Rating-Report

Jede dritte Klinik in den roten Zahlen

Mehr als ein Drittel der Krankenhäuser verbucht laut dem neuen Krankenhaus-Rating-Report Defizite. In sechs Jahren könnte es jedes zweite Haus sein. Die Ursachen sind vielfältig, aber mit Sicherheit gehört der Kapitalmangel dazu.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Gut ist es um die Krankenhäuser im Land nicht bestellt, etlichen droht das Aus.

Gut ist es um die Krankenhäuser im Land nicht bestellt, etlichen droht das Aus.

© Christian Thiel / imago

BERLIN. Dem deutschen Sozialversicherungssystem geht es blendend: Alle Versicherungszweige haben mehr Rücklagen als vorgeschrieben. Allein Krankenkassen und Gesundheitsfonds saßen am 31. Dezember 2013 auf Rücklagen von mehr als 30 Milliarden Euro.

Zeit für soziale Wohltaten: Die ungeliebte "Kopfpauschale" wurde abgeschafft, Mütterrente und Rente mit 63 möglich gemacht. Das kostet neun Milliarden Euro jährlich.

Aber während sich in den Bunkern der Kassen und des Gesundheitsfonds das Geld stapelt, verfällt eine der komplexesten Leistungsstrukturen der deutschen Wirtschaft und die kostenträchtigste im Gesundheitssystem: die stationäre Versorgung.

Die Richtung ist seit Jahren konstant die gleiche, wie aus dem am Donnerstag beim Hauptstadtkongress vorgestellten Krankenhaus-Ratingreport 2014 hervorgeht: in die Verlustzone.

Der Report, erstellt von Ökonomen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Accenture und dem Institute for Health Care Business, analysiert die Jahresabschlüsse von 976 Krankenhäusern bis zum Jahr 2012.

Nur vorübergehend Entlastung

Steckten 2009 noch 14,1 Prozent der Kliniken in den roten Zahlen, so wiesen 2012 34,3 Prozent einen Verlust aus. Das erhöht die Insolvenzgefahr der Häuser beträchtlich: von 7,4 Prozent 2009 auf 13,8 Prozent im Jahr 2012.

Auch Klinikketten, die naturgemäß Kostenvorteile realisieren können, sind nicht vor Verlusten geschützt: 40 Prozent aller Standorte der für den Report befragten Klinikketten waren 2012 defizitär. Das heißt: Die roten Zahlen einzelner Standorte müssen durch Überschüsse an anderen Orten zumindest ausgeglichen werden können.

Regional ergibt sich ein ausgesprochen differenziertes Bild: Am günstigsten ist die wirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern und in Berlin, wo nur 19,2 Prozent der Kliniken (gemessen auf Konzernbasis) rote Zahlen schreiben.

Die Ursache liegt auf der Hand: Die Einrichtungen im Osten profitieren derzeit noch vom Wiederaufbau in den 1990er Jahren, in denen mit Bundesmitteln die gesamte stationäre Infrastruktur neu aufgebaut worden ist.

In Westdeutschland arbeiten hingegen 38,9 Prozent der Klinikunternehmen mit Verlust. Am düstersten sieht die Lage in Rheinland-Pfalz (44,4 Prozent), Niedersachsen/Bremen (45,3 Prozent) und Baden-Württemberg (52,5 Prozent) aus. In diesen Ländern hat sich auch die Ausfallwahrscheinlichkeit deutlich im Vergleich zum Vorjahr erhöht.

Eine Ursache könnten kostendämpfende Maßnahmen des Gesetzgebers sein: So sind die Erlöse der Kliniken seit 2005 um 28,6 Prozent gestiegen, im Jahresdurchschnitt sind das deutlich weniger als vier Prozent.

Erkauft wurde dies aber im Wesentlichen durch eine Ausweitung der Leistungsmenge. Der durchschnittliche Landesbasisfallwert, also die reine Preiskomponente, ist in den sieben Jahren lediglich um 7,9 Prozent insgesamt gestiegen.

Erkauft werden steigende Leistungsmengen mit höheren Kosten. Allein die Kosten einer Vollzeitkraft im ärztlichen Dienst ist seit 2005 um rund 30 Prozent gestiegen. Zugleich werden aber auch immer mehr Ärzte eingestellt, nicht zuletzt, um verschärfte Arbeitszeitvorschriften einzuhalten. Weit unterdurchschnittlich haben sich dagegen die Kosten für den volumenmäßig stärksten Personalbereich, die Pflege, entwickelt.

Die noch von der Vorgänger-Koalition beschlossenen Finanzhilfen werden nach den Erwartungen der Autoren des Reports die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser in den Jahren 2013 und 2014 etwas entschärfen: Die Erlöse werden voraussichtlich etwas stärker als die Kosten steigen.

Grundlegendes ändern wird dies nicht, denn schon ab 2015 wird sich die Schere zwischen Kosten- und Erlösentwicklung wieder öffnen. Das heißt: Nur vorübergehend wird sich der Anteil der Kliniken in der Verlustzone auf 32 und 28,2 Prozent vermindern.

