Medizinische Versorgung
Die Ungleichheit wächst
Gehört der Arzt wie selbstverständlich überall zur Infrastruktur? Nein, sagen Fachleute. Die Ballungsräume haben gewonnen, das Land verliert. Und die Situation wird sich verschärfen.
Veröffentlicht:BERLIN. Eine flächendeckend auf einheitlich hohem Niveau stehende medizinische Versorgung wird es in Zukunft nicht mehr geben. Statt ihrer werde es zu einer Konzentration der ärztlichen Leistungen dort kommen, wo die Menschen wohnten.
Das war eine der Hauptthesen auf einer Fachtagung anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) am Freitag in Berlin.
Selbst die Aufgabe von Siedlungen müsse in Kauf genommen werden, um Qualität zu sichern. "Verahs" und rollende Praxen seien lediglich Notlösungen für eine Übergangszeit. "Das ist nicht die Qualität, die wir wollen", sagte Professorin Elke Pahl-Weber vom Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin.
Für Pahl-Weber ist es durchaus mit dem Geist des Grundgesetzes zu vereinbaren, in Deutschland uneinheitliche Lebensverhältnisse zu haben. Die gibt es nämlich längst. Die Altersstrukturen, das Arbeitsplatzangebot und die Einkommen sind regional unterschiedlich verteilt.
Betroffen sind Gebiete in Ost wie West. Wo mehr alte, arbeitslose und arme Menschen lebten, sinke die Nachfrage nach Infrastrukturleistungen, die ausgerechnet dort noch am teuersten ausfielen. Dies betrifft unmittelbar auch die Ansiedlung von Ärzten. Das quantitative Verhältnis zwischen Arzt- und Einwohnerzahlen funktioniere nicht mehr.
Lokale Benchmarks statt Durchschnitt
Dass sich die Verhältnisse noch einmal umkehren, hält Pahl-Weber für unwahrscheinlich. "Wir sollten uns auf Räume konzentrieren, in denen sich die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse überhaupt herstellen lässt", sagte sie. Das schaffe die Voraussetzungen dafür, dass auch künftige Generationen noch eine Infrastruktur vorfinden könnten.
Dass Daseinsvorsorge auch eine Sicherung der Marktfunktion an sich bedeuten könne, bestätigte Bernt-Peter Robra vom Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie des ZI.
Statt medizinische Infrastruktur und Bevölkerungszahlen in ein Verhältnis zu stellen, sollten Ziele in den Blick genommen werden. Zum Beispiel: Welcher Gesundheitszustand ist erreichbar und welcher Leistungsmix sollte bei den Bürgern ankommen?
Diese Entwicklungen werten die räumliche Versorgungsforschung auf, wie sie das ZI betreibt. Sie könne als Seismograf dienen, mit dem sich Veränderungen in den Regionen einschätzen und Reaktionen darauf planen ließen, sagte Thomas Czihal vom ZI.
Die Sicherstellung sollte dann jeweils eine lokale Benchmark anstreben und nicht als Angleichung an den Durchschnitt erfolgen.