Medizintechnik
Weiter Gezerre um Nutzenbewertung
Die Vorstellungen der Medizintechnikbranche und die der Vertreter von Selbstverwaltung und IQWiG klaffen in puncto Nutzenbewertung bei Medizinprodukten weiter auseinander. Knackpunkt sind angedachte, obligate, randomisierte Studien.
Veröffentlicht:BERLIN. Bei der ab 2016 vorgesehenen, strengeren Nutzenbewertung von Medizinprodukten gehen die Forderungen von Industrie und zum Beispiel Selbstverwaltung noch weit auseinander.
Das zeigte sich vor Kurzem in Berlin auf einer Fachveranstaltung des Deutschen Industrieverbands für optische, medizinische und mechatronische Technologien (Spectaris) zur Nutzenbewertung von Medizinprodukten nach dem mit dem am 23. Juli in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstärkungsgesetz ergänzten Paragrafen 137h SGB V.
Dieser sieht vor, dass Kliniken, die im Rahmen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode erstmalig ein Medizinprodukt der Risikoklasse IIb oder III einsetzen wollen, dem GBA künftig Informationen über den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dieser Methode sowie zu der Anwendung des Medizinprodukts übermitteln.
Weist die Methode ein neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept auf, soll der GBA innerhalb von zwei Wochen nach Eingang der Informationen im Wege einer öffentlichen Bekanntmachung im Internet allen Krankenhäusern, die diese Methode vorsehen sowie den jeweils betroffenen Medizinprodukteherstellern Gelegenheit geben, ihm innerhalb eines Monats weitere Informationen hierzu zu übermitteln. Auf dieser Grundlage soll der GBA innerhalb von drei Monaten eine Bewertung vornehmen.
Warnung vor zu langer Studiendauer
Der GBA muss prüfen, ob der Nutzen der Methode unter Anwendung des Medizinprodukts entweder als hinreichend belegt anzusehen ist, sie zumindest das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet oder als schädlich oder unwirksam anzusehen ist.
Abhängig vom Ausgang der Nutzenbewertung, soll der GBA dann entweder Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung festlegen, innerhalb von sechs Monaten Richtlinien zu einer in der Regel dreijährigen Erprobung erlassen oder eine Anwendung zulasten der GKV nach Paragraf 137h SGB V ausschließen.
Dr. Simone Breitkopf von Alcon Pharma sowie Hans-Peter Bursig vom Fachverband Medizintechnik des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) vertraten bei dem Spectaris-Diskussionsforum die Sicht der Medizintechnikbranche und warnten bei der Einführung der frühen Nutzenbewertung von Medizinprodukten respektive neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden unter Verwendung von Medizinprodukten vor den Fehlern bei der Einführung der Nutzenbewertung im Pharmabereich.
Medizinprodukte würden sich in ihrer Wirkweise und Anwendung wesentlich von Arzneimitteln unterscheiden, diese Unterschiede müssten sich auch in den Methoden zum Nutzennachweis widerspiegeln. Schon allein deshalb könne man Methoden zur Nutzenbewertung aus dem Pharmabereich nicht 1:1 auf Medizintechnik übertragen.
Die kurzen Innovationszyklen in der Medizintechnik und der fehlende Patentschutz würden mehrjährige prospektive Studien wirtschaftlich unmöglich machen. Insbesondere kleinere Unternehmen könnten sich aufwändige Studien nicht leisten, sodass die Gefahr gesehen wird, dass sich die Marktstruktur nachhaltig verändern wird, wenn diese Unternehmen im Markt nicht mehr bestehen können.
"Value Story" für mehr Akzeptanz
Professor Reinhard P. T. Rychlik, Leiter des Instituts für Empirische Gesundheitsökonomie in Burscheid, stellte laut Spectaris heraus, dass die methodische Überarbeitung des Forschungsrepertoires der Medizintechnikindustrie auch zu einer verstärkten Akzeptanz und einem sinnvolleren Marketing beitragen könne.
Er appellierte an die Hersteller von Medizinprodukten, eine "Value Story" für das eigene Produkt zu bauen. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass der Dialog aller Betroffener miteinander wichtig sei, um die Fehler bei Einführung des AMNOG nicht zu wiederholen.
Dr. Matthias Dettloff vom GKV-Spitzenverband, erhofft sich von der Nutzenbewertung, dass bestehende Evidenzlücken frühzeitig geschlossen werden können. IQWiG-Vertreter Dr. Stefan Sauerland verteidigte die Nutzenbewertung neuer Medizintechnologien auf Basis randomisierter Studien (RCT) als methodisch machbar und sinnvoll.
Eine frühe Nutzenbewertung sei vor allem dann erforderlich, wenn es sich um risikoreiche Behandlungsformen handeln würde, die komplett neu sind.
Der neue Paragraf 137h SGB V trage dazu bei, Patienten vor möglicherweise schädlichen Therapien zu schützen. Wie Sauerland hinwies, rechne der GBA nur mit zehn bis 15 Bewertungsverfahren pro Jahr.
Professor Friedrich Köhler vom Charité Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin sprach sich für mehr RCT in der Medizintechnik aus. Diese seien fundamental. Wichtig sei aber, dass Studien grundsätzlich schneller durchgeführt werden müssten.