Vor dem Ruhestand ins MVZ
Kein Weg für den raschen Ausstieg
Kurz vor dem Ruhestand wenige Monate in ein MVZ - und so die Konkurrenz um die Nachbesetzung umgehen? Das soll in Zukunft ein Ende haben: Das Bundessozialgericht gibt jetzt eine mindestens dreijährige Frist vor.
Veröffentlicht:KASSEL. Ärzte können ihren Vertragsarztsitz künftig nicht mehr direkt vor ihrem Ruhestand an ein MVZ abgeben. Wie der Vertragsarztsenat des Bundessozialgerichts (BSG) in seiner jüngsten Sitzung "für die Zukunft klarstellt", muss ein Arzt seinen Sitz für zunächst mindestens drei Jahre in das MVZ einbringen, ehe das MVZ ihn frei nachbesetzen kann. Davon kann es wohl Ausnahmen aus unvorhergesehenen Gründen geben.
Am Anfang muss aber zumindest die "Absicht" einer dreijährigen Tätigkeit im MVZ gestanden haben. Dabei leiteten die Richter aus den Regelungen des Versorgungsstärkungsgesetzes ab, dass drei Jahre nach Überzeugung des Gesetzgebers eine geeignete Frist sind, um Missbrauch zu verhindern.
Zur Begründung betonte der Senat, die Möglichkeit, einen Vertragsarztsitz in ein MVZ einzubringen, sei als Wahlmöglichkeit für aktive Ärztinnen und Ärzte gedacht, künftig angestellt statt freiberuflich zu arbeiten, nicht jedoch als Möglichkeit, aus dem Berufsleben auszuscheiden.
Zulassungsgremien umgehen
Hintergrund ist die bisherige Praxis, wonach Ärzte vor ihrem Ruhestand oft nur wenige Monate in einem MVZ arbeiten. Damit kann das MVZ die Konkurrenz um die Nachbesetzung umgehen. Zwar kann sich auch ein MVZ regulär um die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes bewerben, muss sich dann bei den Zulassungsgremien aber gegen Ärzte durchsetzen, die den Sitz in einer Einzelpraxis fortführen wollen.
Bereits bestandskräftige Anstellungsgenehmigungen sollen von der neuen Rechtsprechung unberührt bleiben. Nach dem Urteil dürfen dem MVZ beigetretene Ärzte zudem ihre Tätigkeit schrittweise im Umfang von einer Viertel-Stelle pro Jahr reduzieren. Will das MVZ später eine ganze Stelle nachbesetzen, muss ein Arzt aber auch zunächst voll dort gearbeitet haben.
Hatte ein Arzt zuvor auf eine Viertel-Stelle verzichtet, kann das MVZ dann auch nur eine Dreiviertel-Stelle nachbesetzen, urteilte das BSG.
Für die Nachbesetzung einer Viertel-Stelle im MVZ greift nicht die sonst übliche Sechsmonatsfrist. Nach einem weiteren aktuellen Urteil muss sich das MVZ aber innerhalb eines Jahres "ernsthaft" um eine Nachbesetzung bemühen. Andernfalls geht das Nachbesetzungsrecht verloren.
Aufregung in MVZ-Kreisen
In MVZ-Kreisen sorgt das aktuelle Urteil für Aufregung. Obgleich die schriftliche Urteilsbegründung noch gar nicht vorliegt, haben einige Zulassungsgremien bereits umgehend reagiert. Die „Ärzte Zeitung“ konnte Schriftwechsel einsehen, laut denen KVen und Zulassungsgremien schon jetzt auf die neue Rechtsprechung abstellen und Ärzten das Nachsehen geben, die ihre Sitze kurzfristig in ein Medizinisches Versorgungszentrum einbringen wollen.
Bislang dauert nach Aussage von Branchenkennern die MVZ-Mitarbeit ausscheidender Vertragsärzte meist zwischen drei und sechs Monaten. Offenbar adaptiert das Bundessozialgericht jetzt einen Aspekt der mit dem Versorgungsstärkungsgesetz eingeführten neuen Regeln zur Praxisabgabe auf MVZ: Demnach sind auch in überversorgten Gebieten Nachbesetzungsverfahren dann durchzuführen, wenn ein potenzieller Praxisnachfolger zuvor „mindestens drei Jahre lang“ als angestellter Kollege oder BAG-Partner in der Praxis mitgearbeitet hat (§103 Abs. 3a SGB V).
Eine Praxisabgabe, wie sie in der Vergangenheit mittels Umwandlung der Zulassung eines Niedergelassenen in eine MVZ-Anstellung gar nicht so selten war, wird nach dem BSG-Urteil künftig um vieles aufwendiger. MVZ müssten Expansionsvorhaben längerfristig planen. Und für Praxisinhaber wäre ein relativ bequemer Exit – noch kurz vor dem Ruhestand und am Zulassungsausschuss vorbei – versperrt. „Diese Entscheidung bringt für die Anstellungsumwandlung erhebliche Risiken. Eine Nachbesetzung vor Ablauf des 3-Jahres Zeitraums kann von den Zulassungsgremien zunächst abgelehnt werden, womit die Arztstelle schlicht wegfällt – ohne Entschädigung, wie sie bei der Versagung der Ausschreibung zur Nachbesetzung erfolgen würde“, kommentiert Markus Henkel, Fachanwalt für Medizinrecht aus München, das BSG-Urteil.
„Der Vortrag, dass eine Nachbesetzung der Anstellung ausnahmsweise doch zulässig sein soll, obliegt dann dem anstellenden MVZ“, so Henkel weiter. Nach Ansicht des Bundesverbands der Medizinischen Versorgungszentren (BMVZ) bremst die BSG-Entscheidung die politische Absicht aus, MVZ zu stärken, etwa als Versorgungsoption in ländlichen Regionen. Der Verband wertet das Urteil als „MVZ feindlich“ und fordert eine Klarstellung des Gesetzgebers. Eine endgültige Bewertung könne jedoch erst nach Veröffentlichung der Urteilsbegründung vorgenommen werden, heißt es.