Reha

Nutzen kommt selten bei Zuwanderern an

Menschen mit Migrationshintergrund nehmen selten eine Rehabilitation in Anspruch. Und wenn sie es tun, profitieren sie weniger davon als andere. Forscher suchen nach den Gründen für die Versorgungslücke.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Ob eine Rehabilitation in Anspruch genommen wird, hängt offenbar auch von der Herkunft des Patienten ab.

Ob eine Rehabilitation in Anspruch genommen wird, hängt offenbar auch von der Herkunft des Patienten ab.

© Katarzyna Bialasiewicz / iStock

BERLIN. Sechs Prozent der Versicherten mit Migrationshintergrund haben laut Jahresstatistik der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund im Jahr 2013 eine Reha in Anspruch genommen.

"Dieser Wert ist angesichts eines Ausländeranteils von zehn Prozent unter den DRV-Versicherten zu niedrig", sagen Sabine Erbstößer und Pia Zollmann.

Die beiden Soziologinnen der DRV Bund haben die DRV-Routinedaten ausgewertet und herausgefunden, dass vor allem bei den Anschlussrehabilitationen (AHB) die altersstandardisierten Raten der Inanspruchnahme auseinanderklaffen.

Eingewanderte DRV-Versicherte aus der ehemaligen Sowjetunion kommen mit 57 von 10.000 Versicherten am wenigsten zum Zuge.

Deutsche Versicherte stehen hingegen mit nahezu doppelt so vielen Leistungen (103 Rehabilitanden auf 10.000 Versicherte) an der Spitze.

Versicherte, die den Pass der Türkei oder eines Staates des ehemaligen Jugoslawiens sowie Südeuropas besitzen, folgen mit mittleren Werten von 86, 78 und 77 auf 10.000 Versicherte.

Lebensbedingungen oft schlechter

Menschen mit Migrationshintergrund nehmen jedoch nicht nur seltener eine Rehabilitation in Anspruch, sie profitieren auch weniger davon.

"Drei Viertel der Rehabilitanden mit deutschem Pass haben innerhalb von zwei Jahren nach einer Rehabilitation wieder eine Arbeit aufgenommen, bei Versicherten mit türkischer Staatsangehörigkeit war es dagegen nur etwa jeder Zweite", sagt Zollmann.

Von jenen, die eine Arbeit aufnahmen, waren die deutschen DRV-Versicherten zudem im Durchschnitt 19,1 Monate lang erwerbstätig, die türkischen nur 16,5 Monate.

Der geringere Reha-Erfolg, der sich in der niedrigeren Quote der Wiedereingliederung zeigt, lasse sich jedoch nicht allein, so Erbstößer, auf die Staatsangehörigkeit zurückführen, sondern sei auch von der Beschäftigungssituation vor der Rehabilitation abhängig.

"Ein Migrationshintergrund ist an sich kein Auslöser von Krankheiten, aber er führt oftmals zu schlechteren Lebens- und Arbeitsbedingungen und in der Folge zu unterschiedlichen Bedarfen in der Gesundheitsversorgung. Wer vor der Reha erwerbstätig war, hat deutlich höhere Chancen, dies auch nach der Reha wieder zu sein - und zwar egal, welcher Nationalität er angehört", sagt Erbstößer.

Gundula Roßbach, Direktorin der DRV Bund, betont, dass der rehabilitativen Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund eine immer größere Bedeutung zukommt.

Sie plädiert für eine "individualisierte Rehabilitation", die die unterschiedlichen Lebenslagen der Zielgruppen im Blick hat. Aktuell werde einiges getan, um den Zugang in die Rehabilitation für Zuwanderer zu verbessern.

"Wir entwickeln allgemein verständliches Infomaterial und Schulungen in unterschiedlichen Sprachen, passen unsere Ernährungsangebote an, wollen unterschiedliche Krankheitskonzepte bei Therapie und Behandlung verstärkt berücksichtigten und stärken die interkulturelle Kompetenz der Teams", so Roßbach.

Kulturelle Unterschiede beachten!

Forscher der Uni Bielefeld und des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie gehen in einer Studie den kulturellen Unterschieden zwischen deutschen und zugewanderten Rehabilitanden nach.

Die Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Yüce Yilmaz-Aslan hat dazu Brustkrebspatientinnen türkischer Herkunft befragt.

Die Krebserkrankung löst bei vielen von ihnen das Gefühl aus, "nicht mehr vollkommen zu sein" und verunsichere sie in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter.

So scheuten sich viele davor, ihre Familien in die Bewältigung der Krankheit einzubeziehen. "Die Frauen wollen stark sein für die Familie und obwohl sie emotional belastet sind, zeigen sie das ihren Angehörigen nicht", berichtet Yilmaz-Aslan.

Reha-Psychologen und Ärzte sollten, so Yilmaz-Aslan, genauer prüfen, wie sie "der Vielfalt von Bedürfnissen begegnen" können und sich fragen, "ob die eigene Art zu arbeiten auch passend ist, um konkret dieser Patientin zu helfen, die einem gerade gegenüber sitzt."

Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) setzt darüber hinaus auf "Werbung" unter den Migranten: Sie bildet gemeinsam mit dem Ethno-Medizinischen Zentrum (EMZ) in Hannover Migranten zu Gesundheitslotsen aus.

Sie sollen in 140 Info-Veranstaltungen rund 1400 Zuwanderer erreichen und in deren Muttersprache über das Gesundheitssystem, über Rehabilitation und Prävention aufklären.

Die Universitäten Lübeck, Bielefeld und Chemnitz wollen jene Erwartungen und Hindernisse zusammentragen, die Menschen mit Migrationshintergrund am Beginn einer Reha und in allen folgenden Phasen haben.

Für das Vorhaben werden auch niedergelassene Hausärzte, zum Teil mit türkischem Migrationshintergrund, sowie Rehabilitationskliniken in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zu den Versorgungsstrategien befragt.

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