Geldanlage

"Unser Gehirn ist süchtig nach Belohnungen"

Wer Geld gespart hat, überlegt, wie er es vermehren kann, etwa an der Börse. Aber unser Hirn kann nicht mit Geld umgehen, findet der ehemalige Investmentbanker Roland Ullrich. Im Interview verrät er, wie Anleger dennoch zum Ziel kommen.

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Zur Person

'Unser Gehirn ist süchtig nach Belohnungen'

© Roland Ullrich

Roland Ullrich war 20 Jahre lang als Investmentbanker international bei verschiedenen Großbanken tätig.

Als Berater, Trainer und Coach beschäftigt er sich mit dem Thema Geld und Gehirn aus neurowissenschaftlicher Sicht.

Er ist Mitglied an der Akademie für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement (AFNB) und am Zentrum für Behavioral & Neuro Finance Forschung (ZFBFF).

Ärzte Zeitung: Herr Ullrich, was passiert in unserem Gehirn, wenn wir Geld in Aktien investieren?

Roland Ullrich: Gewinne und Verluste werden in unserem Gehirn in verschiedenen Arealen verarbeitet. Bei Aktiengewinnen wird das Belohnungszentrum aktiviert und das Hormon Dopamin ausgeschüttet. Es ist vor allem die Erwartung auf einen Gewinn, die uns in freudige Erregung versetzt.

Tritt der Gewinn dann tatsächlich ein, wird die Aktie oft zu schnell verkauft. Aus Angst, den Gewinn wieder zu verlieren, verkaufen wir zu früh, obwohl wir offensichtlich die richtige Investitionsentscheidung getroffen haben.

Bei Verlusten wird das Schmerzzentrum aktiviert, dort wo wir auch physischen Schmerz verarbeiten. Dann laufen automatische Reaktionen in unserem Gehirn ab, um den Schmerz zu vermeiden.

Wir reagieren darauf, wie schon in der Steinzeit bei Angst und Bedrohung, mit Flucht oder Kampf: Beim Fluchtreflex, warten Anleger meist erst einmal ab - verschließen die Augen und sind handlungsunfähig. Beim Kampfreflex denken sie sich, "denen zeige ich es jetzt, dass ich doch richtig liege" und sie kaufen vielleicht sogar noch einmal Aktien nach.

Stresshormone wie Adrenalin werden freigesetzt. Der Verstand wird ausgeschaltet und der Autopilot übernimmt.

Fazit: Geldverluste schmerzen erheblich mehr, als Gewinne in gleicher Höhe Freude bereiten. Deshalb werden Anleger bei Gewinnen risikoscheu und verkaufen zu früh, bei Verlusten risikofreudig.

Um Schmerzen zu vermeiden, werden kleine Verluste nicht realisiert, und es wird an falschen Strategien festgehalten. Erst wenn die Verluste ausufern und der damit verbundene Stress uns in Panik versetzt, verkaufen wir alles blind. Dies ist absolut irrational im ökonomischen Sinne.

Also hat sich unser Gehirn seit der Steinzeit nicht mehr verändert?

Ullrich: Das Muster unserer Reaktion hat sich seit der Steinzeit nicht wesentlich verändert. Wir reagieren hochemotional und impulsgesteuert auf Gewinne und Verluste.

Aber natürlich hat sich unser Gehirn im Laufe der Evolution enorm entwickelt: So ist der Frontallappen, wo unser logisches Denken und der Verstand sitzen, fünf Mal größer geworden und wir sind nicht mehr, wie etwa Tiere, Instinktgetrieben.

Trotzdem ist unser Gehirn gewissermaßen ein lebendes Fossil. Es verändert sich lediglich um ein bis zwei Prozent in 100.000 Jahren. Damit ist die rasante Entwicklung der Welt in den letzten Jahrhunderten unserem Gehirn weit voraus.

Typische Verhaltensweisen und Reiz-Reaktionsmuster, die dazu bestimmt waren, in der Steinzeit unser Überleben zu sichern, führen heute zu irrationalen Entscheidungen an den Finanzmärkten.

Warum werden wir bei Finanzentscheidungen von unseren Emotionen geleitet?

Ullrich: Etwa 90 Prozent unserer Entscheidungsprozesse laufen im Gehirn unbewusst ab. Sie sind maßgeblich von den emotionalen Bewertungen des limbischen Systems geprägt. Diese Bewertungen werden über die Gene weitergegeben und durch individuelle Lebens- und Lernerfahrungen geformt.

Auch bei Finanzgeschäften werden wir von Emotionen geleitet, die wir schon seit tausenden von Jahren in uns tragen. Unser Gehirn entscheidet immer auf Basis des emotionalen Erfahrungsgedächtnisses.

Brian Knutson, Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der Stanford University hat herausgefunden, dass bei der Präsentation von Geldscheinen stärkere Hirnaktivitäten im Nucleus Accumbens auftreten, als bei Bildern mit sexuellen Motiven und Gewalt. Geld ist demnach mit großen Emotionen verbunden.

Wie entsteht die Gier beim Zocken an der Börse?

Ullrich: Wenn Anleger Gewinne erwarten, wird Dopamin ausgeschüttet und dieses gute Gefühl, diese Freude wollen wir wieder spüren, deswegen wird wieder investiert und "Gier" oder auch Sucht entsteht.

