Honorarwelt ohne GOÄ
Riskante Idee mit Nebenwirkungen
Im Projekt Bürgerversicherung konkretisiert sich die Gerechtigkeitsstrategie von SPD und Grünen. Selbst wenn sie nicht realisierbar ist, droht eine viel realere Gefahr durch eine Harmonisierung von GOÄ und EBM.
Veröffentlicht:MÜNCHEN/STUTTGART. Die Protagonisten der Bürgerversicherung, die Gesundheitspolitiker von SPD und Grünen auf Bundes- und Landesebene, scheuen die direkte Auseinandersetzung.
Alle Anstrengungen der PVS Baden-Württemberg, für ihre Akademie-Symposien in München und Stuttgart Vertreter der beiden Bürgerversicherungs-Parteien aufs Podium zu bekommen, waren vergeblich. Entweder gab es von vornherein Absagen, oder erteilte Zusagen wurden kurzfristig zurückgezogen.
Mit dem Projekt Bürgerversicherung ist das eindeutige Ziel von SPD und Grünen verbunden, die bisher existierenden Unterschiede zwischen PKV- und GKV-Medizin einzuebnen.
Da über das DRG-System die stationäre Versorgung und durch das AMNOG - auf dessen Basis entscheiden Bundesausschuss und GKV-Spitzenverband auch im Namen der PKV über Innovationen - die Arzneimittelversorgung weitgehend egalisiert sind, bleibt nur noch die ambulante ärztliche Versorgung, bei der sich GKV- und PKV-Medizin ausdifferenzieren und in einem Systemwettbewerb stehen.
In der PKV gibt es theoretisch keine Hürden für Innovationen, aber die veraltete GOÄ macht die Anwendung von Analogziffern immer streitanfälliger, wie BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery beklagt.
Seine Hoffnung richtet sich auf eine neue GOÄ und auf einen bevorstehenden Konsens mit der PKV. In der GKV hingegen stehen in Innovationen vor hohen Hürden: zunächst im Bundesausschuss, dann im Bewertungsausschuss.
Die Existenz der PKV mit ihrer Innovationsoffenheit, davon ist Montgomery überzeugt, übt Druck auf das GKV-System aus, wenigstens mit Verzögerung neue medizinische Verfahren zu akzeptieren. Ohne PKV würde dieser Druck entfallen - es gäbe Gleichheit auf niedrigerem Niveau.
Die Reform der GOÄ bleibt das heiße Eisen
Für niedergelassene Ärzte ist das Projekt Bürgerversicherung von höchster Relevanz. BÄK-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rochell beziffert den Kompensationsbedarf bei Wegfall der GOÄ auf rund sechs Milliarden Euro. Zusagen aus Kreisen der GKV, dies auszugleichen, hält er für wertlos: "Wie soll das finanziert werden?"
Selbst bei einer Kompensation würde es zu gravierenden Verzerrungen kommen. Nach einer Analyse von Dr. Frank Diener von Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover GmbH wären die Umsatzverluste für Hausärzte im einstelligen Prozentbereich noch moderat.
Bei steigenden Spezialisierungs- und Technisierungsgrad wachsen allerdings die Umsatzverluste - und zwar in solche Größenordnungen, dass der Praxisgewinn aufgezehrt würde. Der bereits vorhandene Investitionsstau, so Diener, werde sich verschärfen.
Mit üblen Auswirkungen: Die Entscheidung für eine Niederlassung werde bei sinkender Amortisationsrate mit einem wachsenden Risiko verbunden sein, dementsprechend auch mit schwierigeren Finanzierungsbedingungen.
Das steigende Risiko für Praxisgründer bedeute vice versa für Praxisverkäufer, dass schon mit den Vorbereitungen für die Implementation einer Bürgerversicherung der Praxiswert sinkt.
Verschärft würden die Rahmenbedingungen für niedergelassene Ärzte durch die steuerpolitischen Pläne von SPD und Grünen, insbesondere die geplante Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 49 Prozent.
Aber auch ohne Bürgerversicherung - also ohne Einführung eines einheitlichen Versicherungsmarktes zu egalisierten Bedingungen - könnten sich die Verhältnisse für Vertragsärzte verschlechtern, warnt BÄK-Hauptgeschäftsführer Rochell - nämlich mit der Harmonisierung von GOÄ und EBM.
Dieses Szenario könnte viel realistischer sein als weitreichende Pläne für eine Bürgerversicherung - und damit für Ärzte umso gefährlicher.
Die GOÄ-Reform bleibt damit für die Bundesärztekammer auch in der neuen Legislaturperiode ein heißes Eisen. Und das in jeder Koalitionskonstellation.