Bundestag

Präventionsgesetz mit einigen Änderungen verabschiedet

Die Koalition hat das Präventionsgesetz im Bundestag durchgewunken - mit einigen Änderungen, die kurz vor Toresschluss noch eingearbeitet worden sind. So werden die Ausgaben für die Selbsthilfe verdoppelt.

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Mehr Geld für die Selbsthilfe: Die Koalition will die Ausgaben verdoppeln.

Mehr Geld für die Selbsthilfe: Die Koalition will die Ausgaben verdoppeln.

© M. Schuppich / fotolia.com

BERLIN. Bis kurz vor der Verabschiedung durch den Bundestag am späten Donnerstagnachmittag hat die Koalition am Präventionsgesetz gefeilt. Herausgekommen sind im Vergleich zum Regierungsentwurf wesentliche Änderungen.

So werden die Mittel für die Selbsthilfe von rund 38 Millionen auf künftig gut 73 Millionen Euro nahezu verdoppelt. Gleichzeitig wurde die geplante Zuwendung von 35 Millionen Euro aus Kassenmitteln an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) um 3,5 Millionen Euro gekürzt.

Impfberatungen sollen stärker als heute verpflichtend werden. Der Druck auf medizinisches Personal, sich impfen zu lassen, wird erhöht. Nicht geimpfte Kinder können bei Krankheitsausbrüchen vom Kita- und Schulbesuch ausgeschlossen werden.

Die bisherigen Mittel hätten hinten und vorne nicht mehr gereicht, hieß es am Donnerstag aus Selbsthilfekreisen. Die jetzt gefundene Größe entspreche in etwa dem im vergangenen Jahr geltend gemachten Bedarf.

Selbsthilfe: PKV außen vor

„Lex Hecken“ kommt doch

Die unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) können künftig mehr als nur eine Amtszeit wahrnehmen. Diese Regelung gilt auch für den unparteiischen Vorsitzenden Josef Hecken.

Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber angesichts der Vielzahl der dem GBA übertragenen Aufgaben personelle Kontinuität schaffen.

Ursprünglich sollte die Änderung mit dem Versorgungsstärkungsgesetz beschlossen werden.

Der GKV-Spitzenverband bedauerte gegenüber der "Ärzte Zeitung", dass die private Krankenversicherung sich nicht an der Selbsthilfe beteiligen müsse.

Bei der Umsetzung des Gesetzes werde es darauf ankommen, das zusätzliche Geld für Projekte mit gesundheitlichem Bezug auszugeben, sagte Ann Marini, stellvertretende Sprecherin des Verbandes.

Kritik übte der Spitzenverband an der Form der Förderung der BZgA. Eine Bundesbehörde solle mit dem Geld der Versicherten statt aus Steuern finanziert werden. Das sei ordnungspolitisch verkehrt undbedeute schlicht eine Zweckentfremdung von Beitragsgeldern, sagte Marini.

Das Thema zieht sich auch durch die Stellungnahmen einzelner Kassenverbände. Die Koalition nehme nur einseitig die GKV-Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen in die Verantwortung, obwohl Prävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, an der sich auch Länder, Kommunen und die PKV stärker finanziell beteiligen sollten, erklärte der Ersatzkassenverband vdek.

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) hält das Gesetz für "Symbolpolitik auf Kosten der Beitragszahler". Da gefährdete Zielgruppen zu wenig erreicht werden, sei von dem Gesetz "kein großer Nutzen zu erwarten".

Positive Signale hingegen sieht die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) im Präventionsgesetz.

Die darin verankerte ärztliche Gesundheitsuntersuchung eröffne erstmals den Weg zur gezielten Früherkennung und -behandlung von Patienten mit psychischen Erkrankungen.

Nur "bedingt überzeugt" zeigt sich der Sozialverband Deutschland von dem Gesetz. Die Leistungsverbesserungen müssten die GKV-Mitglieder mit steigenden Zusatzbeiträgen bezahlen.

