Vergewaltigt und abgewiesen

Die Grenzen der Behandlungspflicht

Der Fall hat für Empörung gesorgt: Zwei katholische Kliniken in Köln hatten ein vermeintliches Vergewaltigungsopfer abgewiesen. Nun stellt sich die Frage: Hätten die Kliniken die Frau behandeln müssen?

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Das St. Vinzenz-Hospital in Köln war eines der beiden katholischen Krankenhäuser, in der die Frau abgewiesen wurde, weil die Ärzte befürchteten, gegen die ethischen Richtlinien des Hauses zu verstoßen.

Das St. Vinzenz-Hospital in Köln war eines der beiden katholischen Krankenhäuser, in der die Frau abgewiesen wurde, weil die Ärzte befürchteten, gegen die ethischen Richtlinien des Hauses zu verstoßen.

© Hening Kaiser / dpa

KÖLN. Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium wird prüfen, ob zwei katholische Krankenhäuser gegen gesetzliche Regelungen verstoßen haben, als sie einem mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer die Untersuchung verweigerten.

Grundsätzlich dürfe kein Krankenhaus Opfer von Gewalttaten abweisen, sagt die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne).

"Neben einer möglicherweise notwendigen Behandlung körperlicher Schäden müssen psychische Schäden therapiert und zudem für die spätere Strafverfolgung schnell und professionell Spuren gesichert werden."

Genau das haben das St. Vinzenz-Hospital und das Heilig-Geist-Krankenhaus in Köln nicht getan, was bundesweit für Empörung gesorgt hat.

Eine Allgemeinmedizinerin in einer Notfallpraxis hatte eine 25-jährige Patientin nach einer wahrscheinlichen Vergewaltigung beraten und die "Pille danach" verordnet. Zur gynäkologischen Untersuchung und der Spurensicherung wollte die Ärztin die Frau in das nahe gelegene St. Vinzenz-Hospital schicken.

Ärzte waren unsicher

Dort lehnte eine Ärztin die telefonische Anfrage aber mit dem Verweis ab, dass eine solche Untersuchung auch die Beratung zur "Pille danach" umfasse, die das Krankenhaus aber ablehne.

Ähnliches passierte im Heilig-Geist-Krankenhaus. Die Häuser sind Teil der Hospitalvereinigung St. Marien GmbH, die zur Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria gehört. In beiden Kliniken schienen die Ärzte davon auszugehen, dass ihnen schon die Untersuchung Ärger bescheren könnte.

Die Stiftung hat im November 2012 eine "Ethische Stellungnahme zur Notfallkontrazeption bei Patientinnen, die vermutlich Opfer eines Sexualdelikts geworden sind" herausgegeben.

Dort wird die Ablehnung der "Pille danach" begründet. Alle medizinischen Maßnahmen außer der Notfallkontrazeption und die volle Kooperation mit der Anonymen Spurensicherung müssten aber angeboten werden.

Die Hospitalvereinigung hat sich inzwischen bei der Frau für die Abweisung entschuldigt. Die Gründe seien noch ungeklärt. Der Träger will den Fall aufarbeiten und das künftige Verhalten der Mitarbeiter klären.

Es besteht eine Behandlungspflicht

Es sei eindeutig, dass Ärzte in Notfallsituationen eine Behandlungspflicht haben, sagt der Präsident der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNo) und Vorsitzende des Marburger Bundes Rudolf Henke.

Wegen der widersprüchlichen Aussagen der Beteiligten sei eine Einschätzung im konkreten Fall schwierig. Henke warnt aber davor, die Schuld allein bei den betroffenen Ärzten zu suchen.

"Wenn das in einer Klinik passiert wäre, dann hätte ich schlucken müssen. Wenn so etwas aber zweimal passiert, fällt es mir schwer, das als Zufall zu betrachten", sagt Henke.

Wenn Ärzte aus ethischen, religiösen oder anderen Gründen eine bestimmte Behandlung nicht vornehmen wollen oder können, müssen sie die Patienten zumindest darüber aufklären und sie an eine geeignete andere Stelle verweisen, sagt ÄKNo-Justitiarin Christina Hirthammer-Schmidt-Bleibtreu.

