Diagnostik 4.0
Wenn der Autositz ein EKG macht
Smartphone-Sensoren und diagnostisch genutzte Kameras für kontaktloses Vitalmonitoring im Alltag: Was uns in der Zukunft erwartet und welche Fragen ungelöst sind.
Von Christina Bauer
MÜNCHEN. Kleinstsensoren und Kameras, die kontaktlos Vitalwerte messen, so beschreibt Professor Hagen Malberg die Diagnostik von morgen. Der Ingenieur leitet das Institut für Biomedizinische Technik an der Technischen Universität Dresden. Es gehe, so der Forscher bei einem Vortrag auf Einladung des Arbeitskreises Medizintechnik des Verbandes Elektrotechnik, nicht nur um Klinik oder Praxis, sondern um den Alltag.
Das Smartphone, ein für viele schon heute täglicher Begleiter, hält er für einen Kernbaustein. "Wir sehen den Trend, dass es jedes Jahr einen neuen Sensor im Smartphone gibt", so Malberg. Bisher sei eine medizinische Anwendung zwar noch nicht möglich, das sei aber nur "eine Frage der Zeit". Ein effizienter, diagnostischer Allround-Begleiter könnte für Medizintechnologie, Patienten und Ärzte erhebliche Fortschritte bringen.
EKG über den Autositz
Demografischer Wandel, Fachkräftemangel und knappe Ressourcen forderten Lösungen, teilweise durch Technologie. Bisher aber spiele sich vieles noch im Bereich von Ideen, Forschung und Modellerprobungen ab. Der Weg zur Implementierung unter realen Bedingungen sei für einen Großteil der neuen Ansätze noch weit.
Sollten Diagnosetechnologien angewendet werden, teilweise auch eigenständig, müssten sie für Patienten möglichst angenehm sein. Zugleich müsse sichergestellt sein, dass Geräte aussagekräftige Werte erheben, die weder durch Messfehler noch durch Bedienungsfehler verfälscht werden. Bei vielen Methoden sei bisher noch keines dieser Kriterien erfüllt.
Als vielversprechend seien kontaktlose Verfahren zu sehen, da sie Patienten schon einmal Kabelsalat und Elektrodenkleben ersparten. Ein aktuelles Beispiel sei das sogenannte kapazitive EKG, das über eine Elektrode im Stuhl oder Autositz erhoben werden kann. Damit könne die Herzfunktion jederzeit im Blick bleiben, ohne dass der Betreffende etwas tun müsse.
Kamera als Diagnose-Tool
Als sehr vielversprechend hätten sich zudem optische Verfahren erwiesen. Die Photoplethysmographie funktioniert beispielsweise durch Infrarotlicht, das in den Körper gesendet und je nach Durchblutung absorbiert wird. Das ermöglicht eine entsprechende bildliche Darstellung als farbliche Veränderung.
Diesen Ansatz haben die Forscher weiterentwickelt. Sie können unter anderem Atmung, Herzrate und Blutperfusion messen. Andere Werte, wie der Pulsdruck, können zusätzlich aus der Information errechnet werden. Dabei ist eine Kamera das wichtigste Diagnose-Tool. So könnte eine eingebaute Kamera auch aus einem Badezimmerspiegel ein Diagnose-Gerät für zu Hause machen. Manches aber gestaltet sich schwierig.
Ziel für die Diagnostik von morgen, so Malberg, müsse es aber sein, Werte überall mobil erheben, auswerten und austauschen zu können. So versuchten etwa Ansätze im PKW, EKG-Sensoren im Sitz mit per Kamera erhobener Bildinformation zu verknüpfen. Eine solche Sensordatenfusion soll durch Integration mehrerer Quellen aussagekräftigere Ergebnisse liefern. "Hier gibt es ein sehr großes Potential", so Malberg. Das könnte Fahrer beispielsweise rechtzeitig davor warnen, am Steuer einzuschlafen. Alltagstauglich sei aber auch das bisher noch nicht.
Vor allem in den Feinheiten stellten sich Fragen, beispielsweise bei der Abtastfrequenz eines EKG. Während bei Gesunden schon eine geringe Abtastfrequenz genüge, könnten bei Patienten nach Myokardinfarkt erst bei hoher Abtastfrequenz klare Resultate erstellt werden.
Würden wiederum Diagnosebilder durch Komprimierungsverfahren sehr verändert, seien sie medizinisch nicht mehr nutzbar. Solche Daten von Arzt zu Arzt zu senden, erübrige sich. "Wenn wir eine digitale Infrastruktur haben wollen, brauchen wir verwendungsfähige digitale Daten", betonte Malberg. Derzeit gebe es keine Standards dafür, mit welcher Abtastfrequenz ein EKG gemessen oder in welcher Auflösung eine Bildinformation gespeichert werde.
Das sei aber erforderlich, wenn das Teilen diagnostischer Daten Versorgungsalltag werden solle. Sonst erstelle am Ende womöglich wieder, wie heute noch oft üblich, jeder Arzt seine eigene diagnostische Aufnahme.