Sterbehilfe

Gesetzentwurf "inakzeptabel"

Die heftige Kritik an dem "Sterbehilfe-Gesetz" der Justizministerin hält an. Der Chef der Gesundheitsministerkonferenz hält den Entwurf für "inakzeptabel". Der Patientenbeauftragte Zöller fordert einen "Runden Tisch".

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Hilfe beim Sterben oder assistierter Suizid?

Hilfe beim Sterben oder assistierter Suizid?

© Becker&Bredel / imago

BERLIN (af). Alles auf Null. Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, Andreas Storm (CDU), fordert Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) auf, das laufende Verfahren für ein "Sterbehilfegesetz" zu unterbrechen.

"Dies ist mein dringender Rat", sagte der saarländische Gesundheitsminister am Mittwoch der "Ärzte Zeitung". Storm und der Patientenbeauftragten der Bundesregierung Wolfgang Zöller (CSU) schlagen stattdessen vor, das Thema mit Ärzten, Kirchen und den damit befassten Ministerien an einem "Runden Tisch" grundsätzlicher zu diskutieren.

"Ich halte den Gesetzentwurf, so, wie er im Moment vorliegt, nicht für akzeptabel und auch nicht für konsensfähig," sagte Storm. Der Entwurf werde von der Gesellschaft nicht akzeptiert, und dies unabhängig von der Frage, ob es möglicherweise eine knappe Mehrheit im Bundestag dafür geben könnte.

Der CDU-Politiker Zöller sagte der "Ärzte Zeitung": "Ich begrüße ausdrücklich einen runden Tisch zum Thema Sterbehilfe. Die Diskussion um ein solches Thema sollte nicht durch Überschriften, sondern in angemessener Runde mit allen Beteiligten geführt werden."

Der Ende Juli durchgesickerte Entwurf eines "Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung" stößt auch bei bei Ärzten und Kirchen auf Ablehnung.

Storm: Für Möglichkeiten der Palliativmedizin werben

In der Begründung des Entwurfs werden Ärzte und Pflegekräfte als einzige Berufsgruppen ausdrücklich dem Personenkreis - Verwandte, nahe Freunde, langjährige Mitbewohner - zugerechnet, dessen Angehörige straffrei ausgehen sollen, wenn sie einem Menschen nahestehen und ihm bei der Selbsttötung unterstützen, ihm zum Beispiel den Kontakt zu einer gewerblichen Sterbehilfeorganisation vermitteln.

Ärztepräsident Dr. Frank Ulrich Montgomery hatte der Justizministerin daraufhin vorgeworfen, Ärzte zu Sterbehelfern machen zu wollen, weil sie diese Berufsgruppe privilegiere, beim Suizid zu helfen und zudem den Geist des Gesetzes konterkariere.

Montgomery forderte, die entsprechenden Passagen wieder aus dem Gesetz zu streichen.

Das Justizministerium hingegen beteuert, ausschließlich die kommerzielle Beihilfe zur Selbsttötung austrocknen zu wollen.

Für den GMK-Vorsitzenden Andreas Storm lässt sich dies aber auch außerhalb einer gesetzlichen Regelung erreichen.

Anstelle des geplanten Gesetzes schlägt Storm eine breite Aufklärung der Menschen im Lande über die Möglichkeiten der Palliativmedizin und der Schmerztherapie vor.

Der Wunsch nach Hilfe zum Suizid rühre vor allem aus der Sorge, dass die letzte Lebensphase nicht mehr in Würde stattfinden könne. Und dass die Betroffenen viele Schmerzen aushalten müssten.

"Ich glaube, dass vielen Menschen nicht bekannt ist, welche Fortschritte wir in der Palliativmedizin haben," sagte Storm der "Ärzte Zeitung".

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Kommentare
Dr. Markus Junker 09.08.201209:06 Uhr

Sterbehilfe

Es dürfte nahe liegen, dass mit Sterbehilfe dann Geld verdient wird. Da müßte eine Obergrenze definiert werden. Es dürfte klar sein, daß die Geschäftemacherei dann losgeht und die Sterbewilligen ausgeplündert werden. Meines Erachtens wird immer noch zu wenig darüber nachgedacht, ohne Siechtum in Würde zu sterben. Das oft schreckliche Siechtum mancher Patienten, die sich quälen, liegt an der Lebensweise (zuviel Essen und das ohne Qualität) der heutigen Gesellschaft. Ich habe für mein Empfinden vom Gesundheitsministerium zu dieser Frage viel zu selten etwas Eindringliches gehört. Oder welches Ministerium dafür sich sonst noch zuständig erklärt.

Lutz Barth 08.08.201220:42 Uhr

Bemerkenswertes Statement - Anlass zur Resignation (?)

Nun – gerne schließe ich mich den Zeilen von Herrn Dr. Schätzler an, wenngleich die Lage in einem der vielleicht wichtigsten Diskurse nicht ganz hoffnungslos erscheint.

Allerdings mögen die politisch Verantwortlichen und alle anderen maßgeblichen Akteure zur Kenntnis nehmen, dass des Volkes Meinung wohl eindeutig zu sein scheint.

Der Nationale Ethikrat jedenfalls geht davon aus, dass das Meinungsbild in der Bevölkerung hinreichend klar ist und für eine freie Entscheidung mit Blick auf den eigenen Todeszeitpunkt votiert.

Ob es jetzt allerdings zwingend ist, die Diskurstheorie von Habermas wieder aufleben zu lassen und in der Praxis zu testen, erscheint mir denn doch eines Guten zu viel (mal abgesehen von den möglichen Einwänden gegen die Theorie).

