Verbesserte Hörgeräte

Oldenburger Forscher ermöglichen räumliches Hören

Dem Arzt und Physiker Professor Birger Kollmeier ist es mit seinem Team gelungen, in Hörgeräten das rechte und linke Ohr zu verkoppeln. Schwerhörige sollen so natürlicher hören.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Professor Birger Kollmeier hat sich der Hörforschung verschrieben.

Professor Birger Kollmeier hat sich der Hörforschung verschrieben.

© Uni Oldenburg

OLDENBURG. Wie bitte? Eisbärsalat? Im Oldenburger Haus des Hörens sind manche Nachfragen bereits Teil der Methode.

Seit Anfang der 1990er Jahre forschen Oldenburger Wissenschaftler daran, Schwerhörigen zu helfen. Mit Erfolg.

Im vergangenen Herbst erhielt das Team vom Institut für Physik und Exzellenzzentrum für Hörforschung, Universität Oldenburg, und der Siemens AG, München, für ihr Projekt "Binaurale Hörgeräte - räumliches Hören für alle" den Preis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation und damit den renommiertesten Wissenschaftspreis Deutschlands.

Unter einem Dach forschen und arbeiten hier in Oldenburg unter anderen das Hörzentrum Oldenburg, Kompetenzzentrum HörTech, Fachhochschule, Uni und Fraunhofer-Institut.

Forscher kompensieren Hörschäden

Pionierarbeit leisten die Uni-Forscher, weil sie bei Hörgeräten nicht einfach nur das klassische Verstärkungsprinzip verfolgen, bei dem alles lauter wird, ohne dass es für den Betroffenen klarer zu hören ist.

Den Preisträgern, dem Arzt und Physiker Professor Birger Kollmeier vom Institut für Physik und Exzellenzzentrum im Haus des Hörens und seinen Kollegen aus Forschung und Industrie ist es gelungen, in ihre winzigen High-Tech-Hörgeräte etwas von dem einzubauen, was sonst das Gehirn macht, und zwar die Verkopplung von rechtem und linkem Ohr.

Die neuen Hörsysteme verbinden dazu die beiden Hörgeräte in beiden Ohren per Funk und kompensieren dadurch den Teil des Hörschadens des Patienten, der auf eine unzureichende Zusammenarbeit/Integration beider Ohren zurückzuführen ist. Der Erfolg: räumliches Hören, das so genannte binaurale Hören.

"Es gehört ja zu den häufigsten Klagen der Patienten, dass das Gesagte, das sie eigentlich verstehen wollen, vom Störschall - etwa in einem Café - überdeckt wird und sie auch nicht wissen, woher der Schall eigentlich kommt", sagt Kollmeier, "da hilft es auch nicht, die Hörgeräte lauter zu stellen. Unsere Forschung gleicht diesen Verlust aus."

Kollmeier und seine Kollegen haben zunächst das Hören selbst erforscht und das Ergebnis als Algorithmus aufgeschrieben, also als elektronische Landkarte des Hörens.

"So konnten wir zum Beispiel messen, wie hoch das Verhältnis von Störgeräusch und Sprache sein darf, damit der Mensch noch 50 Prozent des Gesagten versteht", erklärt Kollmeier.

In einem zweiten Arbeitsschritt lassen die Forscher dann die Algorithmen auf die Signalverarbeitung der Hörgeräte los. So können die beiden Hörgeräte den längeren Weg, den ein Ton zum rechten im Vergleich zum linken Ohr hat, per interner Funkverbindung registrieren und ausnutzen.

Oldenburger sind gut im Geschäft

Der Unterschied ist klein, aber er entscheidet darüber, ob ein Patient den Sprecher orten kann oder nicht. "Der Schall ist zum einen Ohr nur 20 Mikrosekunden länger unterwegs als zum anderen Ohr oder - in Strecke ausgedrückt - einen Drittel Millimeter später am Ziel", so Kollmeier.

"Aber schon diese kleine Differenz ermöglicht es dem Menschen zu unterscheiden, aus welcher Richtung das Gesagte kommt."

Mit ihren Entwicklungen sind die Oldenburger nicht nur in Deutschland gut im Geschäft. "In 80 Prozent aller Hörgeräte weltweit steckt ein Stück Oldenburg", sagt Kollmeier.

Die Prototypen mit den neuen Anwendungen werden in Oldenburg entwickelt und erprobt. Die brauchbaren Ansätze werden dann in der Industrie weiter optimiert, bis die Neuerungen ihren Weg in die winzigen Geräte beim Hörgeräteakustiker finden.

Kollmeier: "Wir arbeiten praktisch mit jedem der weltweit sechs großen Hersteller zusammen." Die fertigen Geräte kommen dann zurück nach Oldenburg, "zum Elchtest", wie Kollmeier sagt.

Riesiger Markt

"Im Hörzentrum testen wir also, ob die Produkte mit unserer Technik, die neu auf den Markt kommen, gut funktionieren."

So ist auch die Finanzierung der Hörforschung im Nordwesten gesichert. Das Hörzentrum ist ganz privatwirtschaftlich finanziert, das Kompetenzzentrum "HörTech" aus einem Mix von öffentlichem und privatem Geld.

In Zukunft wollen Kollmeier und Kollegen noch mehr über das Hören erfahren, ihre Algorithmen verfeinern und die Hörgeräte auch. Der Markt ist riesig. "Allein in Deutschland sind 15 Millionen Menschen schwerhörig", so Kollmeier.

"Und rund die Hälfte aller Deutschen, die über 65 Jahre alt sind, haben nach WHO-Definition einen behandlungswürdigen Gehörschaden."

Die Pointe mit dem "Eisbärsalat" stammt übrigens aus der Werbung für ein Telefon-Projekt des Oldenburger Kompetenzzentrums HörTech.

www.hoertest-per-telefon.de

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