Baustelle Arbeitsmedizin
Zwingt Fachärztemangel zu mehr Delegation?
Die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin spricht sich für eine Standortbestimmung im arbeitsmedizinischen Versorgungsalltag aus. Sie setzt auf Chancen, die die Kooperation mit nicht-ärztlichen Anbietern gerade für kleine Betriebe bieten.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Der demografische Wandel stellt auch die arbeitsmedizinische Versorgung vor Herausforderungen. Eine Engpasssituation oder gar ein Notstand zeichnet sich bei Arbeitsmedizinern und Betriebsärzten aber nicht ab. Davon zeigt sich die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) in einer jüngst veröffentlichten Stellungnahme überzeugt.
In insgesamt zwölf Thesen bezieht die DGAUM Position dazu, wie die Sicherung der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland auch zukünftig auf einem hohen Niveau gewährleistet werden kann.
Die gesellschaftlichen Herausforderungen im Rahmen der Bekämpfung sowohl von Zivilisationskrankheiten als auch von arbeitsbedingten Erkrankungen erfordern für die DGAUM insgesamt eine Diskussion der Neuordnung ärztlicher wie nicht-ärztlicher Ressourcen zur Erfüllung dieser Aufgabe.
In diesem Rahmen sei auch die Rolle der Arbeitsmediziner und der Betriebsärzte und des Präventionssettings im Unternehmen bzw. im Betrieb zu überdenken. "Die im Falle einer Delegation ärztlicher Tätigkeiten auf andere Berufsgruppen notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen müssen von den jeweiligen wissenschaftlichen Fachgesellschaften und praxisorientierten Berufsverbänden auf unerlässliche Qualitätsstandards geprüft werden", mahnen die Arbeitsmediziner zur Vorsicht vor zu viel Flexibilität bei der Einbindung Dritter von der nicht-ärztlichen Seite in arbeitsmedizinische Aufgaben.
Gesetzesänderungen nicht nötig
Nach Auffassung der DGAUM können die Anforderungen aus dem Arbeitssicherheitsgesetz und dem Arbeitsschutzgesetz auch künftig erfüllt werden. Eine Änderung dieser Gesetze sei daher nicht erforderlich, allerdings sollten die Aufsichtsbehörden stärker auf deren Umsetzung drängen, postuliert die Gesellschaft.
Vehement stellt sich die DGAUM gegen die häufig geäußerte Behauptung, es gebe zu wenige Fachärzte für Arbeitsmedizin und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung "Betriebsmedizin", um die arbeitsmedizinische Betreuung aller Betriebe zu gewährleisten.
Hintergrund ist, dass die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua) Anzeichen dafür sieht, dass auch die Arbeitsmediziner in der Demografiefalle sitzen. So seien im Jahr 2013 bereits 57,8 Prozent der Arbeitsmediziner älter als 60 Jahre gewesen.
Um die Lücke zu schließen, müssten jedes Jahr 600 Jungärzte mit der entsprechenden arbeits- oder betriebsmedizinischen Qualifikation nachrücken – mehr als dreimal so viel wie die tatsächliche Zahl.
Dem hält die DGAUM entschieden entgegen, dass bislang keine wirklich belastbaren Zahlen im Hinblick auf die Zahl der Arbeitsmediziner und der Betriebsärzte bzw. der Fachkräfte für Arbeitssicherheit vorlägen, insbesondere in Relation zu dem allgemeinen Ärztemangel, etwa bei den Hausärzten.
Die Beschreibung der Ist-Situation, etwa durch die baua, sei keineswegs präzise, da dort allein schon die arbeitsmedizinischen Weiterbildungs-Assistenten, die dem System der arbeitsmedizinischen Betreuung zur Verfügung stünden, nicht berücksichtigt würden, sondern nur die Fachärzte für Arbeitsmedizin sowie die Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin.
Entsprechend der Statistik der Bundesärztekammer verfügten zum Stichtag 31. Dezember 2015 insgesamt 12.363 Ärzte über die arbeitsmedizinische Fachkunde – 5824 davon als Fachärzte für Arbeitsmedizin, 5834 mit der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin, so die DGAUM.
Ruf nach konkreter Bedarfsanalyse
Darüber hinaus fordert die DGAUM, in einer aussagefähigen und verlässlichen Statistik zu reflektieren, in welchem Umfang eine betriebsärztliche Betreuung in den unterschiedlichen Branchenmustern und Betriebstypen notwendig ist.
Das Problem einer Unterversorgung durch Arbeitsmediziner und Betriebsärzte reduziert sich für die Gesellschaft vor allem auf den Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen und Betriebe (KMU). Große Unternehmen verfügten in der Regel über ein hervorragend ausgebautes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM).
Abhilfe für KMU könnte nach Ansicht der DGAUM das Unternehmermodell schaffen: Dieses richtet sich an alle Betriebe mit mindestens einem und bis zu 50 Beschäftigten. KMU machen etwa 40,5 Prozent der Beschäftigten in Deutschland aus, was bei fast 43,5 Millionen (Mai 2016) Erwerbstätigen rund 17,62 Millionen Beschäftigten entspricht.
Gerade das Unternehmermodell eröffne auf Basis des im Juli vergangenen Jahres in Kraft getretenen Präventionsgesetzes nach Ansicht der DGAUM neue Möglichkeiten. Das Gesetz sieht vor, dass sich die Ausgabenrichtwerte der Krankenkassen im Bereich Prävention mehr als verdoppeln – von 3,09 Euro auf sieben Euro pro Person.
Im Rahmen von regionalen Netzwerken könnten nun Krankenkassen, Unfallversicherungsträger sowie die für Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörden mit örtlichen Unternehmensorganisationen, arbeitsmedizinischen Lehrstühlen und regionalen bzw. lokalen Medien zusammenarbeiten, prognostiziert die DGAUM.