Klinik-Krise: Direktoren verschicken Brandbrief

Es brodelt am privatisierten Uniklinikum Marburg/Gießen. Jetzt schlagen die Klinikdirektoren Alarm - und liefern in einem Brandbrief 22 Thesen zur Krise.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Uniklinik in Marburg: Die Krise hat die Klinikdirektoren zu einem Brandbrief veranlasst.

Uniklinik in Marburg: Die Krise hat die Klinikdirektoren zu einem Brandbrief veranlasst.

© imagebroker / imago

MARBURG. Mit "22 Thesen zur Krise des Universitätsklinikums Gießen & Marburg" schlagen nun auch die Klinikdirektoren des mittelhessischen Großkrankenhauses Alarm.

"Es stellt sich die Frage, ob das Projekt der Privatisierung einer Universitätsklinik durch ein börsennotiertes Unternehmen nach guten Anfangserfolgen nunmehr als gescheitert anzusehen ist oder ob eine Veränderung des Geschäftsmodells das Projekt doch noch auf den Erfolgsweg zurückführen kann", schreiben Hans-Peter Howaldt und Hinnerk Wulf im Namen aller Klinikdirektoren an den Standorten Gießen und Marburg.

Die aktuelle Krise des Klinikums bezeichnen sie als Interessenkonflikt zwischen den Renditeerwartungen der Rhön-Klinikum AG und dem Bestreben der dort tätigen Mediziner und Pflegenden zu einer qualitätsorientierten Hochleistungsmedizin.

Dies könne bereits innerhalb eines Jahres zu erheblichen Nachteilen führen. Bereits jetzt seien die Patienten zunehmend verunsichert. "Potenzielle Bewerber aus den Reihen der umworbenen jungen Ärztinnen und Ärzte wenden sich ab", schreiben sie.

Unrealistische Vorgaben moniert

Auch die Studierenden spürten eine Gefährdung ihrer Ausbildung. Seit der Privatisierung sei es zu einer "erheblichen Verdichtung" der Arbeit von Ärzten und Pflegekräften gekommen.

"Absolutes Unverständnis" äußern die Klinikdirektoren angesichts des "nicht erkennbaren Bemühens um eine konstruktive Zusammenarbeit der Rhön-Klinikum AG mit der derzeitigen kaufmännischen Geschäftsführung".

Die Leistungssteigerungen im Klinikum seien ganz wesentlich auch das Verdienst der bisherigen Amtsträger an beiden Standorten.

In diesem Zusammenhang weisen sie darauf hin, dass binnen sechs Jahren 16 Geschäftsführer berufen wurden. "Die hohe Fluktuation ist Ausdruck von unrealistischen Vorgaben hinsichtlich erreichbarer wirtschaftlicher Ergebnisse", schreiben sie.

So müsse das Klinikum sämtliche Zinsaufwendungen und Abschreibungen für Investitionen aus dem laufenden Krankenhausbetrieb erwirtschaften - 40 Millionen Euro pro Jahr.

Selbst die Verpflichtung, 30 Millionen Euro in Forschung und Lehre zu investieren, solle sich aus dem Erlös der Krankenversorgung amortisieren, kritisieren die Ärzte.

Rücknahme der Privatisierung soll geprüft werden

In ihrer letzten These fordern sie, die Rücknahme der Privatisierung zu prüfen, "bevor durch Rufschädigung und Weggang von Kompetenzträgern ein schwer wieder gut zu machender Schaden entstanden ist". Ein Scheitern des ganzen Projekts stehe im Raum, warnen sie.

Unterdessen fordert das Marburger Stadtparlament die Landesregierung dazu auf, die Privatisierung der Universitätsklinik Gießen und Marburg zurückzunehmen.

Einstimmig verurteilten die Stadtverordneten den drohenden Stellenabbau. Das Bündnis "Gemeinsam für unser Klinikum" hat bereits mehr als 8000 Unterschriften dagegen gesammelt.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

62 Kassen im Beitragssatz-Check

Höhere Zusatzbeiträge: So teuer wird Ihre Krankenkasse 2025

Kommentare
Helmut Karsch 04.04.201220:49 Uhr

Return of Investment oder wie Aktiengesellschaften die Medizin verstehen.

