Hospizarbeit

Leben bis zum letzten Tag

Sie gehört zu den Gründern der Anhaltischen Hospiz- und Palliativgesellschaft. Dr. Anja Krüger hat eine klare Botschaft: "Hospiz bedeutet nicht, warten auf den Tod."

Von Petra Zieler Veröffentlicht:
Mutet fast futuristisch an: Das Hospiz mit Palliativ- und außerklinischer Intensivstation in Dessau.

Mutet fast futuristisch an: Das Hospiz mit Palliativ- und außerklinischer Intensivstation in Dessau.

© Petra Zieler

DESSAU. "Hospiz ist kein Gebäude sondern eine Grundhaltung", sagt Dr. Anja Schneider, Geschäftsführerin der Anhaltischen Palliativgesellschaft. Vor kurzem wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Sie ist Krankenschwester und Bankerin, hat Pflegemanagement studiert, später ihren Master gemacht und 2012 promoviert. Immer wollte sie gestalten, immer auch leiten.

Als die heute 48-Jährige den Hospiz- und Palliativbereich für sich entdeckte, entsprang das auch ihrem Wunsch, nicht alltägliche Wege gehen zu wollen. Sie spricht von einem "exotischen" Arbeitsplatz.

Nach Stationen in Bochum, Köln, Hamburg (Leuchtfeuer) schließlich der Weg zurück in die Heimat, nach Dessau, wo zwar die Familie lebte, es aber für die auserwählte Berufung der Pflegewissenschaftlerin keine Heimstatt gab.

Ein gemeinsames Ziel

Was nicht ist, kann werden. Anja Schneider machte sich auf die Suche und fand im Diakoniekrankenhaus der Stadt auch Menschen, die bereits über eine Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung nachdachten.

Schnell war das gemeinsame Ziel klar und als 2006 die Anhaltische Hospizgesellschaft gegründet wurde, gab es bereits den konkreten Auftrag zum Bau eines Hospizes, das ein Jahr später eingeweiht werden konnte.

Modern, fast futuristisch mutet der Komplex an und strahlt doch gleichsam Behaglichkeit, ja, eine gewisse Intimität aus. Alle Zimmer des Hospizes liegen ebenerdig, die Fenster reichen bis zum Fußboden. Der Blick in die gepflegte Anlage ist frei.

Bei gutem Wetter können Sessel oder auch Betten ein Stück weit im Freien stehen. Leben, wo gestorben wird? Da hakt Anja Schneider ein: "Hospiz bedeutet nicht, warten auf den Tod", sagt die Mutter einer vierjährigen Tochter. "Die meisten Menschen möchten ohnehin zu Hause sterben. Wir machen hier möglich, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen kann."

Dazu arbeiten heute unter dem Dach der Anhaltischen Hospiz- und Palliativgesellschaft 50 Mitarbeiter, davon 35 speziell ausgebildete Pflegekräfte. Und sie tun es gern.

"Wem arbeiten und immer wieder Neues lernen, keine Freude macht, kann auch den Gästen, Patienten und Besuchern nicht gut tun." Anja Schneider geht es längst nicht nur um gute medizinische Versorgung, liebevolle Pflege. Das Leben spüren, es selbstbestimmt gestalten bis zum letzten Tag, ist genauso wichtig.

Viel Zeit für Patienten

In oft sehr langen Gesprächen, auch mit den Angehörigen, versuchen die Hospizmitarbeiter Wünsche, Bedürfnisse, den Willen der Schwerkranken herauszufinden. Und ja: "Manchmal dürfen wir dann auch darüber nachdenken, eine Therapie nicht fortzusetzen", sagt die gläubige Geschäftsführerin.

"Individuelle Wünsche der Betroffenen und Angehörigen haben bei uns den notwendigen Raum." Dafür nehmen sich auch die Ärzte viel Zeit. Patienten zu führen, erst recht schwerkranke, sei eine hohe Kunst, die nur wenige Ärzte beherrschten.

Im Ergebnis eines Gespräches kann manchmal die Suche nach längst verschollenen Angehörigen wichtigstes Ziel sein. "Auch das haben wir hier schon öfter über das Deutsche Rote Kreuz versucht."

Anja Schneider erzählt von dem Vater, der nach über 30 Jahren das erste Mal wieder mit seiner Tochter telefonieren konnte. "Obwohl sie es nicht mehr rechtzeitig bis zu uns geschafft hat, ist der Vater zufrieden gegangen."

Im Hospiz gibt es heute insgesamt 29 Betten – 14 davon für Hospizgäste (sechs mehr als zur Einweihung), sechs für Patienten der Palliativstation und neun auf der außerklinischen Beatmungs- und Intensivstation.

"Die AOK hatte angefragt, ob wir diese Spezialpflege übernehmen können. Wir konnten." Darüber hinaus versorgt ein Palliativ-Care-Team jährlich rund 150 Schwerkranke und Sterbende ambulant, also zu Hause – innerhalb der SAPV (spezielle ambulante Palliativversorgung).

Nichts geht ohne Ehrenamtliche

Und dann gibt es noch die vielen Ehrenamtlichen, die den Kranken und ihren Angehörigen zuhören, ihnen Mut machen, einfach für sie da sind und sie ein Stück des Weges begleiten sowie das stetig wachsende Netzwerk mit Ärzten der Region, Therapeuten, Sozialarbeitern.

"In unserer Einrichtung sind alle ambulanten und stationären Leistungen der Palliativ- und Hospizbegleitung zusammengefasst. Diese Konstellation ist in Deutschland einmalig." Anja Schneider denkt heute, da der Bau "ihres" nächsten Hospizes im nahegelegenen Zerbst begonnen hat, über eine palliative Tagestherapie für SAPV-Patienten nach.

Darüber hinaus soll künftig einmal im Monat ein Hospizmobil unterwegs sein. "Wir wollen uns den Menschen vorstellen, die nicht zu uns kommen können. Bei uns sind auch die willkommen, die am Rande der Gesellschaft stehen."

Leben bis zum letzten Tag, sterben in Würde – wenn es ein Motto für das Hospiz gibt, dann ist es dieses. Je besser unsere Zuwendung für die Schwerkranken, desto besser gelingt später die Trauer", ist Anja Schneider überzeugt.

Im Hospiz gibt es Trauergruppen unter Leitung einer Psychologin, in denen sich Angehörige auf ihrem Weg zurück ins Leben begleiten lassen können.

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