Ein möglicher Konsens erscheint nur dann möglich, wenn die Einsicht gewonnen wird, dass ein Konsens (geschweige denn ein demokratisch legitimierter) mit Blick auf das individuelle Sterben gerade nicht erforderlich ist und lediglich die notwendige Bereitschaft zur Toleranz voraussetzt. Weder die Sterbehilfeaktivisten noch die Gegner lassen allerdings eine Kompromissbereitschaft erkennen und so muss (auch wenn es einigen Diskutanten nicht gefällt) die knappe Ressource „Recht“ bemüht werden.

Allein auf der Grundlage unseres liberalen Verfassung ist die Befriedung eines „Kulturkampfes um das würdevollen Sterben“ möglich und ich persönlich finde es mehr als bedauerlich, dass die „Kontrahenten“ ihren jeweiligen Machbarkeitsfantasien erlegen sind und meinen, eine „ars moriendi“ verkünden zu können, die gleichsam nach strikter Verbindlichkeit strebt.

Dass hierbei die Ärztefunktionäre an vorderster Front auf ihre individuelle Gewissensentscheidung beharren, während demgegenüber den Kolleginnen und Kollegen das Recht zur arztethischen Gewissensentscheidung in konkreten Einzelsituationen abgesprochen wird, ist eine beklagenswerte Fehlentwicklung, die ein Tätigwerden des parlamentarischen Gesetzgebers unumgänglich macht.

Der Gesetzgeber seinerseits ist gut beraten, sich am rechtsethischen Standard des Grundgesetzes zu orientieren und gelegentlich auf des Volkes Meinung zu hören. Ein etwaiges Plebiszit ließe keinen Zweifel daran aufkommen, dass die überwiegende Mehrheit für eine Liberalisierung der Sterbehilferegelungen plädieren würde.

Dr. Thomas Georg Schätzler 08.08.201218:49 Uhr

Schöner Sterben?

Warum gibt es bei dem gesellschaftspolitischen Diskurs über das Sterben und aktive bzw. passive Sterbehilfe so viel Verwirrungen, Missverständnisse und gegenseitige Schuldzuweisungen?

Wir alle sind Betroffene. Wir wollen, dürfen, können und müssen mitreden. Hier gilt der spöttische Satz "Es ist schon alles gesagt! Nur noch nicht von allen!" von Karl Valentin gerade n i c h t. Denn so lange nicht A l l e in unserer Gesellschaft sich zu diesem Problemkreis äußern konnten, bleibt zu Vieles ungesagt.

Sterben ist grausam, harte Arbeit, ein oft langer Kampf mit vorhersagbarem Ausgang. Ein wunderbares Russisches Sprichwort sagt:
"Gehst Du nach rechts, verlierst Du Dein Geld; gehst Du nach links, verlierst Du Dein Pferd; gehst Du zurück, verlierst Du Deine Seele; gehst Du geradeaus, stirbst Du!"

Und darin liegt die Crux. Es geht uns Alle an, aber wir möchten es, solange es geht, hinausschieben. DER SPIEGEL formulierte als Titel in Nr. 22 vom 26.5.2012 unser kollektives Wunschbild: "Ein gutes Ende - Wege zu einem würdevollen Sterben" und brachte eine umfassende, ausgewogene Berichterstattung.

Doch unserer moderne postindustrielle Gesellschaft neigt zu Ambivalenz zwischen Aggravation und Dissimulation. Artensterben, Robbensterben, Waldsterben, Klimakatastrophe, Sterben der Natur, ''Clash of Cultures'' und Weltuntergang auf der einen und postmoderne Spaßgesellschaft, hedonistische ''Hedge''-Kultur statt Hege, grenzenlose Resourcenausnutzung und ''Tanz auf dem Vulkan'' auf der anderen Seite.

Beim Sterben vergleichbare Mechanismen: Die Katholische, in Teilen auch die Evangelische Kirche gemeinsam mit manchen Fundamentalisten und Fanatikern fordern die ganz harte Nummer: Sterben ohne wenn und aber; jede Form von Sterbehilfe oder ''Human Enhancement'' bleiben ausgeschlossen - Asche zu Asche, Staub zu Staub! Die Gegenseite fordert ''Ex- und Hopp'', ''Null Bock'', ''Da gibt''s doch was von Ratiopharm?''. Heerscharen von Experten sollen den Tod angenehm, leicht, soft, mit ''Genuss ohne Reue'' und ohne Wiederkehr gestalten.

Statt Geburt, Leben und Sterben mit Freude und Freunden, mit Leid und Mühsal, mit Produktion und Reproduktion, mit kultureller Reflexion, Sinnlichkeit und Sexualität kommunikativ und achtsam zu feiern, wollen wir Alles, was Behinderung, Krankheit, Siechtum, Leiden, Sterben und Tod erahnen lässt, ignorieren, ausgrenzen und abschieben. Und wenn es dann spät oder zu spät ist, muss Expertenrat kommen: Aktive, passive Sterbehilfe, assistierter Suizid, EXIT, DGHS, um nur Einiges zu nennen. Und Ärztinnen und Ärzte sollen dann, nachdem sie palliativmedizinisch agiert und beraten haben, zur Abwechslung gleichzeitig anderen Patienten den Schierlingsbecher reichen? Oder der nichtsahnende, aber dann lebenslang albtraumartig geschockte Lokführer muss herhalten?

Jetzt fehlt neben „Essen und Trinken“, „Haus & Garten“, „Schöner Wohnen“, „Jagd und Hund“ nur noch „Schöner Sterben – die Zeitschrift für würdevolles Ableben“?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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