Interview mit T-Systems-Chef Al-Saleh

„Die Infrastruktur für Telemedizin steht“

E-Rezept, Datenaustausch online: Was anderswo lange umgesetzt wird, kommt nun auch in Deutschland an. Über die daraus resultierenden Chancen für Ärzte und Patienten – aber auch die Rolle der Infrastruktur sprach die „Ärzte Zeitung“ mit dem T-Systems-Chef Adel Al-Saleh.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:
Die Datenautobahn wird jetzt auch im deutschen Gesundheitswesen geöffnet.

Die Datenautobahn wird jetzt auch im deutschen Gesundheitswesen geöffnet.

© nadla / Getty Images / iStock

Ärzte Zeitung: Herr Al-Saleh, alle Welt redet über Digitalisierung des Gesundheitswesens. Manchmal ist die Diskussion darüber aber sehr abstrakt. Was ist für Sie derzeit die nützlichste digitale Anwendung im Gesundheitswesen?

Adel Al-Saleh: Entscheidend ist für mich im Augenblick der Aufbau der Datenautobahn, also der Telematikinfrastruktur (TI) in Deutschland. Also das fehlende Bindeglied in der Kommunikation zwischen Ärzten, Apotheken, Krankenhäusern und auch Krankenkassen. Wir wollen mit der Digitalisierung erreichen, dass Befunde und Behandlungsdaten, die ein Arzt erhoben hat, mit anderen, die am Behandlungsprozess beteiligt sind, geteilt werden. Davon profitieren die Patienten – sowohl bei der Behandlung als auch bei allen anderen Prozessen.

Adel Al-Saleh

» Aktuelle Position: seit Januar 2018 Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom und CEO von T-Systems

» Ausbildung: Studium der Elektrotechnik in Boston, Betriebswirtschaft in Florida Atlantic University

» Werdegang: 19 Jahre bei IBM; Erfahrungen im Gesundheitswesen bei IMS Health (heute IQVIA); CEO bei Northgate Information Solutions

» Privates: verheiratet, 4 Kinder, lebt in London

 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Al-Saleh: Der Patient geht vom Hausarzt zum Facharzt und hat alle Daten dabei, indem diese digital abrufbar sind. Oder das E-Rezept: Kein Papier, das ein Patient zur Apotheke bringen muss, sondern das die Apotheke schon hat, weil der Arzt es von der Praxis direkt übertragen kann. Auch die Überprüfung von Medikamenten-Interaktionen, direkte Beratung in Echtzeit. Oder die Verfügbarkeit der Blutgruppe. Übrigens: Kennen Sie Ihre Blutgruppe?

Nein, warum?

Al-Saleh: Sehen Sie – und die Daten können und sollten Ärzten in einer digitalen Welt direkt im Notfall zugänglich sein. Für mich ist diese Entwicklung wirklich aufregend und sie fängt in Deutschland gerade erst an. Damit wir dabei vorankommen, müssen wir aber auch noch ganz viel Aufklärungsarbeit betreiben. Wenn wir rausgehen und die Datenautobahn, sprich die TI, in den Praxen installieren, sind viele Ärzte erstmal abwartend, zögerlich. Sie fragen sich: Wozu brauche ich das jetzt? Diese Aufklärungsarbeit – klar zu machen, wo der Nutzen liegt und dass die Risiken beherrschbar sind – ist noch eine große Herausforderung für uns.

Wie viel T-Systems steckt in dieser Datenautobahn?

Al-Saleh: Wir sind zunächst einmal einer der von der gematik geprüften Provider für die TI. Unsere Aufgabe ist es, die Datenautobahn zu etablieren, über die später alle Informationen laufen sollen. Das kann kein Unternehmen allein, aber wir sind Teil dieser Lösung. Wir wollen natürlich einen möglichst großen Marktanteil erreichen. Der Wettbewerb spornt uns dabei an. Die Hauptsache ist, dass die Spezifikationen für die einzelnen Teile der TI – VPN, Kartenleser, Zugangsdienst, Konnektor – für alle Wettbewerber dieselben sind, so dass alle miteinander kommunizieren können. Nur dann kann es eine Datenautobahn für alle sein.

Wer oder was verhindert in Deutschland bisher eine schnellere Entwicklung in Richtung digitalisiertes Gesundheitswesen?

Al-Saleh: Es gibt viele Faktoren. Zunächst einmal haben wir auf allen Ebenen einen stark fragmentierten Markt: Versicherer nutzen unterschiedliche Datenplattformen. Ähnlich sieht es bei Krankenhäusern, Ärzten und Apotheken aus. Auch die Gesetzgebung spielt eine Rolle. Ein Beispiel: Die Nutzung der Cloud (Nutzung von Daten und Diensten außerhalb des eigenen Rechners, d. Red.) im Gesundheitswesen ist erst vor Kurzem erlaubt worden. Der Gesetzgeber ist auch sehr zögerlich, wenn es um Datenschutz geht. Für uns ist Datenschutz eminent wichtig. Datensicherheit und Schutz des Individuums gehören zu den Kernpunkten der Philosophie der Deutschen Telekom. Aber wir müssen Daten sicher teilen können und gleichzeitig komfortabel verfügbar machen. Außerdem gibt es die Möglichkeit für Menschen, Daten zu ‚spenden‘, so wie Sie Blut spenden können. Beides kann helfen, das Gesundheitswesen sicherer und besser zu machen.

