Viel diskutiert

Wird MVZ-Gründung nun massiv erschwert?

Ein neues Urteil, das die MVZ-Gründung mittels Verlegung von Arztanstellungen untersagt, sorgt für Diskussionen: Kürzlich analysierten wir an dieser Stelle das Urteil aus MVZ-Perspektive. Heute werden die Implikationen für BAG und Einzelpraxen unter die Lupe genommen.

Von Thomas Willaschek Veröffentlicht:
Ein MVZ nur mit der Zulassung des Praxisinhabers aus dem vorhandenen Mitarbeiterstamm heraus gründen? Bisher war das möglich. Doch ein neues BSG-Urteil könnte diesen Weg jetzt versperren.

Ein MVZ nur mit der Zulassung des Praxisinhabers aus dem vorhandenen Mitarbeiterstamm heraus gründen? Bisher war das möglich. Doch ein neues BSG-Urteil könnte diesen Weg jetzt versperren.

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Für MVZ-Gründer könnte ein kürzlich ergangenes Urteil des Bundessozialgerichts (Az.: B 6 KA 38/16 R) ungeahnte Risiken und Nebenwirkungen bergen: Vertragsärzte mit angestellten Ärzten – egal ob in Einzelpraxis oder BAG – können womöglich ihre Praxen nicht mehr relativ unkompliziert in ein Medizinisches Versorgungszentrum umwandeln.

Laut BSG kann nämlich "durch die Verlegung von Arztanstellungen (…) kein neuer zusätzlicher Zulassungsstatus" begründet werden. Das könnte bedeuten: Wer den Angestellten braucht, um die sonstigen Voraussetzungen zur MVZ-Gründung – insbesondere "zwei Köpfe" – zu erfüllen, kann künftig nicht mehr so einfach gründen.

Bisher funktioniert das wie folgt: Paragraf 24 Absatz 7 der Ärzte-Zulassungsverordnung lautet: "Der Zulassungsausschuss darf den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes nur genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Entsprechendes gilt für die Verlegung einer genehmigten Anstellung." Eine Zulassung darf also verlegt werden, wenn die Versorgung nicht beeinträchtigt wird.

Was genau für eine Anstellungsgenehmigung gilt ("entsprechendes"), ist allein nach dem Wortlaut nicht ganz klar. Die Auslegung hat der Gesetzgeber praktischerweise selbst vorgenommen.

Er schreibt in der Gesetzesbegründung: "Mit der Ergänzung in Absatz 7 wird sichergestellt, dass MVZ bei Zulassung und Betrieb nicht gegenüber Vertragsärztinnen und Vertragsärzten benachteiligt werden. (…) Daher wird die Verlegung einer Anstellungsgenehmigung von einem MVZ in ein anderes MVZ (in gleicher Trägerschaft oder bei Identität der Gesellschafter) geregelt."

Keine Hilfe im Sozialrecht

Es gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz: Vertragsärzte dürfen, was MVZ dürfen. Und wenn der Betreiber mehrerer MVZ einen angestellten Arzt von einem MVZ ins andere verlegen darf, dann muss ein Vertragsarzt seinen Angestellten auch aus seiner Praxis in sein MVZ verlegen dürfen.

Und das hieß bisher auch: In sein MVZ, das durch Verzicht auf die eigene Zulassung und Übertragung eben jenes Angestelltensitzes erst zugelassen wird.

Das BSG entschied nun über den Antrag des MVZ-Betreibers, der mit einem Teil der Arztstellen aus einem großen MVZ ein neues MVZ an anderer Stelle gründen wollte. Das Gericht lehnte dies ab und führt aus, Wortlaut, systematische Stellung und Entstehungsgeschichte des § 24 Abs. 7 Satz 2 Ärzte-ZV böten keine Grundlage dafür, durch die Verlegung von Arztanstellungen einen neuen zusätzlichen Zulassungsstatus zu begründen – mithilfe der Anstellungsgenehmigungen dürfe also kein neues MVZ gegründet werden.