Bleiben die Rahmenbedingungen, wie sie sind, dann prognostiziert der Krankenhaus-Ratingreport für 2020, dass mehr als 50 Prozent der Häuser mit Verlust arbeiten.

Zu geringer Kapitaleinsatz

Als Hauptursache der Schieflage sieht der Report die sinkenden Investitionsfördermittel der Länder: So ist die Investitionsquote, also der Quotient von Investitionen zu Erlösen, von zehn Prozent im Jahr 1991 auf vier Prozent im Jahr 2012 zurückgegangen, und zwar kontinuierlich.

Das hat zu einer dramatischen Alterung des Kapitalstocks geführt: Bauten, die unzweckmäßig geworden sind, veraltete Anlagen und Technik. Mit zwei Folgen: Qualität und Effizienz leiden, Arbeitskraft wird verschwendet. Über viele Jahre hinweg, so kritisiert Dr. Boris Augurzky, Gesundheitsökonom beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, hätten insbesondere kommunale Kliniken aus der Substanz gewirtschaftet.

Notwendig sei nun ein Investitionspakt, an dem sich auch der Bund beteiligt. Die effizienzsteigernde Wirkung von Kapitaleinsatz ist nachgewiesen: In Ländern wie Rheinland-Pfalz und dem Saarland, die mit den höchsten Anteil an verlustbringenden Krankenhäusern haben, beträgt der Kapitaleinsatz je Erlös-Euro nur 57 Cent; in Sachsen-Anhalt und Thüringen liegt der Kapitaleinsatz bei 93 Cent je Erlös-Euro.

Wie viel investiert worden ist, hängt von der Art des Trägers ab. Am meisten haben Kliniken in privater Trägerschaft an Kapital aufgewendet: 75 Cent je Erlös-Euro; am anderen Ende liegen die freigemeinnützigen Träger mit 59 Cent, in der Mitte die öffentlich-rechtlichen mit 69 Cent.

Besonders ausgeprägt ist die Schieflage an den Universitätskliniken. 2013 verbuchten sie ein Defizit von 161 Millionen Euro. Noch zwei Jahre zuvor überstiegen die Erlöse die Kosten um 39 Millionen Euro. Die Talfahrt geht auch dieses Jahr weiter, prognostiziert der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD): Nur noch 13 Prozent erwarten einen Überschuss, 32 Prozent ein ausgeglichenes Ergebnis und 55 Prozent einen Fehlbetrag von mehr als einer Million Euro.

Der VUD nennt dafür Ursachen: Personalkosten, die stärker steigen als die Entgelte, verminderte Investitionskostenzuschüsse der Länder und Sonderaufgaben wie Hochrisikofälle, die nicht von den DRGs abgedeckt werden.

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Kommentare
Dr. Andreas Rahn 28.06.201413:17 Uhr

Deutsche Regierung möchte Krankenhausbetten abbauen

Kliniken in Finanznot - der Artikel zeigt die Lage und die Ursachen auf.
Wenn ein normaler Bürger das liest, wird er sich sagen: "das kann doch so nicht sein, wir brauchen doch für das Gesundheitswesen die Krankenhäuser".
Die deutsche Regierung ist aber m.E. der Meinung, dass es in Deutschland zu viele Krankenhausbetten gibt (das sagt sie meistens nur indirekt: "im internationalen Vergleich ist bei uns die Bettendichte viel höher als woanders"; "unwirtschaftliche und qualitativ schlechte Einrichtungen wollen wir nicht") und sie möchte im Gesundheitswesen Ausgaben einschränken ("Kostendämpfung im Gesundheitswesen").
Die gegenwärtige Lage ist also nicht einfach so entstanden, sondern sie ist politisch gewollt: es sollen Krankenhäuser Betten abbauen und Einrichtungen geschlossen werden.
Sehr bedauerlich ist, dass dies nur selten offen in der politischen Diskussion gesagt wird. Verstehen kann man es auch, dass kein Politiker damit in Verbindung gebracht werden möchte, dass irgendwo ein Krankenhaus geschlossen wird - weil in der Politik keiner mit Unangenehmem assoziiert werden will. So haben Einrichtungen, Mitarbeiter und Betroffene (als Patienten letztlich wir alle!) das Nachsehen.
Die öffentliche Gesundheitsversorgung kann nicht wie die private Wirtschaft funktionieren. Wenn hier jeder Leistungsanbieter wie ein Profitcenter agiert, heißt das nicht, dass für die Gesellschaft daraus etwas Positives entsteht. Wozu das DRG-System die Krankenhäuser zwingt, wird auch im Artikel genannt (Fallzahlzuwächse, Prozeduren: die sog. "Fehlanreize").
Die gegenwärtige Entwicklung führt uns in eine fatale Richtung.
Wir brauchen eine Abkehr von der reinen Kostenbetrachtungsseite und der Dominanz der Betriebswirtschaft. Das Gesundheitssystem eines Landes ist Teil seiner Kultur. Diese sollte uns etwas Wert sein und wir müssen nicht die Systeme anderer Länder (z.B. England, USA) übernehmen. Jeder Bürger ist gelegentlich auch Patient - was wir uns dann wünschen ("englische Verhältnisse"?), dafür müssen wir Sorge tragen.

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