Selbsttests
Chance für mehr frühe HIV-Diagnosen
Auf HIV kann man sich unkompliziert zu Hause testen – mit dem HIV-Selbsttest. Experten wie der Münchner HIV-Therapeut Dr. Hans Jäger hoffen, dass dadurch die Zahl der HIV-Patienten sinkt, die nichts von ihrer Infektion wissen. Doch auch die Ärzte sind gefordert.
Veröffentlicht:BERLIN. Seit Oktober 2018 können Heimtests auf HIV auch in Deutschland nicht mehr nur über das Internet, sondern auch in Apotheken und Drogerien rezeptfrei erworben werden. Ermöglicht wurde dies durch eine Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung, die der Bundesrat im September letzten Jahres bewilligt hat.
Die Selbsttests beruhen auf dem Nachweis von Antikörpern aus einem Blutstropfen. Gebrauchsanlteiungen sowie Videos zur Anwendung gibt es zum Beispiel auf der Webseite des Paul Ehrlich-Instituts.
Nach einer Infektion bilden sich die Antikörper mit einer gewissen Verzögerung. Daher sollte man sich frühestens zwölf Wochen nach einer möglichen Übertragung testen. Erst nach dieser Zeit schließt ein negatives Testergebnis eine Infektion sicher aus.
Fällt der Test nach Ablauf der zwölf Wochen positiv aus, wird dem Anwender dringend geraten, sich beim Arzt, im Gesundheitsamt oder einem Checkpoint der Aidshilfen vorzustellen. Dort müssen weitere Untersuchungen vorgenommen werden, um das Ergebnis zu bestätigen.
Experten begrüßen Selbsttests
HIV-Experten, unter anderem von der Deutschen Aidshilfe, haben die Einführung des Selbsttests begrüßt. Dieser soll die Hemmschwelle für das Testen senken und somit mehr frühe HIV-Diagnosen ermöglichen. Zu achten ist auf Produkte, die das CE-Zeichen tragen: Nur bei diesen ist eine hohe Sensitivität (über 99 Prozent) gewährleistet.
Befürchtungen, ein positives Testergebnis könne die Betroffenen psychisch überfordern, haben sich laut Dr. Hans Jäger, MVZ Karlsplatz in München, nicht bestätigt: „Unserer Erfahrung nach sind das Menschen, die sich vorher gut überlegt haben, ob sie sich testen sollen“, sagte der Leiter einer HIV-Schwerpunktpraxis im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.
Mit der intensiven Aufklärung über die guten Behandlungsmöglichkeiten einer HIV-Infektion habe man erreicht, dass diese nicht mehr als lebensbedrohliche Erkrankung gesehen werde.
Zudem stünden in Deutschland ausreichend „sehr gute“ Beratungsstellen zur Verfügung, an die sich die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten wenden könnten.
Wie Jäger betonte, werden mit dem Selbsttest vor allem „Zielgruppen erreicht, die sich anderweitig nicht erreichen lassen“. In Deutschland erkranken jedes Jahr rund 1000 Menschen an der Immunschwächekrankheit Aids oder einem schweren Immundefekt, weil ihre HIV-Infektion lange Zeit unentdeckt blieb.
Unwissentlich HIV-infiziert sind hierzulande nach Schätzungen der Deutschen Aidshilfe zwischen 11.000 und 12.000 Menschen.
HIV-Diagnose oft verzögert gestellt
In diesem Zusammenhang sind vor allem auch die niedergelassenen Ärzte gefordert: „Die Diagnose HIV wird häufig um mehrere Monate verzögert gestellt“, beklagte Jäger.
Die Zahl der Helferzellen sei dann manchmal schon auf bedrohlich niedrige Werte gesunken. Unter diesen Umständen könne die HIV-Infektion, die heutzutage eigentlich gut behandelbar sei, für einzelne Patienten immer noch gefährlich werden.
Der Experte wies mit Nachdruck darauf hin, dass man „bei homosexuellen Patienten mit grippeähnlichen Symptomen und geschwollenen Lymphknoten nicht nur an das Pfeiffersche Drüsenfieber denken muss, sondern immer auch an HIV!“
Teil des Problems sind allerdings auch die sogenannten Late Presenter: HIV-positive Menschen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – erst dann in das medizinische Versorgungssystem begeben, wenn ihre Erkrankung bereits weit fortgeschritten ist.
Projekt „FindHIV“ gestartet
Um mehr über die Umstände zu erfahren, die zur verzögerten Diagnostik von HIV beitragen, wurde das Projekt „FindHIV“ ins Leben gerufen. Insgesamt 35 HIV-Zentren sind daran beteiligt, unter anderem auch Jägers Schwerpunktpraxis am Münchner Karlsplatz.
Ziel des Projekts ist es Jäger zufolge, herauszufinden, mit welchen Symptomen sich die Late Presenter vorstellen und welche Stationen sie durchlaufen, bis die HIV-Infektion entdeckt wird. Auf dieser Grundlage soll ein Frühdiagnoseinstrument für Ärzte entwickelt werden.
Das auf drei Jahre angelegte Projekt ist im Januar 2019 angelaufen und wird von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) unterstützt.
PrEP soll Kassenleistung werden
Ein weiterer Pfeil im Köcher der HIV-Prävention, die PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe), soll nun unter bestimmten Voraussetzungen Kassenleistung werden. So ist es im Terminservice- und Versorgungsgesetz vereinbart. Hauptzielgruppe sind homosexuelle Männer, bei denen man laut Jäger „nicht immer sicherstellen kann, dass sie die üblichen Präventionsmethoden einhalten“.
Mit einer Schutzrate von deutlich über 90 Prozent ist das PrEP-Medikament – eine Kombination aus den antiretroviralen Substanzen Emtricitabin und Tenofovir – hoch effektiv.
Jäger erwartet mit der Kassenzulassung zumindest „keine sprunghafte Zunahme der Nutzerzahlen“. In der Hauptzielgruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) sei bereits ein „Plateau“ erreicht, bedingt dadurch, dass das PrEP-Medikament bereits im letzten Jahr generisch und damit vom Preis her erschwinglich geworden sei.
Aktuell empfiehlt die Deutsche AIDS-Gesellschaft, die PrEP als „Teil der regulären Versorgung“ Hochrisikopatienten aus der MSM-Gruppe aktiv anzubieten.