"Das gehört zum sorgfältigen medizinischen Handeln, das der Arzt dem Patienten schuldet."

Jedes Krankenhaus muss eine Frau nach einer Vergewaltigung untersuchen und die Spuren sichern, sagt Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft NRW. "Kein Krankenhaus darf eine Frau abweisen."

Staatsanwaltschaft ermittelt nicht

Anders sehe es aus, wenn es um Abtreibungen oder die Verordnung der "Pille danach" geht. "Es ist die freie Entscheidung jedes Trägers, ob er das macht oder nicht."

Blum bezweifelt, dass Ärzte aus Angst vor dem Arbeitgeber gegen ihr ethisches oder medizinisches Selbstverständnis verstoßen. "Das ist bei der jetzigen Situation auf dem ärztlichen Arbeitsmarkt unwahrscheinlich."

Die Kölner Staatsanwaltschaft wird nicht gegen die beiden Krankenhäuser ermitteln, weil weder unterlassene Hilfeleistung noch Strafvereitelung durch Unterlassen vorliege.

Die Grünen im Bundestag haben als Konsequenz aus dem Kölner Vorfall gefordert, das kirchliche Arbeitsrecht auf den Prüfstand zu stellen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert fordert die Rezeptfreiheit für die "Pille danach".

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Wie christlich ist das?

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Kommentare
Dr. Reinhard Naar 22.01.201310:50 Uhr

unterlassene ärztliche Hilfeleistung aus ideologischen Gründen...

...wäre so etwas z.B. in der ehemaligen DDR passiert, hätten wir die geballte Entrüstung erleben können: typisch Diktatur usw.
Entsetzt bin ich auch darüber,
dass die Staatsanwaltschaft nicht wegen unterlassener Hilfeleistung ermitteln will;
dass solch ein Haus in die Betten-Bedarfsplanung eingeht: was passiert mit einem Vergewaltigungsopfer, wenn die Aufnahmekapazität der anderen umliegenden Häuser erschöpft ist?
Dass solche ideologie-gebundenen und sich außerhalb unserer Rechtsordnung stellenden Anstalten mit Steuermitteln, also auch mit den Geldern der Bürger anderer Weltanschauung mitfinanziert werden.

Dr. Thomas Georg Schätzler 22.01.201300:44 Uhr

Innerfamiliäre Fundamentalismuskritik?

Ein mögliches Opfer sexueller Gewalt einfach am katholischen Klinikeingang abzuweisen und keinen Facharztstandard für Behandlung, Beweissicherung und Betreuung anzubieten ist schon ein starkes Stück. Sich dann auch noch auf die angeblich unfehlbare katholische Moraltheologie der Heiligen Römischen Kirche zu berufen, lässt mich erschauern. Denn gerade dies bedeutet einen Verrat an denjenigen, für die sich Jesus Christus in Worten, Bildern und Taten eingesetzt haben soll.

Eine alternative katholische Rechtsordnung stellt sich außerhalb von Legislative, Judikative und Exekutive in Deutschland, weil eine weltfremd zölibatär lebende, männliche Priesterelite Frauen im Stich lassen will. Nach Vergewaltigungen, Missbrauch und sexualisierter Gewalt sollen die mit einem Unrecht erzwungenen Schwangerschaften ausgetragen werden. Doch aufgeklärte, offene, säkulare Gesellschaften garantieren in ihren Rechtsgrundsätzen Selbstbestimmung, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Unversehrtheit und individuelle Freiheitsräume für Frauen u n d Männer gleichermaßen. Dies, und medizinisch-technisch-pharmakologischer Fortschritt, Machbarkeit von Kontrazeption, Reproduktion und Antikonzeption, erklären im Besonderen eigenbestimmtes reproduktives oder kontrazeptives Verhalten.

