Der Standpunkt zum Sterbehilfe-Diskussion

Bitte keine Kompromisse!

Über den Gesetzentwurf zum Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe wurde viel geschrieben und diskutiert. Zu lesen war ein Sammelsurium absurder Analysen und Schlussforderungen, meint Christoph Fuhr. Für ihn ist klar: Wir brauchen kein Recht auf Beihilfe zum Suizid.

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Der Autor ist Redakteur im Ressort Gesundheitspolitik der "Ärzte Zeitung". Schreiben Sie ihm: christoph.fuhr@springer.com

So war das sicher nicht gedacht: Der umstrittene Gesetzentwurf der Koalition zum Verbot gewerbsmäßiger Sterbehilfe hat im Sommerloch in den Medien eine konfuse, irritierende Debatte ausgelöst, die sich längst verselbstständigt hat.

Ist Deutschland wirklich ein Land, in dem tausende von schwerstkranken und verzweifelten Menschen auf dem Sprung in die Schweiz sind, um dort mit fremder Hilfe aus dem Leben zu scheiden? Ein Land, in dem Ärzten jeglicher Handlungsspielraum fehlt, um Patienten bis ans Ende ihres Lebens angemessen zu begleiten? Ein Land, in dem Assistenz beim Suizid und sogar aktive Sterbehilfe ohnehin verbreitet sind?

Sterben in Deutschland - ein dankbares Thema fürs Sommerloch, ein Sammelsurium absurder Analysen und Schlussfolgerungen.

Klar ist: Wer behauptet, Ärzte in Deutschland hätten mit Blick auf sterbenskranke Menschen am Ende des Lebens praktisch keine Handlungsoptionen, der sagt die Unwahrheit. Nach den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbegleitung etwa dürfen Ärzte das Sterben durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung durchaus ermöglichen - wenn dies dem Willen des Patienten entspricht.

Klar ist auch: Wir brauchen kein Recht auf Beihilfe zum Suizid. Was wir brauchen, ist eine bessere palliativmedizinische Versorgung, die schwerstkranken Menschen Sicherheit gibt und ihnen Sorgen vor einem Sterben mit Schmerzen und Angst nimmt.

Die Diskussion um glaubwürdige Regelungen für ein Sterben in Würde wird die Politik weiter beschäftigen und bleibt ein Dauerbrenner in den Medien. Umso wichtiger ist es, Flagge zu zeigen: Leben erhalten, Gesundheit schützen und wiederherstellen, Leiden lindern und Sterbenden bis zum Tod beistehen - an diesen Säulen ärztlicher Tätigkeit darf nicht gerüttelt werden.

Ein Mitwirken von Ärzten bei der Selbsttötung von Menschen passt nicht in diese Wertewelt. Die Bundesärztekammer ist deshalb gut beraten, ihren klaren Kurs ohne Kompromisse beizubehalten.

Lesen Sie dazu auch: Sterbehilfe: FDP-Vorschlag erzürnt Ärzte Sterbehilfe: Gesetzentwurf "inakzeptabel"

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Kommentare
Lutz Barth 14.08.201207:19 Uhr

Von „Äpfeln und Birnen“ im Sterbehilfe-Diskurs!

Abermals mit Verlaub: In der Tat werden in der Debatte vielfach „Äpfel mit Birnen verglichen“ und auch der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. ist hiervon nicht ausgenommen, wie sich unschwer aus einem erst kürzlich mit ihm geführten Interview im Deutschlandradio (30.03.12 >>> http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1717806/ ) ergibt.

Auch er bemüht unsägliche Fallbeispiele, um so den befürchteten Dammbruch skizzieren zu können. Er führt das Beispiel vom 15-jährigen Schüler ein, den das Leben nervt und im Übrigen auch „die Schule doof“ findet.
Auch wenn er meint, dieses Beispiel erwähnt zu haben, um pointiert aufzuzeigen, dass es auch Grenzen gibt, bedarf es solcher „Schreckensvisionen“ nicht, da es vornehmlich darum geht, sich auf die Fälle zu konzentrieren, in denen der schwersterkrankte seinem Leid entfliehen möchte.

