Keimherde
So gefährlich sind deutsche Kliniken
Das Risiko, sich in Krankenhäusern mit gefährlichen Keimen anzustecken, ist so hoch wie vermutet. Das hat eine klinikweite Langzeitstudie ergeben. Nach Angaben des Uniklinikums Jena ist sie die erste dieser Art in Deutschland.
Veröffentlicht:JENA. Keimfalle Krankenhaus, hieß es nach tragischen Todesfällen Neugeborener in Bremen, Massenerkrankungen in Leipzig oder an der Charité Berlin. Tatsächlich ist das Risiko, sich in der Klinik mit gefährlichen Keimen zu infizieren, nicht unerheblich.
Rund drei Prozent, also etwa 600.000 von 18 Millionen behandelten Patienten, stecken sich in deutschen Kliniken pro Jahr mit Keimen an - bis zu 15.000 sterben daran.
Bislang standen die Zahlen wissenschaftlich betrachtet aber auf eher wackligen Füßen: veralteten Schätzungen und Stichtagsproben.
Dies untermauert nun eine klinikweite Langzeitstudie - nach Angaben des Uniklinikums Jena die erste dieser Art in ganz Deutschland.
Keime bei vier Prozent der Patienten
Ein Jahr hat das Uniklinikum Jena rund 38.000 Patienten systematisch auf Krankenhauskeime untersucht.
Das Ergebnis der "Alerts" getauften Studie: Bei 4,3 Prozent der in den ersten sechs Monaten behandelten Menschen traten Krankenhausinfektionen auf. Die Auswertung der zweiten Jahreshälfte läuft noch.
"Damit können wir die bisherigen Expertenschätzungen für deutsche Kliniken bestätigen und erstmals wissenschaftlich untersetzen", sagt Studienleiter und Sepsisspezialist Frank Brunkhorst.
Insgesamt handelte es sich um 823 Fälle, darunter am häufigsten Wundinfektionen nach Operationen (28 Prozent) und Atemwegsinfektionen (23 Prozent). Bei 15 Prozent der Patienten wurden multiresistente Erreger festgestellt.
Dass es nicht mehr sind, hat Alerts-Koordinator Stefan Hagel nicht überrascht. "Das öffentliche Interesse wird größer, auch weil in der Publikumspresse viel Panik geschürt wird, aber die Zahlen geben keinen Anlass zu Panik. Die allermeisten Keime sind gut behandelbar."
Studie soll 2014 beendet sein
Allerdings sei es schwierig zu unterscheiden, ob ein Patient mit oder an dem Keim gestorben ist, räumt Hagel ein. Man gehe hier von einer Quote von zwei bis drei Prozent aus.
Die Alerts-Studie wird mit 1,8 Millionen Euro vom Bundesministerium für Forschung gefördert und soll bis Frühsommer 2014 abgeschlossen sein.
In den weiteren Phasen werden nun Präventionsmaßnahmen getestet und anschließend erneut die Infektionsfälle untersucht. "Wir wollen ein wirksames Präventionsprogramm entwickeln und so die Rate der Infektionen um mindestens 20 Prozent reduzieren", sagt Brunkhorst.
Ein Dauerbrenner ist immer noch die Händedesinfektion. "Es wird schon viel desinfiziert, aber oft zum falschen Zeitpunkt. Beispielsweise bevor wir Patienten besuchen, dann betreten wir das Zimmer und fassen die Türklinke an", hat Hagel festgestellt, als die Mitarbeiter im Klinikalltag begleitet wurden.
Auch Katheter seien extrem keimanfällig. "Bakterien überziehen das Plastik sehr schnell mit einem Biofilm, auf dem sie leben können", erklärt Hagel. Daher sei es notwendig, die strikt aseptische Anbringung und die rechtzeitige Entfernung von Kathetern noch kritischer zu prüfen.
"Aber wir können das Rad auch nicht neu erfinden. Es gibt bereits eine Fülle von Empfehlungen. Nur das meiste lässt sich im Alltag nicht umsetzen. Wir versuchen deshalb zu zeigen, was unter Alltagsbedingungen machbar ist und die größte Wirkung erzielt", sagt Hagel.
Mehr Wachsamkeit sinnvoll
Bei aller Sterilität, eine Null-Toleranz-Politik wie in den USA hält er für unrealistisch, nicht jede Infektion sei vermeidbar.
Denn allein Haut und Darm sind mit Millionen Keimen besiedelt, die bei Operationen und geschwächtem Immunsystem leichtes Spiel haben. Lebensnotwendige Maßnahmen wie Beatmung oder Venenkatheter erhöhen das Infektionsrisiko.
Mehr Wachsamkeit als bisher hält Hagel trotzdem für sinnvoll. Erst im Sommer hatte etwa die Uniklinik Leipzig den erneuten Ausbruch des gefährlichen KPC-Darmbakteriums bei 93 Patienten gemeldet - bis zu 30 Personen sollen daran gestorben sein.
Als Folge hat die Klinik ihre Hygienestandards erhöht und Sachsen die Meldepflichten verschärft.