Klinikkeime
Auf Spurensuche bei den Patientenströmen
Ein europäisches Verbundprojekt widmet sich der Rolle der Vernetzung in Gesundheitssystemen für die Verbreitung multiresistenter Keime in Kliniken. Im Mittelpunkt steht dabei die größte bisherige Analyse von Patientenströmen.
Veröffentlicht:HALLE. Im Kampf gegen nosokomiale Infektionen setzen die Krankenhäuser in Deutschland primär auf Hygienemaßnahmen und zunehmend auch auf antimikrobielle Oberflächenbeschichtungen. Das Thema brennt den Kliniken auf jeden Fall auf den Nägeln: Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) taxiert die Zahl der Krankenhausinfektionen auf 700.000 bis eine Million pro Jahr – mit bis zu 30.000 darauf zurückzuführenden Todesfällen.
Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) lenken den Blick nun auf die Patientenströme – und damit auf die Übertragungswege der Klinikkeime und entsprechende Vermeidungsstrategien.
Die Leitung des europäischen Verbundprojektes "EMerGE-NeT" liegt bei Professor Rafael Mikolajczyk, Direktor des Instituts für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik (IMEBI) der MLU.
Simulationsszenarien im Fokus
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Verbundprojekt mit insgesamt 1,25 Millionen Euro, 360.000 Euro davon fließen nach Halle. Beteiligt sind laut MLU mehrere Universitäten, Forschungsinstitute und Krankenhäuser in Polen, den Niederlanden, Israel, Spanien und Deutschland.
Es ist auf drei Jahre angelegt und in drei inhaltliche Arbeitspakete – mathematische Modellierung, molekulare Übertragung, Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen – und ein Koordinationspaket unterteilt.
"Es geht darum, in Simulationsszenarien zu untersuchen, wie sich beispielsweise multiresistente Enterobakterien, also Darmkeime, aufgrund von Patientenströmen von einem Krankenhaus zum nächsten verbreiten können und wie effektiv einzelne Präventions- und Interventionsmaßnahmen sein können", bringt die Epidemiologin Dr. Elena Lacruz vom IMEBI, die das Projekt koordiniert, die Zielsetzung auf den Punkt.
EMerGE-NeT
- Fördermittel: Das Bundesforschungsministerium fördert das auf drei Jahre angelegte Verbundprojekt EMerGE-NeT mit insgesamt 1,25 Millionen Euro. Das Akronym steht für den Projekttitel "Effectiveness of infection control strategies against intra- and inter-hospital transmission of MultidruG-resistant Enterobacteriaceae – insights from a multi-level mathematical NeTwork model".
- Konsortialführer: Die Projektleitung liegt bei Professor Rafael Mikolajczyk, Direktor des Instituts für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
- Beteiligte: Unis, Forschungsinstitute und Krankenhäuser in Deutschland, Israel, den Niederlanden, Polen und Spanien
Bisher habe es Studien zu Patientenströmen im Gesundheitswesen in Großbritannien, USA und den Niederlanden gegeben, jedoch nicht in dem nun geplanten Umfang. Konkret heiße das, dass im Rahmen von EMerGE-NeT Maßnahmen gegen die Ausbreitung von multiresistenten Erregern sowohl innerhalb als auch zwischen Krankenhäusern im Hinblick auf ihre Effektivität mittels Simulationen untersucht werden sollen.
"Wir tragen dafür zunächst Daten zu Patientenströmen innerhalb und zwischen den Krankenhäusern aus den verschiedenen am Projekt beteiligten und unterstützenden Institutionen zusammen", so Lacruz. Dazu zählten in Deutschland beispielsweise die AOK Niedersachsen, Bayern und Plus sowie die Techniker Krankenkasse und mehrere Krankenhäuser wie die Charité in Berlin, das Universitätsklinikum Halle und das Klinikum Braunschweig.
Diese Daten würden dann analysiert und zur Konstruktion mathematischer Netzwerkmodelle verwendet, in denen anschließend die Ausbreitung von Keimen und der Einsatz entsprechender Interventionen simuliert werden könnten. Dieser Forschungsansatz der mathematischen Modellierung – Computational Epidemiology – ist einer der wissenschaftlichen Schwerpunkte Mikolajczyks.
Molekularbiologische Typisierung
In einem weiteren Arbeitspaket werden die Übertragungswege der multiresistenten Darmbakterien, die bei Krankenhauspatienten nachgewiesen wurden, nach Uniangaben überprüft. Dazu würden die Bakterien molekularbiologisch typisiert. Involviert seien hier neben der Charité auch spanische, israelische sowie polnische Kliniken aus Spanien, um die Gültigkeit der Ergebnisse international nachweisen zu können.
Dies ist ein ausdrückliches Ziel der europäischen Initiative JPIAMR (Joint Programming Initiative on Antimicrobial Resistance), an der auch das BMBF beteiligt ist. Über die Initiative wird das Projekt gefördert.
"Wenn wir die Übertragungswege multiresistenter Darmkeime in Krankenhäusern und über die Landesgrenzen hinaus besser verstehen, können wir auch bessere Maßnahmen ergreifen, um die Ausbreitung zu verhindern", verdeutlicht Professor Petra Gastmeier vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité.
Für die molekularen Analysen ist die Arbeitsgruppe von Professor Susanne Häußler vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig verantwortlich. Mit einem dort entwickelten Verfahren zur molekularen Typisierung multiresistenter Erreger können die Analysen demnach in dem erforderlichen Umfang durchgeführt werden. Die bisher verwendeten Verfahren seien um ein Vielfaches teurer.
In einem weiteren Arbeitspaket werde die vorliegende Evidenz gesammelt und da, wo noch keine vorliegt, würden Expertenpanels durchgeführt, um Erfolg versprechende Strategien zur Infektionskontrolle zu identifizieren. Dieser Projektteil wird von Wissenschaftlern aus Tel Aviv und Sevilla koordiniert.