Offener Brief

Ärzte warnen Merkel vor einer Diabetes-Epidemie

Schlechte Nachrichten für Bundeskanzlerin Angela Merkel: Knapp 100 Milliarden Euro kosten Diabetes und Adipositas jedes Jahr, heißt es in einem offenen Brief von Ärzten und Verbraucherschützern. Doch was tun?

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Die Zahl der Übergewichtigen steigt. Das hat für den Einzelnen aber auch für die Gesellschaft Folgen.

Die Zahl der Übergewichtigen steigt. Das hat für den Einzelnen aber auch für die Gesellschaft Folgen.

© biker3/stock.adobe.com

BERLIN. Bei der Entwicklung einer Strategie gegen die Volkskrankheit Diabetes hinkt Deutschland hinterher 20 von 28 Ländern in der Europäischen Union haben bereits Nationale Diabetespläne oder -strategien verabschiedet, zuletzt Österreich im April 2017. Jetzt sollen die Ärzte ihre Stimme erheben.

Der Verband der Kinder- und Jugendärzte (bvkj), die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) und die Verbraucherschutzorganisation wenden sich in einem Offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel und alle Parteivorsitzenden. Ärzte können das Schreiben elektronisch mit unterzeichnen.

Die zentralen Forderungen

Vier Kernforderungen erheben die drei Verbände. Deutschland solle eine Nährwertampel einführen, verbindliche Standards für die Schul- und Kitaverpflegung erlassen, die an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel beschränken und steuerliche Anreize für die Lebensmittelindustrie setzen, gesündere Rezepturen zu entwickeln. Einnahmen aus Sonderabgaben und -steuern für gesüßte Getränke sollen eins zu eins in die Prävention chronischer Krankheiten fließen.

Dass die Bundesregierung weiterhin auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie und Programme für Ernährungsbildung setze, sei ein "Skandal", erklärt dazu der bvkj-Vorsitzende Dr. Thomas Fischbach.

"Ernährungsbildung allein ist keine effektive Maßnahme gegen Übergewicht und Fehlernährung, schon gar nicht auf Bevölkerungsebene", ist die Auffassung im bvkj auch in die Formulierungen des Offene Briefes eingeflossen.

Politiker sitzen am Hebel

Nachdruck verleihen soll die Teilnahme möglichst vieler Ärzte. "Eine aktive medizinische Community ist entscheidend, um die politischen Entscheidungsträger zur überzeugen. Ärzte, Fachverbände und Zivilgesellschaft müssen die Kräfte bündeln und klarmachen: Ohne das Eingreifen der Politik können wir die Adipositas- und Diabetes-Epidemie nicht stoppen", warnt der Präsident der DDG Professor Dirk Müller-Wieland.

Jeder sechste Mensch in Deutschland zwischen drei und 17 Jahren gilt als übergewichtig oder fettleibig, zitiert der Offene Brief Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI). Einen Body-Mass-Index jenseits von 30 weisen in dieser Altersgruppe 6,3 Prozent auf.

Unter Erwachsenen gelten demnach 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen als übergewichtig oder adipös. Vor allem bei den Fettleibigen gibt es deutlich wahrnehmbare Anstiege.

Die Autoren des Briefs benennen auch die Folgen: Ausweislich von Studien litten rund sieben Millionen Menschen in Deutschland an Diabetes. Allein die Adipositas führe zu medizinischen Behandlungskosten, aber auch Kosten durch Arbeitsunfähigkeit von 63 Milliarden Euro im Jahr. Die Kosten von Diabetes beliefen sich auf 35 Milliarden Euro.

Seit Jahren wird in Deutschland um staatliche Eingriffe gegen Fastfood und Süßgetränke gerungen. Mehrfach wurde bereits verkündet, eine Einigung über eine Nationale Diabetesstrategie stehe unmittelbar bevor. Gereicht hat es bislang jedoch nur dazu, das RKI bei der Diabetes-Surveillance zu unterstützen und zur Gründung einer Allianz für Gesundheitskompetenz.

Immerhin: Im Präventionsgesetz von 2015 ist die Früherkennung von Diabetes Typ-2 als Gesundheitsziel formuliert. Gleichwohl hat sich die große Koalition bei der Diabetes-Prävention verhakt.

Immer wieder kassierte Vorschläge

Vorschläge der Gesundheitspolitiker werden in schöner Regelmäßigkeit vom Landwirtschafts- und Ernährungsministerium kassiert. Auch der aktuelle Minister (Christian Schmidt (CSU) lehnt "jede Konsumsteuerung durch Werbeverbote und Strafsteuern für vermeintlich ungesunde Lebensmittel" ab.

Die Ärztekammern in Hamburg, Nordrhein und Sachsen-Anhalt bieten gemeinsam mit der AOK das Programm "Gesund macht Schule" an. Damit sollen gesundheitsbewusstes Ernährungs - und Bewegungsverhalten in Schule, Elternhaus und Freizeit angeregt werden.

"Schon etwas mehr regelmäßige Bewegung und gesunde Ernährung verringern deutlich das Risiko, an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken", sagte BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery anlässlich des Welt-Diabetes-Tages im vergangenen November.

Der offene Brief zum Unterzeichnen: www.aerzte-gegen-fehlernaehrung.de.

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