerweise liegt diese Teilnahmerate bei rund 16 Prozent.
"Traditionell sind Frauen hier viel aufgeschlossener", sagte Puppel. Bei den Auswertungen der immunologischen Stuhltests seien fünf Prozent als positiv ermittelt worden.
"Das heißt konkret: Rund 2000 Menschen konnte damit eine weitere Abklärung empfohlen werden", so Puppel. Bei der Auswertung der Koloskopie seien zudem Karzinome bei den unter 55-Jährigen entdeckt worden.
Knapp 60 BKKen schreiben ihre Mitglieder an
Zum Hintergrund: Die teilnehmenden Kassen schickten ihren Versicherten zum 55. Geburtstag eine Einladung zur Koloskopie. Bleibt das Schreiben wirkungslos, erhalten die 55-Jährigen erneut Post. Die Kasse empfiehlt ihnen, einen immunologischen Stuhltest zu machen.
Darüber hinaus fordern die Kassen auch die 50- bis 54-Jährigen auf, an der Darmkrebs-Früherkennung teilzunehmen und sich einen solchen Stuhltest zusenden zu lassen. Die BKKen übernehmen dafür die Kosten. Das Verfahren ist noch keine Kassenleistung, daher müssen sich die Kassen die Initiative als Modellvorhaben von der Aufsicht genehmigen lassen.
Bislang wird lediglich der Stuhltest auf okkultes Blut im Stuhl von den Kassen übernommen. "In Studien hat sich gezeigt, dass der 30 Jahre alte Papierstreifentest nicht aussagekräftig genug ist", sagte Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes. Der immunologische Stuhltest gelte momentan als bester Filtertest.
"Wir fordern daher, dass der sehr viel sensitivere immunologische den guajakbasierten Stuhltest als gesetzliche Leistung ablöst", so Knieps.
Die BKKen greifen mit den Einladungsschreiben dem Krebsregister- und -früherkennungsgesetz vor, das am 9. April 2013 in Kraft getreten ist. Damit wurden die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen, die auch die Einführung von organisierten Darmkrebsfrüherkennungsprogrammen mit einem persönlichen Einladungswesen ermöglichen.
"Wir sind aber leider von der Realisierung des Gesetzes noch weit entfernt", sagte Knieps. Das kritisierte auch Dr. Gerhard Brenner, Vorstand der Stiftung LebensBlicke, scharf. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe bis zum 30. April 2016 Zeit, um eine Richtlinie für das Einladungsverfahren zu erstellen.
Evaluation ist entscheidend
"Das ist viel zu lang", so Brenner. Die gesetzlichen Krankenkassen könnten unmittelbar starten, da sie alle Adress- und Geburtsdaten ihrer Versicherten zur Verfügung hätten. Der GBA müsste lediglich die Erfassung und Zusammenführung der Einladungsdaten zur Auswertung aus den verschiedenen Kassen regeln.
Dem stimmte auch Dr. Christa Maar, Vorstand der Felix Burda Stiftung, zu: "Das Einladungsverfahren ist da! Es muss nicht alles neu erfunden werden", forderte sie.
Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, lobte den Weg, Menschen über ein Einladungsverfahren zur Vorsorge zu motivieren. Wichtig sei es, dass die Versicherten über ihre Möglichkeiten informiert werden und aufgrund dessen eine informierte Entscheidung treffen könnten.
Aus diesem Grund sei es auch wichtig, dass alle Versicherten zentral angeschrieben würden. Schließlich müsse auch sichergestellt werden, dass tatsächlich alle erreicht werden, auch dann, wenn zum Beispiel jemand seine Kasse wechsle.
Aus Sicht von Professor Alexander Katalinic, Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, ist die Frage, ob zentral oder von den einzelnen Kassen eingeladen werden, nicht entscheidend.
Viel wichtiger sei die anschließende Evaluation der Daten. "Wir müssen wissen, was daraus geworden ist, wenn die Menschen zur Prävention eingeladen worden sind", so Katalinic. Diese Informationen müssten zentral gespeichert werden. "Es darf nicht vergessen werden, dass wir gesunde Menschen anschreiben", warnte Katalinic.
Kritik: Richtlinie des GBA muss schon früher stehen
Dr. Regina Klakow-Franck, unparteiisches Mitglied des GBA, betonte, der GBA habe bereits im Juni die Arbeit im entsprechenden Unterausschuss aufgenommen. Sie wolle nicht ausschließen, dass der GBA früher als 2016 fertig werde.
Bis dahin seien jedoch einige Fragen zu klären, zum Beispiel, ob die Altersgrenzen beim Einladungsverfahren so bleiben sollen, wie sie sind. Für eine gute Datenbasis sei eine Teilnahmequote von 70 Prozent erforderlich, betonte sie.
Dr. Antonius Helou, Leiter des Referates "Nicht-übertragbare Krankheiten" im Bundesgesundheitsministerium, warnte davor, einer Teilnahmequote hinterher zu jagen. "Da haben wir einen Zielkonflikt", so Helou. Immerhin hätten die Versicherten das Recht, über Risiken und Chancen des Screenings aufgeklärt zu werden.
Das sei beim Darmkrebs zwar weniger kritisch als bei anderen Krebserkrankungen, räumte er ein. Dennoch sei eine gute Qualität der Vorsorge viel wichtiger als eine Teilnahmequote. Das Gesetz ermögliche die Nutzung von Krebsregistern für die Qualitätssicherung und Evaluation der Krebsführerkennungsprogramme.
Damit könnten wichtige Qualitäts- und Erfolgsparameter wie die Senkung der Sterblichkeit an einer Krebserkrankung bei den Teilnehmern an der Krebsfrüherkennung zuverlässig ermittelt werden.
Maar betonte, der GBA habe nun die Möglichkeit, risikoangepasstes Darmkrebs-Screening einzuführen. Dies eröffne insbesondere für Personen mit einem familiär erhöhten Darmkrebsrisiko, die Möglichkeit, dass sie bereits im jüngeren Erwachsenenalter einen Anspruch auf gesetzliche Darmkrebsfrüherkennung erhielten.
Bislang hätten sie diesen Anspruch nicht. Außerdem müssen Maßnahmen eingeführt werden, um familiär mit Darmkrebs belastete Personen und Familien frühzeitig zu erkennen und über risikoangepasste Früherkennungsmaßnahmen beraten zu können, forderte Maar.