Ob es hier allein mit den palliativmedizinischen Möglichkeiten getan ist, darf insofern bezweifelt werden, als dass allein der Patient eine selbstbestimmte Entscheidung treffen darf, über deren Motive wir nicht zu spekulieren haben.

Freilich kann als ultima ratio auch aus der Sicht der Palliativmedizin die terminale resp. palliative Sedierung in Betracht gezogen werden, zumal diese unverfänglich erscheint, weil die Intention derjenigen, die eine solche Sedierung in Betracht ziehen, nicht endgültig aufgeklärt werden kann. Insofern sprechen einige Gründe dafür, dass die terminale Sedierung die Beihilfe zum Suizid ersetzen könnte: der Patient verstirbt eben nur wenige Tage später und es scheint sich kein Gewissenskonflikt bei den Palliativmedizinern aufgetan zu haben – jedenfalls keiner, der offenbar wird, da er seine möglichen wahren Motive nicht offenbaren muss! Erklärtes Ziel der Palliativmedizin ist es u.a., Leid zu lindern und da ist natürlich die finale Sedierung ein probates Mittel, bei dem letztlich der schwersterkrankte Patient auch verstirbt – freilich im Namen der „Leidminderung“, ohne dass diese in den Verdacht der „Mitleidstötung“ geraten wird (um der „Intention“ der Ärzte willen), mal abgesehen davon, dass auch die palliative Sedierung einer entsprechenden Indikation bedarf.

Dass „Schmerzen“ über den Weg der palliativen Sedierung im weitesten Sinne beherrschbar sein können (so wie im Übrigen die anderen therapierefraktären Symptome auch), steht wohl nicht in Abrede und im Diskurs kommt es daher wesentlich auf die anderen Motive des schwersterkrankten Patienten an, die ihn dazu veranlassen können, für sich einen frei verantwortlichen Suizid in Erwägung zu ziehen. Plastisch formuliert: Darf der „hohe Querschnitt“ für sich entscheiden, dass sein Leben nicht mehr „lebenswert“ ist?

Spirituelle „Unterweisungen“ und „Gespräche“ seitens des palliativmedizinischen Teams laufen im Zweifel ins „Leere“ und der schwersterkrankte Mensch hält unverändert an seiner Entscheidung fest, angesichts seines individuellen Leids aus dem Leben scheiden zu wollen, vielleicht auch deswegen, weil er seinen nächsten Angehörigen nicht zur Last fallen will.

Die Frage also ist, ob unsere Gesellschaft und hier vornehmlich der hohe Berufsstand der Ärzteschaft bereit ist, diese Motive des schwersterkrankten Menschen zu respektieren und zwar jenseits der sog. therapierefraktären Symptome? Es ist nun kein Geheimnis, dass gerade die Initiatoren der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen ihre Patienten auf diesem letzten Weg bei einem unverändert aufrechterhaltene Sterbewunsch nicht begleiten können (und wollen) und so gesehen bleiben die Patienten darauf angewiesen, im Zweifel anderenorts um „Hilfe“ nachzusuchen und zwar gerade auch in Kenntnis dessen, dass es den Palliativmedizinern und dem multiprofessionellen Team nicht gelungen ist, den „Sterbewillen“ in einen „Lebenswillen“ abzuändern.

Ob es allerdings erstrebenswert ist, sich sog. „Sterbehilfe-Aktivisten“ anzuvertrauen, mag ein Jeder für sich entschei

Gabriele Wagner 13.08.201209:58 Uhr

Danke für den Artikel

Per E-Mail erreichte uns folgender Kommentar:

Sehr geehrter Herr Fuhr,
vielen Dank für Ihren kurzen und präzisen Artikel zur „Sterbehilfe-Diskussion“ in der Ärzte Zeitung vom 12.08., der mir sehr gut gefällt.
Die Menge der irreführenden öffentlichen Diskussionen hierzu, bei denen inzwischen nicht mehr nur Äpfel mit Birnen, sondern Rosinen mit Melonen verglichen werden, sind in der Tat wenig zielführend. Leider beschränken sich diese Darstellungen nicht nur auf die Zeit des „Sommerlochs“.
Wenngleich wir als DGP die Diskussion zu den vielen Themenbereichen rund um das Thema Sterbehilfe für wichtig erachten, würden wir uns mehr Sachlichkeit und Themenkompetenz bei denen wünschen, die diese Diskussionen n der Öffentlichkeit führen.
Mit herzlichen Grüßen
Heiner Melching
Geschäftsführer Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V.

