"Chefs müssen gute Hygiene vorleben"
Der Kampf gegen Infektionen muss in der ambulanten und stationären Behandlung verstärkt werden, forderten Experten beim "Kasseler Symposium". Auch Führungskräfte müssten das Thema ernst nehmen, sagt Professor Markus Dettenkofer.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Die Zahl der Menschen, die in deutschen Kliniken an Infektionen sterben, wird auf 12 000 bis 15 000 pro Jahr geschätzt. Was weiß man über den ambulanten Bereich?
Prof. Markus Dettenkofer: Die Daten für die Krankenhäuser stammen aus dem Nationalen Surveillance System (KISS). Sie sind nicht statistisch hart, spiegeln aber sicher gut die Realität. Eine vergleichbare systematische Untersuchung für den ambulanten Bereich gibt es nicht.
Ärzte Zeitung: Wie viele der Todesfälle gehen auf vermeidbare Infektionen zurück?
Dettenkofer: Es gilt die alte Regel: Etwa ein Drittel der nosokomialen Infektionen lassen sich vermeiden. Man muss daher von 4000 Fällen ausgehen.
Ärzte Zeitung: Was hat das mit Personalmangel und Spardruck im Gesundheitswesen zu tun?
Dettenkofer: Für Methicillin resistente Staphylococcus aureus (MRSA) ist der Zusammenhang zwischen Personaldichte und Übertragung gut belegt: zu wenige Pflegekräfte, zu wenige Ärzte, mehr MRSA. Ähnlich ist es bei anderen Infektionen.
Ärzte Zeitung: Welche Maßnahmen könnten die Infektionsrate senken?
Dettenkofer: Nötig ist ein Maßnahmenbündel: Die Ausbildung muss verbessert werden. Wir müssen aber auch Dinge besser machen, die wir längst kennen. Hände-Hygiene ist das Allerwichtigste - in der Klinik genauso wie in der Praxis. Spender mit Desinfektionsmittel gehören genau dorthin, wo mit Patienten gearbeitet wird. Und es sollten Mittel sein, die auch bei 60 Anwendungen am Tag gut vertragen werden, z.B. farb- und duftstofffreie. Klar ist auch: Wenn Chefs gute Hygiene nicht vorleben, passen sich Mitarbeiter oft an. Und bei der Resistenzkontrolle kommt es zu allererst auf eine kritische und gezielte Antibiotika-Therapie an.
Ärzte Zeitung: Gibt es Fälle unnötiger Vorsichtsmaßnahmen?
Dettenkofer: Wir kennen Fälle, in denen nach der Operation eines Patienten mit MRSA der OP-Saal für mehrere Stunden gesperrt wird, weil das Desinfektionsmittel angeblich so lang einwirken muss. Das ist nicht nötig. Wenn das Mittel getrocknet ist, kann operiert werden. Auch ein Rettungshubschrauber muss nicht stundenlang stehen, weil ein MRSA-Patient darin transportiert wurde.
Ärzte Zeitung: Zum 1. Juli greift eine neue Meldepflicht für MRSA. Sie sehen das als Fortschritt. Was könnte die Politik noch gegen die Ausbreitung resistenter Erreger tun?
Dettenkofer: Große Probleme gibt es an den Nahtstellen zwischen ambulantem und stationärem Bereich. Wird ein MRSA-Patient entlassen, bleibt die Dekolonisierung aus, weil die Krankenkassen die Mittel nicht bezahlen. Da ist noch zu wenig Verstand im System.
Das Interview führte Katja Schmidt.
Kasseler Symposium
Das Kasseler Symposium ist eine Veranstaltung der B. Braun Aesculap-Akademie. Ihr Thema dieses Jahr: "Infektionen in stationärer und ambulanter Behandlung: Prävention, Therapie und Qualitätsmanagement". Einer der wissenschaftlichen Leiter war Prof. Markus Dettenkofer (48). Er ist leitender Oberarzt am Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Freiburg.