Ein Gesetz im vierten Anlauf

Bei der Debatte im Bundestag wurde deutlich, dass verschiedene Denkschulen von Prävention und Gesundheitsförderung aufeinanderprallen.

Das Gesetz, das mit Koalitionsmehrheit verabschiedet wurde, sei "neu, aber nicht auf dem neuesten Stand", kritisierte Birgit Wöllert (Linksfraktion): "Gesundheit meint mehr, als nicht krank zu sein." Die Vorlage von Union und SPD lege einen zu starken Fokus auf die Verhaltensprävention.

Zustimmung erhielt sie dafür von Kordula Schulz-Asche (Grüne). Das Gesetz folge der der Logik: "Du bist Schuld (an Deiner Krankheit, d. Red.), also musst Du etwas ändern", so die grüne Abgeordnete. Vor allem sei es versäumt worden, Kommunen zum "Dreh- und Angelpunkt" von Prävention zu machen.

Dagegen lobte BMG-Staatssekretärin Ingrid Fischbach (CDU) die Vorlage als "wirklich gutes Gesetz", wiewohl es ein "spätgeborenes Kind" sei. Damit spielte Fischbach darauf an, dass drei frühere Anläufe verschiedener Koalitionen für ein Präventionsgesetz gescheitert sind.

Das Gesetz setze auf bewährte Strukturen der Verhaltensprävention und entwickele die Verhältnisprävention fort - etwa bei den Früherkennungsuntersuchungen, so Fischbach.

Für die SPD erinnerte Professor Karl Lauterbach daran, dass frühere Anläufe für ein Gesetz auch daran gescheitert sind, weil gemeinsame Ziele in der Prävention gefehlt hätten.

Antworten gebe dieses Gesetz beispielsweise mit der geplanten nationalen Präventionskonferenz. Denn diese beziehe außer den Krankenkassen auch andere Sozialkassen sowie die Private Krankenversicherung mit ein.

Im Gesetzgebungsverfahren habe "ein Großteil der Polarisierung" auch innerhalb der Koalitionspartner entschärft werden könnte, resümierte Lauterbach. Zumal die Debatte in der Vergangenheit vor dem Hintergrund "falscher Frontstellungen" geführt wurde, ergänzte Rudolf Henke für die Union.

"Es ist falsch, einen Gegensatz zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention aufzumachen." Mit dem Gesetz sei es gelungen, diese verschiedenen Ansätze in ein "konstruktives Miteinander zu bringen", so Henke. (af/fst)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Prävention auf dürren Beinen

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 28.06.201519:04 Uhr

Medizinisch und ärztlich begründete Prävention nicht zum Nulltarif!

Es ist und bleibt Stümperei: Während wir als Hausärzte/-innen vor Ort m i t dem Patienten sprechen und im Rahmen unserer Möglichkeiten begrenzt durch Non-Ädhärenz und Non-Compliance handeln, parliert die Große Koalition (GroKo) aus Schwarz-Rot, aber auch die Opposition nur allgemein-unverbindlich ü b e r Prävention und damit ü b e r die Köpfe unserer Patientinnen und Patienten hinweg. Gegenüber s p e z i f i s c h ärztlicher Präventionsarbeit fehlt es an Sachverstand, Respekt, Anerkennung bzw. Selbstkritik.

Es gibt parteiübergreifend im deutschen Bundestag und in der Bundesregierung nicht wenige präventiologisch äußerst suspekte, offenkundig beratungsresistente Subspezies der Gattung Homo sapiens vulgo Homo erectus. Deren Rückgrat ist beim e i g e n e n Risiko-, Gesundheits- und Krankheitsverhalten so gering entwickelt, dass sie als wandelnde Morbiditätsrisiken eigentlich eher eine Selbsthilfegruppe besuchen müssten.