Wie kann man sich das vorstellen?

Denken Sie an unsere App Sea Hero Quest. Das ist ein Spiel, das sich jeder kostenlos im iTune Store und als Android-Version herunterladen kann. Mittlerweile haben das weit über vier Millionen Leute gemacht. Der Hauptzweck des Spiels ist, Daten zu sammeln, die der Alzheimer-Forschung zu Gute kommen. Die bisher auf diese Weise gesammelten Daten ersetzen mehr als zehntausend Jahre Forschung. Und so müssen wir es auch den Ärzten und Apothekern ermöglichen, Daten komfortabel auszutauschen. Letztlich geht es darum, Standards zu entwickeln, um Daten aus unterschiedlichen Quellen in Datenbanken zusammenzuführen, um dann mit Hilfe von Big Data Analytics und Künstlicher Intelligenz aus diesen Datenmengen etwas herauszufiltern – immer, ohne das Recht der Individuen an den eigenen Daten zu beschneiden.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

Al-Saleh: In den USA gibt es auch eine solche Fragmentierung im Markt, aber die Patientenakten sind kompatibel. Sie können von Arzt zu Arzt mitgenommen werden. Diese Tradition der Interoperabilität gibt es schon mindestens ein Jahrzehnt in den USA.

Vielen fehlt die Infrastruktur für eine schnelle Online-Verbindung. Was trägt T-Systems/die Deutsche Telekom dazu bei?

Al-Saleh: Gute Frage, das ist ein heißes Thema. Wir sollten zunächst feststellen, wo wir stehen. 50 Megabit pro Sekunde sind absolut ausreichend für aktuelle Anwendungen bei Ärzten. Für das Streaming eines HD-Videos in guter Qualität reichen bereits ungefähr sechs Mbit/s aus. Wir haben die nötige Infrastruktur bereits, um mit der Digitalisierung voranzukommen. Es ist keine Entschuldigung, wenn behauptet wird, dass die Infrastruktur nicht da wäre. Fehlende Infrastruktur ist nicht der limitierende Faktor für Digitalisierung des Gesundheitssystems in Deutschland.

Und wenn eine NäPA (Nichtärztliche Praxisassistentin) oder eine VERAH zum Patienten irgendwo auf dem Land geht, um bei Bedarf via Tablet Kontakt mit dem Arzt aufzunehmen, aber dort hat sie ein Funkloch, dann greifen Konzepte, Ärzte zu entlasten, nicht mehr …

Al-Saleh: Es gibt heute noch Lücken bei der Breitbandversorgung in Deutschland. Das ist richtig, aber wir haben unlängst einen Acht-Punkte-Plan aufgestellt, mit dem wir diese schließen werden. Sei es an den Autobahnen, an den Landstraßen oder auf dem Land. Wir werden 99 Prozent der Bevölkerung im Jahre 2020 mit 50 MBit/s versorgen. Bis Ende 2022 verdoppeln wir die Bandbreite auf 100 MBit/s.

Wie sieht es in Zukunft aus?

Al-Saleh: Wir haben noch keine Anwendungen im Gesundheitswesen, die ein Gigabit pro Sekunde Übertragungsrate brauchen. Wir werden diese Anwendungen bald haben. Aber im Augenblick brauchen wir die Geschwindigkeit noch nicht. 5G, der nächste Mobilfunkstandard, wird phänomenale Anwendungen bringen: Künstliche Intelligenz könnte in Echtzeit einen Chirurgen bei einer Operation unterstützen. Wir haben uns selbst verpflichtet, bis 2025 die neue Mobilfunktechnik 5G zu 99 Prozent der Bevölkerung zu bringen und damit 90 Prozent der Fläche zu versorgen. Wir sind mit aktuell rund 5,5 Milliarden Euro pro Jahr der größte Investor in Deutschland, ein Großteil davon geht in den Breitbandausbau.

Sie leben teilweise in Bonn, teilweise in London. Wenn Sie die Städte und Länder vergleichen…

Al-Saleh: Wir können beide voneinander lernen. Die Datenautobahn, ähnlich wie die TI in Deutschland, wurde in Großbritannien bereits vor mehr als zehn Jahren aufgebaut und sie wird auch voll genutzt. Auch die E-Patientenakte ist in England weiter entwickelt als in Deutschland. In Deutschland ist dagegen an manchen Stellen die Netzinfrastruktur deutlich besser als in Großbritannien.

Einer von drei Konnektoren sowie ein Zugangsdienst ist von Ihnen, ein Praxisausweis wird derzeit beworben – interessieren Sie sich jetzt auch für Ärzte als Endkunden?