Dr. Karlheinz Bayer 13.08.201208:08 Uhr

Sterbehilfe. Klar ist ...?

Verehrter Herr Fuhr!
Zwei Abschnitte haben Sie mit "Klar ist..." begonnen. Klar mag etwas immer nur sein für einen Theoretiker.
"Säulen ärztlicher Tätigkeit" ... auch so ein Ausdruck, der vollkommen klar scheint. In Wahrheit ist er allenfalls verklärt.
Wir geben Drogenabhängigen Heroin, und das ist inzwischen anerkanntermaßen gut so. Wir treiben ab, und das ist nicht nur gut, sondern es ist in den meisten Fällen ethisch wertvoller als nicht abzutreiben. Wir assistieren bei Suizid, was nach deutscher Rechtsprechung so auch in Ordnung geht, aber gerade das soll jetzt als verwerflich und unärztlich angezeigt werden.
Es ist es nicht!
"Glaubwürdige Regelungen für ein Sterben in Würde?" - was ist ein Sterben in Würde, wenn der Sterbende nichts seliger wünscht, als daß er endlich sterben darf?
Die einzige Würde, die man fordern darf, ist die auf Selbstbestimmung.
Jede "Regelung", ob sie jetzt glaubwürdig sein soll oder weltfremd ist,
geht an dem vorbei, um was es hier geht, nämlich einen partnerschaftlichen, vertrauensvollen Umgang zwischen Patienten und Ärzten.
Kein Sommerloch, deswegen auch keine Kompromisse!

Dr.Karlheinz Bayer, Bad Peterstal

Lutz Barth 13.08.201206:16 Uhr

Kompromissbereitschaft und Toleranz ist einzufordern!

Mit Verlaub: Der Autor des Beitrages meint, der Gesetzentwurf aus dem BMJ zur kommerziellen Sterbehilfe habe eine konfuse und irritierende Debatte ausgelöst, gleichsam ein Sammelsurium absurder Analysen und Schlussfolgerungen, die wir hierzulande wohl angesichts der hohen (arzt)ethischen Integrität nicht benötigen.

Hier scheint an dem Autor, aber eben auch an manchen Kommentatoren und vor allem Ärztefunktionäre eine seit Jahrzehnten zuweilen lebhafte und emotional geführte Diskussion schlicht vorbeigegangen zu sein.
Es geht ausdrücklich nicht darum, innerhalb unserer Werteordnung eine Präferenzentscheidung zwischen der Palliativmedizin und dem Selbstbestimmungsrecht der schwersterkrankten Patienten treffen zu müssen, sondern das mögliche Alternativverhalten aus der Innenperspektive des Patienten zu tolerieren.

Hierbei kann in dem vom Patienten verfügten resp. gewünschten Behandlungsabbruch eine Alternative erblickt werden, so wie wir es zu akzeptieren haben, dass der schwersterkrankte und „austherapierte“ Patient meint, durch einen frei verantwortlichen Suizid aus dem Leben scheiden zu wollen.

Klar ist vielmehr: Die führenden Diskutanten sollten sich vergegenwärtigen, dass es keine Pflicht zum Leben gibt und gute Gründe dafür streiten, dass das individuelle Leid nicht stets bis zum „bitteren Ende“ getragen werden muss, auch wenn für manche hierin gleichsam ein heroischer Akt erblickt wird.

Und in der Tat: Es ist Flagge zu zeigen! Gegen einen restriktiven neopaternalistischen Ethikkurs der Kammern und gegen eine breit angelegte ethische Grunderziehung durch ethische Oberlehrer, die da meinen, mit einem Federstrich über zentrale Grundrechte der schwersterkrankten und sterbenden Menschen hinwegfegen zu können.

Es geht nicht darum, irgendein „Sommerloch“ zu füllen, sondern um die Befriedung einer jahrzehntelangen Diskussion und zwar im Interesse derjenigen Patienten, denen das individuelle Leid aufgrund ihrer schweren Erkrankung zu tragen unmöglich geworden ist.

