Big Data-Studie

Blick ins wahre Leben

Eine Karte des sichtbaren Weltraums dient als Vorbild. Bald soll mit einer ähnlichen riesigen Datensammlung ein tiefer Blick in das Leben des Menschen möglich werden: In New York startet "The Human Project".

Von Andrea Barthélémy Veröffentlicht:
Mit Big Data die Geheimnisse des Lebens entschlüsseln.

Mit Big Data die Geheimnisse des Lebens entschlüsseln.

© Elnur / Fotolia

NEW YORK. Wer bekommt Diabetes, Krebs oder Alzheimer? Und wie wirken sich Wohnblock, Sozialkontakte oder Schulwahl auf den Lebensweg aus? Antworten auf diese und viele andere Fragen wollen US-Forscher mit Hilfe einer bislang einzigartigen Studie finden: Für "The Human Project" sollen 10.000 New Yorker über Jahrzehnte hinweg Unmengen von Daten liefern – vor allem über eine Smartphone-App, die zahlreiche Informationen weitergibt.

Kreditkartendaten, Gehaltsschecks, Intelligenz-Tests, Arztakten, Werte aus Blut- und Urinproben und vieles mehr werden einfließen in den Big Data-Strom streng anonymisierter und zugleich gläserner Menschen. 250 Gigabyte Daten pro Jahr und Teilnehmer. "Es wird die Weise, wie wir unser Leben leben, verändern", hofft Neuro-Ökonom und Psychologe Paul Glimcher von der New York University. Wichtig ist ihm: Wer mitmachen möchte, wird genauestens aufgeklärt. "Die Weise, wie die Industrie dies bisher tut, ist beschämend, wenn nicht sogar ein Verbrechen", sagte Glimcher der "New York Times".

4000 Familien machen mit

Er ist der Kopf hinter dem ambitionierten Projekt, das von der Non-Profit-Wissenschaftsstiftung Kavli mit 15 Millionen US-Dollar finanziert wird und nach mehrjähriger Vorbereitung in diesem Herbst starten soll – mit der Rekrutierung von 4000 freiwilligen Familien aus allen Stadtteilen, Alters- und Einkommensgruppen.

Viele Studien aus den Sozialwissenschaften haben das Problem, dass sie an kleinen, selektiven Gruppen durchgeführt wurden und die Ergebnisse oft nicht reproduzierbar sind. Glimcher und seine Kollegen setzen hingegen auf einen Datensammel-Ansatz aus der Astronomie: Think big (Denke groß).

"Wenn sich Astronomen in den 1990er Jahren für Quasare interessierten, buchten sie für drei Nächte im Jahr ein Teleskop und fanden vielleicht zwei oder drei Quasare", erzählt Glimcher auf dem Portal Vox.com. Dann habe der Princeton-Astronom James Gunn eine bessere Idee gehabt: Für den Sloan Digital Sky Survey ließ er ein Teleskop langsam über den gesamten Sternenhimmel gleiten. Daraus entstand eine immense Datenbasis, mit der Forscher heute viele Zehntausend Quasare – das sind aktive Kerne von Galaxien – finden können, einfach von ihrem Computer aus.

Kagummikauf per Kreditkarte

Der Mikro-Kosmos New York mit seiner Vielfalt an Lebensformen, Hautfarben und ökonomischen Lebensbedingungen erscheint als idealer Standort für ein ähnliches Projekt an Menschen – mit dem Smartphone als "Teleskop". Da in den USA zudem selbst Kaugummis oft mit der Kreditkarte bezahlt werden, bekommen die Forscher einen genauen Einblick in das Konsumverhalten der Teilnehmer: Welche Lebensmittel werden wo gekauft? Fast-Food-Restaurants oder Salatbars bevorzugt? Wird in der Freizeit Geld für Kinokarten oder für Besuche im Fitnessstudio ausgegeben?

Aber auch soziale Kontake, online verbrachte Zeit, Umzüge, Schulkarrieren, berufliche Entwicklungen sollen aus den Daten nachvollzogen werden – über mindestens zwei Dekaden hinweg. Zugleich sammelt "The Human Project" genetische Daten und Infos zur Darmbakterien-Kultur der Teilnehmer. Diese große Diversität biologischer, ökonomischer und soziologischer Informationen durchkämmen Computerprogramme dann nach individuellen Mustern und lesen – bestenfalls – allgemeine Algorithmen heraus. "Unsere Antworten werden deutlich reicher, multivariabler sein als nur ,Zucker verursacht Diabetes‘ ", sagt Glimcher.

Um die wertvollen Daten und die Identität der Teilnehmer zu schützen, entsteht an der New York University in Brooklyn derzeit ein Hochsicherheitstrakt.

Im besten Fall, so hoffen die Forscher, wird das Projekt ab 2020 erste nuancierte Antworten geben können. Etwa darauf, wie Armut sich auf die Hirnentwicklung kleiner Kinder auswirkt oder welche Umwelteinflüsse zur Entstehung von Alzheimer und Krebs beitragen. (dpa)

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