Und das, obwohl der Gesetzgeber in der Begründung neben dem "Betrieb" ausdrücklich auch die MVZ-"Zulassung" erwähnte. Deshalb spricht sehr viel dafür, dass er die Verlegung von Angestelltensitzen gerade auch erlauben wollte, um MVZ-Gründungen zu ermöglichen.

Wenn das, was MVZ-Betreibern laut BSG-Urteil verboten ist, auch Vertragsärzten verboten sein sollte – die Urteilsbegründung liegt ja noch nicht vor –, würde die Umwandlung von Praxen zu MVZ massiv erschwert. § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV fiele als eine Rechtsgrundlage zur MVZ-Gründung weg.

SGB bietet zwei Möglichkeiten, um Arztsitze zu erhalten

Und das Sozialgesetzbuch V regelt den direkten Übergang von Anstellungsgenehmigungen ins MVZ nicht. Um Arztsitze zu akquirieren, bietet das SGB V nur zwei Möglichkeiten: Den Verzicht auf die Zulassung zur Anstellung im MVZ, oder dass ein MVZ in einem Nachbesetzungsverfahren um eine ausgeschriebene Praxis den Zuschlag erhält. In beiden Fällen wird eine Zulassung – und keine Anstellungsgenehmigung – überführt.

Eine Anstellungsgenehmigung müsste in der Konsequenz des BSG-Urteils also immer zunächst in eine Vertragsarzt-Zulassung umgewandelt werden, um dann die beschriebenen Optionen zu nutzen. Mit diesem Prozedere sind große rechtliche Schwierigkeiten verbunden.

Angestellte Ärzte, die zur Gründung eines MVZ aus einer Praxis "verlegt" werden sollen, müssten zwischenzeitlich mindestens ein Quartal selbstständig in eigener Praxis tätig werden. Das wollte der Gesetzgeber nicht. Deshalb hat er § 24 Abs. 7 Satz 2 Ärzte-ZV ("Entsprechendes gilt für die Verlegung einer genehmigten Anstellung") eingefügt.

Verschließt das Bundessozialgericht erneut den MVZ insgesamt eine Tür? Oder wollte es nur die Filialisierung großer MVZ-Betreiber verhindern? Denn so ein Sachverhalt lag dem fraglichen Urteil zugrunde. Klarheit wird voraussichtlich erst das schriftliche Urteil bringen.

Bestätigt das BSG seine Pressemitteilung in den Urteilsgründen, geraten alle MVZ-Projekte in Gefahr, bei denen die zur Verfügung stehenden Zulassungen zur Gründung nicht ausreichen. Das wird der Fall sein, wenn eine Einzelpraxis mit angestellten Ärzten umgewandelt werden soll.

Denn für die Gründung werden mindestens zwei Köpfe mit jeweils hälftigem Versorgungsauftrag – nach BSG nun: hälftiger Zulassung! – benötigt. Verlangt der Zulassungsausschuss, wie etwa in Brandenburg, sogar zwei volle Versorgungsaufträge, können auch BAG betroffen sein.

Probleme für Einzelpraxen

Die Konsequenzen wären weitreichend: Jeder Vertragsarzt müsste künftig vor der Beantragung seiner ersten Anstellungsgenehmigung entscheiden, ob er nicht irgendwann ein MVZ gründen möchte – im Zweifel müsste er sofort gründen.

Ein echtes Problem hätten Praxisinhaber, die im Laufe der Zeit bereits mehrere Anstellungsgenehmigungen erhalten haben – eine weitere Expansion unter dem Dach eines MVZ wäre ihnen unmöglich. Das erscheint nicht sachgerecht. Abhilfe könnte erst wieder der Gesetzgeber schaffen.

Was tun? Wer jetzt weiß, dass er in absehbarer Zeit ein MVZ gründen will, kann seine Aussichten durch Zuwarten kaum bessern. Idealerweise sollte, wenn das Urteil vorliegt, der Antrag auf Zulassung des MVZ vom Zulassungsausschuss schon beschieden sein.

Dr. Thomas Willaschek ist Fachanwalt für Medizinrecht und Partner der DIERKS + BOHLE Rechtsanwälte in Berlin.

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