Wir debattieren hier über verfassungsrechtliche Binsenweisheiten und es darf nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass gerade konservative Eliten (einschl. ranghoher Ärztefunktionäre) ein frei verantwortliches und selbstbestimmtes Sterben verunmöglichen und so irgendwelchen „Sterbehilfe-Aktivisten“ ihre Plattform liefern und den Weg für einen Sterbetourismus ebnen.

Wenn dies die Folge einer „Ethik“ ist, dann ist es m.E. um das „Grundgesetz ärztlicher Sittlichkeit“ nicht gut bestellt und die dafür Verantwortlichen sollten sich im wahrsten Sinne des Wortes schämen!

Ein Mitwirken von Ärzten bei der Selbsttötung von Menschen mag nicht in die Wertewelt des Autors passen. Dies sei ihm auch ausdrücklich zugestanden, wie sich unschwer aus Art. 4 des GG ergibt. Weitere Konsequenzen folgen allerdings hieraus nicht!

Dr. Thomas Georg Schätzler 12.08.201222:16 Uhr

Sterbehilfe passt n i c h t in mein ärztliches "Beuteschema"!

Danke für Ihre Aufforderung, Herr Fuhr, wir Ärztinnen und Ärzte sollten wieder mehr "Flagge" zeigen! Ja, unsere Kernkompetenzen schwinden sonst. Und neue Aufgaben werden uns angedichtet, die nicht wirklich Etwas mit Medizin in Klinik und Praxis zu tun haben. Meine persönliche Meinung dazu, auch wenn ich mich damit angreifbar mache:

Professionelles Motto von Freiwilligen- und Berufs-Feuerwehren ist ein international verbindliches Logo: "Retten – Bergen – Löschen – Schützen"! Und wir Mediziner ambulant und stationär? In überwältigender Mehrheit bemühen wir uns ernsthaft und patientenbezogen bei Anamnese, Untersuchung, Diagnostik, Therapie, Palliation und Prävention. Arbeiten oft unter Zeitdruck trotzdem noch empathisch-zugewandt, regelmäßig fortgebildet, mit hohen Anforderungen an die Prozess- und Ergebnisqualität im Nacken. Wir versuchen Erfahrung, Empirie, Pathophysiologie, Wissenschaft und Folgenabschätzungen von Antibiotikaeinsatz, Balneologie, Chemotherapie über Impfungen, Organtransplantationen, Transsexualität bis zu "Zu-faul-zum-Arbeiten" mit den subjektiven Befindlichkeiten, Einschränkungen und Beschwerden unserer Patienten in Übereinstimmung zu bringen.

Aber dann darf N i e m a n d von uns verlangen, während wir noch einen verzweifelten Therapieversuch oder eine palliative peridurale Schmerztherapie durchführen, g l e i c h z e i t i g darüber nachzudenken, wie wir vielleicht denselben Patienten auch noch am schonendsten um die Ecke bringen könnten. Es ist ebenso unrealistisch, aus einer proppenvollen Praxissprechstunde oder einer hochfrequentierten Klinikambulanz bzw. während eines diffizilen Eingriffs wie es so schön juristisch heißt, "unverzüglich", d.h. "ohne vertretbaren Zeitverzug" zur Todesfeststellung bei einem Dritten zu enteilen. De facto und de jure werden damit die L e b e n d e n als Kranke benachteiligt und ihrer Rechte auf Gesundheit oder Teilhabe beraubt. Dafür gibt es in den USA ein "Coroner"-System.

M. E. sind und bleiben meine ärztlichen Kernkompetenzen "Helfen, Heilen, Lindern, Schützen" … und "Loslassen". Doch bei meinem jahrzehntelang geläuterten "Helfer-Syndrom", passen da aktive/passive Sterbehilfe, ärztlich assistierter Suizid und ''Eu-Thanatos'' à la EXIT, DIGNITAS, den Niederlanden und der DGHS überhaupt in mein "Beute-Schema"? Das schaffe ich einfach bei meinen Patienten n i c h t!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler FAfAM Dortmund

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