Krankheit wird nicht gepostet
Jugendliche, die ernsthaft erkrankt sind, gehen mit ihren Gesundheitsinfos in sozialen Netzwerken viel vorsichtiger um, als vermutet wird. Eine Studie zeigt: Über ihre Krankheit wird auf Facebook und Co. geschwiegen.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Das Internet und Soziale Medien sind aus dem Alltag von Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Das gilt auch für jugendliche Patienten.
Doch anders als vielfach vermutet, nutzen chronisch bzw. langfristig erkrankte Jugendliche die sozialen Medien nicht, um medizinische Informationen zu suchen. Und sie geben auch kaum etwas über ihre Erkrankung preis.
Das zumindest haben norwegische und kanadische Forscher in einer qualitativen Studie im Children‘s Hospital of Eastern Ontario (CHEO) herausgefunden.
Facebook nutzen alle
Die Studienautoren Maja van der Velden und Khaled El Emam führten mit 20 Mädchen und Jungen zwischen 12 und 18, die in der Klinik entweder länger oder wegen einer chronischen Erkrankung behandelt wurden Interviews von rund 30 Minuten (J Am Med Inform Assoc 2013; 20: 16-24).
Das Thema: Die Nutzung der sozialen Medien, allen voran Facebook. Denn alle 20 Jugendlichen sind aktiv in dem sozialen Netzwerk.
Wohingegen gerade einmal acht von ihnen einen Zugang zu Upopolis, einem geschlossenen sozialen Netzwerk für junge kanadische Patienten, haben. Und nur zwei Patienten nutzen Upopolis auch aktiv.
Doch es ging den Studienautoren nicht nur darum, in welchen sozialen Netzwerken sich junge Patienten bevorzugt aufhalten.
Mehrere Studien hätten gezeigt, dass sich Teenager zwar um ihre Privatsphäre sorgen, sich in sozialen Netzen aber nicht dementsprechend verhalten, sondern persönliche Daten sehr freizügig offenlegen, schreiben die Autoren.
Wie gehen junge Patienten mit ihrer Privatsphäre im Web um?
Die Frage war nun: Wie gehen junge Patienten mit ihrer Privatsphäre im Web um?
Das Ergebnis überrascht. Vor allem vor dem Hintergrund einer anderen Studie, die der Branchenverband Bitkom bereits 2011 veröffentlichte. Danach waren schon damals 98 Prozent der Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren (700 wurden befragt) online.
Fast 90 Prozent der 16- bis 18-Jährigen gaben an, mindestens einmal täglich im Internet zu sein. Eine der Hauptbeschäftigungen dieser Jugendlichen im Web war: das Chatten mit Freunden.
Auch bei den befragten Teenagern im CHEO, die zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 12 und 18 Jahren waren, zeigte sich: Alle nutzten aktiv das Internet und aktiv soziale Medien.
Die Mehrheit hatte zudem ihren eigenen Laptop oder das eigene Mobiltelefon mit in die Klinik gebracht. Wobei die kanadische Kinderklinik ihren jugendlichen Patienten nicht nur einen drahtlosen Netzzugang, sondern auch Leih-Laptops zur Verfügung stellt.
Es wird nichts öffentlich gepostet
Spannend war, dass die Jugendlichen zwar ihren richtigen Namen und ihr richtiges Geburtsdatum auf Facebook nutzen. Auf der anderen Seite aber sehr großen Wert auf eine hohe Privatsphäre in dem sozialen Netzwerk legen.
18 der Teenager haben ihren Account so eingestellt, dass "nur Freunde" Zugriff auf gepostete Nachrichten haben. Die beiden anderen Jugendlichen ließen zudem noch "Freunde von Freunden" zu. Nicht einer der Teenager war in einem öffentlichen Blog aktiv.
Weil sie sich im Krankenhaus befinden und keine Zeit mit Schulkameraden und Freunden verbringen können, nutzten sie das Internet reger, als wenn sie zu Hause sind, erklärten alle 20 Teenager.
Aber: Sie stellen keine Informationen zu ihrer Erkrankung in das soziale Netzwerk. Facebook - so das Ergebnis der Studie - ist für die jungen Patienten vielmehr ein Ort, an dem sie ganz normale Jugendliche sein können. Und ein Ort, an dem sie ihre sozialen Kontakte aufrecht erhalten können.
Immerhin 18 der befragten 20 Teenager posten auf Facebook keine Statusmeldung, wenn sie sich in der Kinderklinik befinden.
"Facebook-Freunde" gezielt ausgewählt
Mehr noch: Die Interviews zeigten deutlich, dass die Jugendlichen aktiv entscheiden, wer ihre Facebook-Freunde sind und welche gesundheitlichen Infos sie in dem Netzwerk weitergeben.
So antwortete etwa eine 17-Jährige: "Ich füge nicht willkürlich Leute hinzu, die mich fragen, ihr Freund zu sein, denn ich kenne sie ja nicht."
Die Mehrheit der befragten Teenager vertraut dabei den Privatsphäre-Einstellungen auf Facebook, kontrolliert diese aber auch regelmäßig. Denn die Jugendlichen sind sich durchaus bewusst, dass Facebook öfter die Privatsphäre-Einstellungen ändert.
Insgesamt dient Facebook aber, wie auch bereits die Bitkom-Studie aus 2011 andeutete, den Jugendlichen als allumfassendes Kommunikationsmittel im Internet. E-Mails schrieben die Teenager im CHEO nicht mehr.
Dennoch befinden sich die Jugendlichen in einem Privatsphären-Paradoxon, erklären van der Velden und Emam: Auf der einen Seite versuchen sie, nichts über ihre Erkrankung und den Klinikaufenthalt preiszugeben. Auf der anderen Seite steht das Risiko, einer geringeren Aktivität im Facebook-Account.
Und damit das Risiko, seltener von Facebook-Freunden wahrgenommen zu werden. So postete ein Mädchen - obwohl sie normalerweise nichts über ihre Diagnose auf Facebook schreibt und "nur Freunden" den Zugriff auf ihre Mitteilungen ermöglicht - eine öffentliche Meldung auf ihrer Facebook-Pinnwand, als ihr Lieblings-Hockey-Team das Kinderkrankenhaus besuchte.
Kontakt zu anderen Jugendlichen mit ähnlicher Erkrankung wird nicht gesucht
Die Jugendlichen gaben übrigens durchweg an, dass sie im Internet gerade nicht nach Informationen zu ihrer Diagnose, Behandlung etc. suchen - und auch nicht nach Kontakten zu anderen Jugendlichen mit ähnlicher Erkrankung suchen.
Durch die vielen Aufenthalte im CHEO haben aber einige Schwerstern aus der Klinik als Facebook-Freunde hinzugefügt.
Ein Mädchen nutzt Facebook auch als Kommunikationsmittel, wenn sie Fragen zu ihrer regelmäßig wechselnden Medikation hat.
Diese Art der Kommunikation sei dem Klinikpersonal zwar untersagt, berichten die Studienautoren, da Facebook für die Jugendlichen aber ein ganz alltägliches Kommunikationsmittel sei, sei dieser Weg des Austauschs "nicht überraschend".
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Vorbildliche Sensibilität