Die Rhöngruppe als Profiteur öffentlicher Verschuldung folgt wie das Blut dem Skalpell. Mit schnellen Einschnitten in die jeweiligen Regionalstrukturen entledigt sich dieser Arbeitgeber der "Ballastexistenzen" die eine Renditehemmung darstellen. Wer die schnelle Rendite bremst kann gehen. Hauptsache die Kosten sinken und der Aktionär ist zufrieden. Dies ist kein üblicher Marktteilnehmer am Gesundheitsmarkt sondern ein „Operateur der besonderen Wesensart“. Die Renditephantasien dieser „ modernen Systemfledderer“ kennen nur Grundsatz: „Vogel friss oder stirb.“
„Die systemkonformen angepassten Ärzte“ werden mit umfangreichen Papieren und Arbeitsblättern dazu aufgefordert, sich um die betriebswirtschaftliche Stoßrichtung des Klinikums Gedanken zu machen. Ausdrücklicher Bestandteil der Analyse soll die Bewertung der Konkurrenz sein, der Marktanteile abzunehmen sind. Die Niedergelassenen kommen letztlich an zwei Stellen vor, nicht nur als Konkurrenz, der Marktanteile abzunehmen sind, sondern auch als Zuweiser, deren Perspektive mitbedacht werden soll. Der Erfolg der Ziele der Rhön-AG beruht darauf, dass sie selbst eine straff betriebswirtschaftlich-gewinnorientierte Strategie entwickelt, während auf der anderen Seite eine Gruppe von Niedergelassenen steht, denen die Konzernstrategien und politischen Veränderungen im Gesundheitssystem unklar sind und die demzufolge weder eine eigene noch eine gemeinsame Abwehrstrategie entwickeln können. Bemerkenswerter Weise gibt es zu diesem Beispiel der rücksichtslosen Demontage der öffentlichen Daseinsfürsorge eine Bildungs/Forschungsplattform, die in ihrem Ursprung und auch dem Bestand auf die Bertelsmannstiftung zurückzuführen ist. CKM steht für das Centrum für Krankenhaus-Management, das 1994 von der Bertelsmann-Stiftung gegründet wurde. Dem angegliedert ist das IKM, Institut für Krankenhausmanagement. An der Universität Münster werden unter der Regie der Bertelsmannstiftung Krankenhausmanager herangezogen, die exakt den Vorstellungen der privaten Klinikbetreiber entsprechen. Laut Selbstdarstellung des CKM ist das Ziel der Arbeit, "Wege aufzuzeigen, wie praxisbewährte Management-Methoden aus Industrie, Handel und Dienstleistungsbranche in Krankenhäusern und anderen Institutionen des Gesundheitswesens genutzt werden können. Wir stellen uns der Aufgabe, vermeintlich Unvereinbares in Einklang zu bringen: Qualitätssteigerung bei tendenziell sinkenden Kosten."
An dieser Stelle sei die Frage erlaubt, was unter "Qualitätssteigerung" zu verstehen ist.
Wer solche Unternehmen in seinem „ wirtschaftlichen Strukturportfolio“ hat, der kann sich glücklich schätzen. Er spart sich nämlich die Abrissbirne seiner städtischen Versorgungsstrukturen, denn das besorgen diese Markteilnehmer vorzüglich und nachhaltig.
Frau Mohn, die als Mitglied des Aussichtsrat der Rhönkliniken auch Aktienanteile hält, hat über ihren Think Tank, der Bertelsmann Stiftung, Großes vor. Als Blaupause dienen einmal mehr die guten Kontakte zur Kaiser Fundation, deren Aktivitäten im amerikanischen Gesundheitswesen mit Kaiser Permanente eine Versorgung aus einer Hand ausweist.
Betrachte man die Blaupause der Rhön AG und ihrer Hauptaktionäre, so ist deren Anliegen in relativer Deckung zu den US-Amerikanern. Bemerkenswert sind auch die Aktivitäten der damaligen Landesregierung unter ihrem Ministerpräsodenten Koch, der quasi als Schirmherr die Privatisierung vorantrieb. Interessant sind hier die Plenarprotokolle 16/93 unter http://starweb.hessen.de/cache/PLPR/16/3/00093.pdf
Ob die Kaufleute das Gesundheitswesen übernommen haben, lässt sich an diesen Sachverhalten eindeutig mit „Ja“ beantworten

Dr. Jürgen Schmidt 03.04.201219:41 Uhr

Überlassen wir die Gesundheit den Kaufleuten ?