Al-Saleh: Ärzte sind immer Endkunden der Deutschen Telekom gewesen. Daher können wir direkt oder über unsere Partner, also über IT-Unternehmen vor Ort, zu den Ärzten gehen. Nicht nur um ein Virtual Private Network (VPN), Kartenleser oder Konnektor, sondern auch, um künftig Zusatz-Services zu vertreiben. Ärzte sind auf jeden Fall wichtige Kunden für uns.

Welche Services?

Al-Saleh: Das E-Rezept zum Beispiel. Oder E-Patientenakten – wie werden Ärzte sie nutzen? Wie werden sie mit KI arbeiten? Oder die Telehealth-Plattform, die wir in Ostsachsen etabliert haben. Mit sicherer Verbindung zu verschiedenen Anwendungen, inklusive Datenaustausch, Coaching und vielem mehr. Wir haben eine klare Vorstellung von dem, was wir realisieren wollen, wenn die TI einmal fertig installiert ist. Und dabei spielen Ärzte eine große Rolle.

Wird es den großen Knall zu einer digitalen Gesundheitswirtschaft geben, wenn die TI ausgerollt ist. Oder kommt das digitale Gesundheitswesen über viele kleine Anwendungen?

Al-Saleh: Nein, ein großer Container für alles dauert zu lange. Er ist zu groß, zu komplex. Und das Risiko ist zu hoch, falls es dann scheitert. Wir müssen die Digitalisierung in kleine, leichter verdauliche Blöcke aufteilen. Nehmen Sie nochmal das E-Rezept. Das ist ein großer Schritt. Deutschland ist eines der wenigen Industrieländer, in denen es noch kein E-Rezept gibt. In den USA gab es schon vor zehn Jahren kein Stück Papier mehr. Die Einführung des E-Rezept ist ein Weg, um das Leben einfacher zu machen – für Ärzte und Patienten.

Wo liegt der größte Fortschritt für Krankenhäuser in der Digitalisierung?

Al-Saleh: Digitalisierung verbessert die Behandlungsqualität und erhöht die Sicherheit, wenn Sie durchgängig implementiert ist. Dadurch werden Übertragungsfehler zum Beispiel von Papiernotizen in das Krankenhausinformationssystem (KIS) verhindert. Auch Prozesse, wie zum Beispiel Closed Loop Medication, erhöhen die Patientensicherheit, da hierbei die Gabe des richtigen Medikaments an den richtigen Patienten in der richtigen Dosis zur richtigen Zeit sichergestellt wird. Die intersektorale Kommunikation über Patienten gehört sicherlich ebenfalls dazu.

Wer sind die größten Wettbewerber für T-Systems?

Al-Saleh: Ich möchte gar nicht direkt den Begriff Wettbewerber im Krankenhausumfeld verwenden. Eher Marktbegleiter, da wir mit vielen inzwischen sogar gut zusammenarbeiten. Wir haben im Bereich der KIS einen Marktanteil von rund zehn Prozent. Es gibt größere und kleinere Anbieter. Ich bin sicher, dass wir die Kliniken mit unseren Internet der Dinge-Lösungen voranbringen. So kann das Krankenhauspersonal zum Beispiel medizinische Geräte und andere Gegenstände wie Betten leichter und mit weniger Zeitaufwand lokalisieren. Das spart Zeit und Geld und erhöht die Effizienz.

Mit der Digitalisierung des Gesundheitssystems kommen aber auch neue Wettbewerber in den Markt. Firmen wie IBM, Google, Apple. Alle diese Unternehmen bringen neue Ideen ein. Entscheidend ist, dass wir die Datenautobahn haben, die Standards, die es ermöglichen, untereinander zu kommunizieren und alles miteinander zu vernetzen.

Wo stehen in 20 Jahren im digitalisierten Gesundheitswesen die Ärzte?

Al-Saleh: Ärzte können auf ganz neue Ressourcen, also weltweite Daten zurückgreifen, wenn sie eine Diagnose stellen und eine Therapie verordnen. Sie werden künstliche Intelligenz nutzen, um bessere Entscheidungen zu treffen. Sie können Daten schneller austauschen. Coaching durch Experten mit VR-Lösungen in Echtzeit wird möglich sein. Das kann beispielsweise einem Pfleger helfen, wenn er zum ersten Mal zu einem Patienten kommt, oder auch einem Chirurgen während der Operation. Stellen Sie sich vor: Sie nehmen während einer operativen Eingriffs Kontakt zu Experten auf, die in Australien, den USA und irgendwo in Europa sitzen. Oder auch zu einer KI-Plattform. Sie vermitteln über Virtual Reality einen Blick auf das Operationsfeld und erhalten dann direkt in Echtzeit Hilfe, die Sie befähigt, das Richtige zu tun. Eine faszinierende Vorstellung.

T-Systems

  • Branche: T-Systems ist Tochter der Deutschen Telekom und für Geschäftskunden zuständig.
  • Bündelung der Digitalbereiche: Einheit für digitale Lösungen in Deutschland bildet 11 Branchen ab, eine davon ist Gesundheit.
  • Portfolio: u.a. TI-Anschlüsse, KIS „iMedOne“, Lösungen für das Internet of Things, Sicherheitslösungen, SAP etc.
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