Umfrage deckt auf
So verbreitet ist Cybermobbing
Wie viele Jugendliche in Deutschland werden in sozialen Netzwerken beleidigt und gehänselt? Die Antwort liefert eine Umfrage unter rund 10.000 Schülern.
Veröffentlicht:KÖLN. Die 15-jährige Amanda Todd nahm sich nach andauerndem Mobbing im Netz das Leben. Die 17-jährige Retaeh Parsons erhängte sich anderthalb Jahre, nachdem sie von vier jungen Männern vergewaltigt worden war und einer von ihnen ein Foto der Tat ins Internet gestellt hatte.
Dass es sich hierbei um zwei Extremfälle des sogenannten Cybermobbings handelt, die noch dazu weit weg in Kanada passiert sind, ist kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Denn auch unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist das Mobbing im Netz keine Ausnahme mehr.
Das zeigt eine groß angelegte Untersuchung, die kürzlich in Köln vorgestellt wurde. Mit Unterstützung des Versicherers Arag hat das Bündnis gegen Cybermobbing zwischen Ende 2012 und Anfang 2013 rund 10.000 Schüler im Alter von zehn bis 22 Jahren, Lehrer und Eltern befragt.
In dem Bündnis engagieren sich unter anderem Eltern, Pädagogen, Juristen, Ärzte und Forscher.
Kritisches Alter liegt bei 12 bis 15
Nach der Befragung sind 16,6 Prozent der Schüler bereits Opfer von Cybermobbing-Attacken geworden, das kritischste Alter liegt zwischen zwölf und 15 Jahren.
19,1 Prozent gestanden ein, selbst schon einmal Täter gewesen zu sein. Das kann nach Angaben der Autoren darauf hindeuten, dass die tatsächliche Zahl der Opfer höher liegt.
Die häufigste Form des Cybermobbings sind Beschimpfungen und Beleidigungen, gefolgt von der Verbreitung von Lügen und Gerüchten, Hänseleien und Bedrohungen oder Erpressungen. Bei 15 Prozent der betroffenen Jungen und 14 Prozent der Mädchen war die Verbreitung unangenehmer oder peinlicher Fotos und Filme im Spiel.
"Für die Opfer ist das Cybermobbing dramatisch und tut weh", sagte Dr. Catarina Katzer, Präventionsexpertin Gewalt und neue Medien des Bündnisses gegen Cybermobbing. "Fast ein Drittel hat dauerhafte Schädigungen."
Die Kinder und Jugendlichen leiden zum Teil unter psychosomatischen Beschwerden, bekommen Leistungsprobleme und weigern sich, weiter in die Schule zu gehen. "Cybermobbing macht nicht jeden krank, aber es kann viele krank machen und zwar so, dass sie Hilfe brauchen", sagte Katzer.
Viele Eltern kennen das Phänomen, glauben aber nur in seltenen Fällen, dass ihre eigenen Kinder davon betroffen sind. Die Befragung zeigt, dass die Mehrheit der Eltern die Internetnutzung der Kinder kaum kontrolliert, nur 17 Prozent sind entsprechend wachsam.
"Dabei sind die Eltern ein wichtiges Regulativ", betonte sie. Kinder und Jugendliche, deren Eltern mit ihnen über das Internet und die damit verbundenen Gefahren reden, seien seltener Opfer von Cybermobbing.
Eltern und Lehrer fühlen sich hilflos
Nur 44 Prozent der Erwachsenen finden, dass sie über das Thema ausreichend informiert sind. "Beratung und Aufklärung müssen sich ändern, viele Eltern fühlen sich hilflos", forderte die Medienpsychologin.
Ähnliches gilt für die Lehrer, von denen sich nur 39 Prozent für gut informiert halten. Dabei kennen fast 60 Prozent Cybermobbing-Fälle unter ihren Schülern, und zwar in allen Schularten inklusive der Grundschulen.
Die Lehrer müssten stärker unterstützt werden, denn sie stünden in einer großen Verantwortung und unter einer großen Belastung, sagte der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses gegen Cybermobbing Uwe Leest. "Eine gut ausgebildete Lehrerschaft kann auch die Eltern erreichen." Notwendig sei neben gezielter Lehrer-Fortbildung auch die Einführung eines Fachs Medienerziehung.
Das Bündnis macht sich für eine deutschlandweite zertifizierte Online-Beratungsstelle und eine bundesweite Anlaufstelle nach dem Vorbild der Hotline "Gewalt gegen Frauen" stark. Leest forderte auch die Schaffung eines "Cybermobbing-Gesetzes" als wichtigen Schritt zur Sensibilisierung der Opfer und der Täter.
Die Opfer würden sehen, dass sie sich wehren können, und die Täter erkennen, dass Cybermobbing kein Spaß ist und Strafe droht. "Damit könnte man ein Stück Prävention erreichen", hofft er.