Die Erwartungshaltung auf den Gewinn ist der Antreiber für die Börse. Dies ist ähnlich beim Thema Bonus: Wenn ich einen Bonus am Jahresende in Aussicht stelle, treibt das die Mitarbeiter an, wo hingegen ein fester Betrag zu keiner zusätzlichen Motivation der Mitarbeiter führt.

Besonders reizvoll ist dabei ein erwarteter Gewinn, in den ich keine Arbeit investieren muss. Zudem überlagert die Aussicht auf Reichtum die Angst vor Geldverlust. Versuche haben gezeigt, dass positive Erwartungen die Nervenzellen im Belohnungszentrum des Gehirns stärker aktivieren, als bei einem tatsächlich erhaltenen Geldbetrag.

Wie reagiert der Großteil der Anleger an der Börse? Wie lässt sich etwa ein Börsencrash erklären?

Ullrich: Die Mehrheit der Privatanleger verlieren die Nerven, wenn die Aktien unten sind - und verkaufen. Es wird Adrenalin ausgeschüttet, was zu Kontrollverlust führt. So können in Krisenzeiten Panikverkäufe erklärt werden.

Sind die Kurse oben, springen die Privatanleger auf den fahrenden Zug. Die Erwartung, an den steigenden Kursen teilzuhaben, weckt die Gier. Unser Gehirn ist süchtig nach Belohnungen. Risiken werden systematisch unterschätzt, sobald Dopamin im Spiel ist.

In beiden Fällen kommen zudem massenpsychologische Phänomene zum Tragen. In der Evolutionsgeschichte hat sich das sogenannte Herdentriebverhalten bewährt. Das limbische System im Gehirn schlägt Alarm, sobald die eigene Meinung von der Mehrheitsmeinung abweicht.

Gruppendruck erzeugt Angst und aktiviert automatisch das Schmerzzentrum im Gehirn. Ausgrenzung oder sogar Ausschluss aus der Gruppe war in der Evolution tödlich.

Deshalb sorgt das Bindungshormon Oxytocin für eine Angleichung an die Gruppe beziehungsweise Mehrheitsmeinung. Diese unbewusste Anpassung an die Mehrheitsmeinung führt allerdings an den Börsen immer wieder zu spekulativen Blasen und Crashs.

Welcher Typ Anleger kann trotzdem an der Börse erfolgreich sein?

Ullrich: Extrem disziplinierte Anleger, die ihre Emotionen kontrollieren können, ein strenges Regelsystem aufstellen und konsequentes Risikomanagement betreiben.

Der Anleger macht sich einen genauen Plan im Vorfeld, wie er auf verschiedene Szenarien reagieren wird. An diesen Handelsplan hält er sich strikt.

Am besten fängt man erst einmal auf dem Papier an, fiktiv zu spekulieren, um zu sehen, ob der entworfene Handelsplan gut ist. Dann kann man ihn in die Realität umsetzten.

Und hier muss man aufpassen: Wenn echtes Geld im Spiel ist, kommen unsere Emotionen und damit archaische Reiz-Reaktionsmuster hinzu. Der Kontrollverlust ist dann groß und der zurechtgelegte Plan kann in Sekunden ausgehebelt werden.

Welchen Tipp können Sie Anlegern noch mit auf den Weg geben?

Ullrich: Wir können unser Gehirn trainieren. Impulse können kontrolliert werden, das erfordert allerdings ein hohes Maß an Selbstdisziplin und viel Training. Erfolgreiche Anleger lassen Gewinne nach oben laufen und haben bei Verlusten vorher automatische Stop-Loss-Limits gesetzt, damit diese nicht ausufern.

Mein Tipp: Sich an den schriftlichen Handelsplan, den man vorher aufgestellt hat, strikt halten und nach einem Zeitraum, etwa von drei bis sechs Monaten, schauen, ob der Plan erfolgreich ist.

Wer sich an der Börse von seinen Emotionen treiben lässt, verliert. Finanzieller Erfolg an der Börse ist lernbar und beginnt im Kopf!

Wer profitiert davon, dass wir nicht mit Geld umgehen können?

Ullrich: Ganz klar, die Banken und alle Anbieter von gehebelten Finanzprodukten. Beispielsweise sind Zertifikate ein sehr lukratives Geschäft für die Emittenten.

Die Finanzinstitute und ihre Lobbyvertreter haben bis heute verhindert, dass in der Werbung auf die hohen Verlustrisiken und die Suchtgefahr im Börsenhandel hingewiesen werden muss. Die eindringlichen Warnungen der Europäischen Finanzaufsicht und der Bundesbank vor den Risiken spekulativer Anlageprodukte haben bislang wenig bewirkt.

Wie sind Sie, als ehemaliger Investmentbanker, zu dem Thema gekommen?

Ullrich: Das Thema hat mich interessiert, da ich selbst 20 Jahre an den Börsen in Frankfurt, London und New York gearbeitet habe und ich natürlich die gleichen Verhaltensmuster an den Tag gelegt habe, wie alle anderen Anleger und Investoren auch.

Da war am Anfang auch viel Selbsterkenntnis dabei. Ich habe mir dann das Wissen in Verhaltenspsychologie und Neurowissenschaften angeeignet und arbeite mit Professoren aus den verhaltenspsychologischen und neurowissenschaftlichen Bereichen zusammen.

Das Interview führte Kerstin Mitternacht

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