Wenn ich an anderer Stelle ausgeführt habe, dass ich von 1979 bis 1981 gynäkologisch-geburtshilflicher Assistenzarzt an einem Evangelischen Lehrkrankenhaus der Ruhr-Universität-Bochum bei Prof. Dr. med. K. Fuhrmann war, wo wir uns selbstverständlich um vergewaltigte Frauen gekümmert, das gesamte Gebiet der Gynäkologie und Geburtshilfe bearbeitet und unter anderem auch legale Schwangerschaftsabbrüche, postkoitale Kontrazeption und Kinderwunschbehandlungen durchgeführt haben, ist das nur ein Aspekt meiner heutigen Empörung. Denn nach meiner klinischen Zeit war ich lange als ärztlicher Spezialist für Familienplanung, Schwangerschaftskonflikte und Fragen der Sexualität in einem interdisziplinären Team im Essener Beratungszentrum der Arbeiterwohlfahrt, Lore-Agnes-Haus, tätig, bevor ich mich 1992 als Haus- und Facharzt für Allgemeinmedizin in Dortmund vertragsärztlich niederließ.

Es gibt aber noch einen weiteren, eher innerfamiliären Konflikt, der mich in dieser Zeit begleitet hat. Die Familiengeschichte der Schätzlers teilt sich seit der Reformation in eine katholische und eine evangelische Linie, der ich angehöre. Aus der katholischen Linie ist unter anderem als entfernter katholischer Verwandter Monsignore Prälat Wilhelm Schätzler hervorgegangen, welcher von 1983 bis 1996 das Amt des Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz innehatte. Da gab es so manche gesellschaftspolitische Konflikte, die ich als aufgeklärter, fortschrittlicher, religionsferner ärztlicher Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt von 1982 bis 1991 ausgefochten habe.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Gregor Heitlage 21.01.201323:50 Uhr

Was wollte die Notärztin mit dieser Kampagne bezwecken?

Auf den Fotos und im Fernsehen/ Internet wirkt die Kollegin eigentlich recht deutsch, müsste also wissen, was katholisch, evangelisch oder sonstiges ist. Einer indischen Gastärztin kann man alles verzeihen, aber hier? Ein ewig schwelender und so nicht lösbarer Konflikt wird auf dem Rücken der betroffenen Frau ausgetragen. Müssen den nun auch noch die gynäkologischen Kollegen in den katholischen Häusern unbedingt im Nachtdienst in Gewissenkonflikte gebracht werden, die Problematik kann in der Nacht doch auch nicht gelöst werden! Durch die Nicht-Durchführung dieser Untersuchungen verzichten doch diese Häuser schon auf Geld!
Etwas anderes wäre es, wenn die Betroffene ausdrücklich um eine Untersuchung in einer katholischen Klinik bittet – wohl unrealistisch! In jedem Falle ist das Leid vorprogrammiert!

Dr. Horst Grünwoldt 21.01.201321:57 Uhr

Untersuchungspflicht

War die Notfall-Ärztin nicht in der Lage, selbst eine gynäkologische Erst-Untersuchung bei dem vermeintlichen Vergewaltigungs-Opfer und die "Beweis-Sicherung" mittels Befundes, sowie psychologische Hilfe durchzuführen?
Hatte Sie keine Kenntnis davon, daß in katholischen Krankenhäusern keine Anti-Konzeptiva abgegeben werden?
Oder war die Nacheinander-Anfrage bei -2- konfessionellen Kliniken und die zu erwartende Absage vielleicht sogar nur ein "Testlauf" für eine lancierte und schockierende Pressemitteilung?
Auch das bleibt noch abzuklären, solange auf die "Katholischen" immer wieder eingedroschen wird...
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt, Rostock

Dr. Diethard Friedrich 21.01.201314:17 Uhr

Schändliches Verhalten. Objektiver Klärungsbedarf geboten.

Als Gynäkologe in leitender Funktion habe ich mehrfach weiblich Opfer von Vergewaltigungen untersuchen müssen. Wer jemals mit dem Thema direkt konfrontiert wurde, wird bestätigen, wie wichtig dies Untersuchung allein schon aus psychologischen Gründen unabhängig von der sofortigen Beweisaufnahme ist.Das Verhalten der Kölner Gynäkologin W.R. und ihrer Kollegin ist schändlich. Die zuständige Ärztekammer wäre gut beraten, eine Klärung durch den Staatsanwalt unbedingt durchzusetzen, auch wenn diese zur Zeit blockiert wird.Auch müssten die Arztverträge in konfessionellen Kliniken auf ihre Kompatibilität zu den ärztlichen Pflichten, die gerade hier mit fadenscheiniger Begründung missachtet wurden, bundesweit überprüft werden.

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