Klinikeinweisungen
Das bringt Chroniker in die Klinik
Ist wirklich jede Klinikeinweisung bei chronisch Kranken nötig? Hausärzte meinen: nein. Heidelberger Forscher haben jetzt untersucht, warum trotzdem so viele Patienten eingewiesen werden.
Veröffentlicht:HEIDELBERG. Vier von zehn Klinikeinweisungen chronisch kranker Risikopatienten wären in Deutschland durch eine effektivere ambulante Versorgung möglicherweise vermeidbar.
Welche Faktoren in der Grundversorgung dazu beitragen könnten, diese Quote zu senken, untersuchte eine Heidelberger Studie, in der Hausärzte um Stellungnahme gebeten wurden.
Im Jahr 2009 waren den Daten deutscher Krankenhäuser zufolge 38% der Klinikeinweisungen von Patienten mit den 20 häufigsten Diagnosen potenziell unnötig.
Für solche Fälle werden "Ambulatory Care-Sensitive Conditions” (ACSCs) verantwortlich gemacht. Man geht davon aus, dass eine optimale Primärversorgung derartige Klinikeinweisungen theoretisch verhindern könnte.
Wissenschaftler der Universität Heidelberg untersuchten die komplexen Zusammenhänge von Klinikeinweisungen, die anhand der Versicherungsdaten als ACSCs eingestuft wurden, und baten die behandelnden Ärzte um ihre Einschätzung (Ann Fam 2013; 11(4): 363-370).
Als Hausärzte hatten sie den genauesten Einblick in die näheren Umstände der Krankengeschichte, die Schwere der Erkrankungen, die sozialen Umstände sowie die persönlichen Belange und Erwartungen ihrer Patienten.
Insgesamt zwölf Erstversorger wurden zu 104 Krankenhausaufnahmen von 81 ACSC-Patienten (Durchschnittsalter 74 Jahre) mit chronischen Erkrankungen und hohem Risiko für eine stationäre Behandlung befragt.
Vier von zehn Einweisungen waren vermeidbar
Die teilnehmenden Ärzte kamen zu dem Schluss, dass 41% der Klinikeinweisungen potenziell vermeidbar gewesen wären. Als wesentlichen Umstand für die stationäre Aufnahme sahen sie die gesundheitliche Verschlechterung des Patienten außerhalb ihrer Sprechstunden an sowie das Fehlen geeigneter ambulanter Versorgungseinrichtungen.
Als Gründe auf Patientenebene nannten sie vor allem die Nichtinanspruchnahme ambulanter Dienste, die Ängstlichkeit von Patienten, Verständigungsschwierigkeiten, Fehler oder mangelnde Compliance bei der Medikation.
Auch übervorsichtige Betreuungspersonen sorgten zum Teil für nicht unbedingt notwendige stationäre Behandlungen.
Zudem gaben die Hausärzte ungenügende medizinische Überwachungsmöglichkeiten sowie diagnostische Unsicherheiten und den Wunsch nach einer fachspezifischen Zweitmeinung als Gründe für die Klinikeinweisung zu Protokoll. Häufig spielten den Befragten zufolge mehrere Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen eine Rolle.
Die 59% aus der Sicht der Primärversorger unvermeidlichen Klinikeinweisungen kamen dagegen insbesondere durch Komorbiditäten sowie das Eintreten einer Notfallsituation zustande.
Ansatzmöglichkeiten an vielen Ecken
Um mehr ACSC-Klinikeinweisungen zu verhindern, halten die Autoren folgende Strategien für erfolgversprechend: Bei der Identifikation von Hochrisikopatienten für ACSCs sollen auch deren soziale Situation, Therapietreue und Fähigkeiten zum Krankheits-Selbstmanagement berücksichtigt werden.
Um die Compliance zu verbessern, soll die Medikation regelmäßig überprüft und dem Patienten leicht verständliche Information zur Verfügung gestellt werden. Ein regelmäßiges (Telefon-)Monitoring könnte helfen, Symptome und Therapietreue im Auge zu behalten.
Zudem sollten Patienten und Angehörige geschult werden, um eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erkennen, dieser entgegenwirken zu können und ggf. rechtzeitig medizinische Hilfe zu suchen.
Wichtig sei darüber hinaus die Einbeziehung von Familie, Freunden, Nachbarn sowie die Kenntnis der regionalen Versorgungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt sei auch die unkomplizierte Kommunikation der behandelnden Ärzte untereinander hilfreich für eine erfolgreiche Patientenbetreuung.
Gelänge es, die Zahl vermeidbarer Klinikeinweisungen zu reduzieren, so die Autoren, würde dies nicht nur Kosten senken, sondern letztlich auch die Versorgung der Patienten verbessern. (St)
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