Die GroKo weiß noch nicht einmal genau, was Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention eigentlich sind. Sie unterscheidet nicht zwischen Krankheits-Prävention (lat. prae-venire; "einer Krankheit zuvorkommen"), Vorsorgeuntersuchung und Früherkennung, weil sie sich von einer rein fiktiven "Gesundheits"-Thematik ("Gesundheit für Alle bis zum Jahr 2000" - WHO) wie hypnotisiert blenden lässt.

Denn bereits unser humanmedizinisches "Kerngeschäft" mit Anamnese, Untersuchung, Differenzial-Diagnose, Beratung, multidimensionale Therapie u n d Palliation in der vertragsärztlichen Praxis wurde und wird von allen Bundesregierungen unter dem alleinigen Aspekt "Gesundheit" falsch eingeschätzt.

Das DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information) beschreibt einige zehntausend Krankheitsentitäten nach der Internationalen ICD-10-GM-Nomenklatur: Nach ICD-Diagnosen-Thesaurus, Version 4.0, wurden ca. 31.200 beschrieben. Die aktuelle Version der ICD-10 GM 2014 listet in seiner Systematik ca. 13.400 endständige Kodes auf und verfügt in seinem ICD-10 Alphabet über ca. 76.900 Einträge in der EDV-Fassung. https://www.dimdi.de/static/de/klassi/faq/icd-10/allgemein/faq_0008.htm_319159480.htm

Für alle diese denkbaren und möglichen Krankheiten gibt es keine gezielten Präventions-Programme. Die überwältigende Zahl von Krankheitsbildern lässt sich à priori gar nicht primärpräventiv begrenzen, weil sie altersabhängig ubiquitär irgendwann doch unvermeidbar auftauchen, weil sie genetisch-hereditär, idiopathisch, essenziell, exogen oder endogen bzw. nur zu einem verschwindend geringen Anteil iatrogen bedingt sind.

Bereits im Entwurf eines Gesetzes "zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention" klang es wie glatter Hohn gegenüber uns Ärztinnen und Ärzten, dass 550 Millionen Euro jährlich verteilt werden sollten, o h n e ein angemessenes Arzthonorar für diese so wichtige z u s ä t z l i c h ärztliche Präventionsarbeit abzubilden.

Mit frappierender Chuzpe hieß es im Entwurf des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG): "Die ärztliche Präventionsempfehlung ... stellt für die Krankenkassen eine wichtige Grundlage für die Entscheidung über die Gewährung von Leistungen zur primären Prävention im Individualfall dar". Und weiter: "Dafür erhalten die Ärzte kein zusätzliches Honorar – ihnen entstehe als vertraglichen Leistungserbringern kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand".

Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass dies zusätzliche Mehrarbeit mit bedarfs-, krankheits- und versorgungs-adaptierten ä r z t l i c h e n Untersuchungs- und Diagnosemaßnahmen bedeutet.

Die KVen, Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Bundes- und Landesärztekammern bzw. einige Ärzteverbände sind an diesem Ärzte-Präventions-Desaster nicht ganz unschuldig und schlafen weiterhin den "Schlaf des Gerechten". Jahrzehntelang hatten sie in billigen Sonntagsreden die Prävention der Krankheitsfolgen von Rauchen, Saufen, Risikosportarten, Fehlernährung, Bewegu

Dr. Joseph Kuhn 19.06.201507:33 Uhr

Prävention mit Bewährungsauflage

Das Gesetz ist kein präventionspolitischer Durchbruch, z.B. setzt es zu wenig Impulse für eine "Health in all policies"-Strategie und spricht die kommunale Ebene eher durch die Hintertür an, weil man das Gesetz im Bundesrat zustimmunsgfrei halten wollte, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Man sollte das Gesetz sozusagen als Bewährungsauflage für den weiteren Ausbau der Prävention sehen: Es kommt jetzt darauf an, die neuen Instrumente so gut wie möglich zu nutzen und zu zeigen, dass Prävention mehr ist als gesundheitliche Volksbelehrung, dann kann man in ein paar Jahren auch den gesetzlichen Rahmen nachrüsten.

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