Vorab sei gestattet auf den Eintrag bei Wikipedia zur Person des Vorstandsvorsitzenden der Rhön-Klinikum AG, Herrn Dipl. Kfm. Wolfgang Pföhler hinzuweisen:

"Nach dem Abitur in Mannheim studierte Pföhler Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und wurde 1978 Diplom-Kaufmann. Seit 1971 Mitglied der CDU, wurde er 1975 in den Mannheimer Gemeinderat gewählt und dort drei Jahre später Vorsitzender der CDU-Fraktion. 1981 wurde er in Mannheim Bürgermeister mit der Zuständigkeit für Soziales, Jugend und Gesundheit. Nach zwei Amtszeiten verzichtete er auf eine erneute Kandidatur und wurde 1997 Geschäftsführer des Mannheimer Klinikums. Darüber hinaus war er ab 1998 Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft und ab 2000 Vorsitzender des Raumordnungsverbands Rhein-Neckar. 2005 wurde er Vorstandsvorsitzender der Rhön-Klinikum AG.[1][2][3]

Pföhler wurde 2003 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet."

Aus berufspolitischer Kenntnisnahme des weiteren Wirkens des Herrn Pföhler sei beispielsweise nur an seine Intervention aus dem Jahre 1997 erinnert, als der Bundesärztekammer das gesetzliche Definitionsrecht an der Qualitätssicherung zugestanden worden war und dies von Pföhler intensiv bekämpft wurde. Den Reim darauf kann sich jeder selbst machen.

Dr. Thomas Georg Schätzler 03.04.201218:49 Uhr

Rhön-Klinikum AG und kein Ende?

Die Vorstandsetage der Rhön-Klinikum AG hatte sich das so schön vorgestellt: Erst mit Rückenwind vom hessischen Ex-MP Roland Koch (jetzt Vorstand des Baukonzerns Bilfinger & Berger) und der konservativen Mehrheit des hessischen Landesparlaments mit einer eigens abgestimmten "Lex-Rhön" auf billige Schnäppchen-Jagd gehen. Und mit "Geiz ist Geil"-Mentalität 2006 95 Prozent der landeseigenen "Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH" zu einem Gesamtkaufpreis von schlappen 112 Millionen € erwerben. Das waren 2.376 Planbetten, 1.191 im UK-Gießen und 1.185 im UK-Marburg. Zuzüglich 260 Mio. € an wertsteigernden Neu- und Umbauten und weiteren Investitionen von 107 Mio. €. Im ersten Halbjahr 2007 wurde bereits ein Gewinn von 400.000 € erzielt.

Doch jetzt zeigt das Rhön-Schlachtschiff nicht nur Kratzer und Risse, sondern droht auf Grund zu laufen:
• war die Privatisierung von Arbeitsverträgen bei ehemaligen Landesbediensteten der Kliniken nicht rechtens.
• wehren sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen einen massiven Stellenabbau.
• hat die Kritik an Rationalisierung, Arbeitsverdichtung und Qualitätsmängel in Forschung, Lehre, Ausbildung und Krankenversorgung zugenommen.
• hat sich 2009 die Bürgerinitiative "notruf113.org" gegründet, aus Sorge um die medizinische Versorgung der betroffenen Bevölkerung.
• bemängeln selbst Klinikdirektoren den Widerspruch zwischen anlegerorientierten Kapitalverwertungsinteressen und humanmedizinischer Versorgung auf universitärem Niveau.

Dagegen wollte sich die Rhön-Klinikum AG mit einem Rundum-Sorglos-Paket schützen und hat sich nicht nur auf dem Krankenhausmarkt deutschlandweit etabliert. Selbst der Vorstandsvorsitzende der BARMER/GEK Krankenkasse, Dr. med. Christoph Straub, war vorher Vorstandsmitglied der Rhön-Klinikum AG für den Bereich Versorgung.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Praxisabgabe mit Hindernissen

Warum Kollege Gieseking nicht zum Ruhestand kommt

Lesetipps
Krankenkassen haben zum Jahreswechsel schlechte Botschaften für ihre Mitglieder: die Zusatzbeiträge steigen stark. Die Kritik an versäumten Reformen der Ampel-Koalition ist einhellig.

© Comugnero Silvana / stock.adobe.com

Update

62 Kassen im Beitragssatz-Check

Höhere Zusatzbeiträge: So teuer wird Ihre Krankenkasse 2025