Selfie, Server, Service

Die Arztpraxis der Zukunft ist digital und gut vernetzt

Was macht eine moderne Arztpraxis eigentlich anders als andere Arztpraxen? Drei Beispiele zeigen: Ohne speziell qualifiziertes Personal und elektronische Unterstützung geht es in Zukunft nicht mehr, wenn Ärzte Erfolg haben wollen.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:

Die Voraussetzungen sind denkbar unterschiedlich, und doch haben diese Ärzte eines gemeinsam. Dr. Jan Purr, Hausarzt in einer strukturschwachen Region in Nordhessen, Dres. Susanne Brenner und Oliver Frey, ebenfalls Hausärzte aber aus dem gut versorgten Saarbrücken-Dudweiler und Woo-Ttum Bittner, Kieferorthopäde in Berlin haben sich mit ihren Praxiskonzepten auf den Weg in die Zukunft der ambulanten Versorgung gemacht.

Während bei Hausarzt Purr die Modernisierung des Praxiskonzeptes aus der Not geboren ist, hat sie für die beiden anderen Praxen große Bedeutung, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Bei allen Unterschieden haben die drei Konzepte jedoch manches gemein: Kooperation und moderne Informationstechnik sind unabdingbare Bedingungen für die moderne Arztpraxis. Ein wiedererkennbares Erscheinungsbild nach außen hin kommt meist noch dazu.

Auf eine starke Marke setzt zum Beispiel die hausärztliche Gemeinschaftspraxis der Dres. Brenner und Frey in Saarbrücken-Dudweiler. Die Allgemeinmedizinerin und der Hausarztinternist haben sich 2014 zusammengetan, die Praxis eines alten Arztehepaars übernommen und auf Vordermann gebracht. Mit im Boot sind auch ihre Ehepartner. Katrin Frey ist als Volljuristin zuständig für alle rechtlichen und Vertragsangelegenheiten und kennt sich zudem mit Privatabrechnungen aus. Patric Brenner ist der Marketing- und IT-Experte. Ihm verdankt die Gemeinschaftspraxis ihr hellgrünes Erscheinungsbild, das die gemeinsame Vision der beiden Hausärzte von einer "modernen Arztpraxis mit Wohlfühlcharakter" visualisieren soll.

Wahlmöglichkeiten für Patienten

"Im Zentrum steht das Motto: Sie haben die Wahl", sagt der Internist Frey. Wählen können Patienten zum Beispiel zwischen Arzt und Ärztin, zusätzlichen Wahlleistungen, Hausbesuch und Praxissprechstunde in zwei Standorten mit 15 Kilometern Abstand. Beide Praxen sind mit der gleichen Technik ausgestattet. Dabei setzt das Hausärzte-Team auf Mac-Rechner und das applebasierte PVS-System tomedo. Für das Praxispersonal sind drei Funktionsbereiche festgelegt: Das Praxismanagement umfasst Organisation, KV-Abrechnung und Bestellungen. Zur Administration gehören Ablauforganisation und Praxisansprechpartner an den Standorten, und die nichtärztliche Praxisassistentin (NäPA) ist im grünen Praxis-Smart unterwegs zu Patienten in Pflegeheimen und zu Hause. Mit an Bord: Das iPhone, mit dem sie per Videoanruf via Facetime von unterwegs Echtzeitrückfragen bei den Ärzten stellen kann.

Hinter der grünen Kulisse arbeitet ein umfassendes Controlling. Ein eigener Call-Center-Agent kümmert sich um die vielen Anrufe. Von einer Onlineterminvergabe wurde abgesehen, denn es gibt kaum freie Termine.

"Wenn irgendwo etwas Grünes in Dudweiler hervortritt, ordnet man es uns zu", sagt Frey nicht ohne Stolz. Über Facebook, Jameda und Google+ versucht die Praxis, auch jüngere Patienten zu erreichen. "Neuestes Produkt", so Allgemeinärztin Brenner, ist eine individuelle Notfallkarte.

Auch in Nordhessen wird an der Versorgung der Zukunft gefeilt: Allgemeinarzt Purr hat sich mit einigen anderen Hausärzten in der Region zu einer Partnerschaftsgesellschaft zusammen geschlossen. Zwei Senior- und vier Juniorpartner behandeln im Gesundheitszentrum Gelstertal gemeinsam 8000 Patienten pro Quartal mit einem Durchschnittsalter von 57 Jahren. Mit dieser Institution ist Purr kein Unbekannter. Zusammen mit seinen Partnern hat er 2012 den Praxis-Preis von UCB Innere Medizin und der Verlagsgruppe Springer Medizin jährlich ausrufen.

An drei Standorten bringen sie es zusammen pro Jahr auf stattliche 23.000 Patientenkontakte. Diese Menge ist nur zu bewältigen, weil weitergebildete Medizinische Fachangestellte die Ärzte unterstützen. Vor allem bei Hausbesuchen und bei der Betreuung der Patienten in Pflegeheimen können die Praxisassistentinnen und Krankenschwestern mit Zusatzqualifikation die Ärzte entlasten. Rund 250 Hausbesuche unternehmen sie pro Quartal in drei Autos, die mit dem Logo des Gesundheitszentrums gelabelt sind.

Flache Hierarchien herrschen im Gesundheitszentrum Gelstertal nicht nur zwischen Ärzten und arztentlastenden Kräften. Jeder Mitarbeiter hat dort seinen klar umrissenen Aufgabenbereich. An jedem Standort ist eine Praxismanagerin zuständig für Rezepte, lokale Organisation und Patientenverwaltung.

Vernetzung über Zentralserver

Controlling, Chronikererfassung, Sonderverträge, Termine, Fortbildung, Urlaubsplanung und Standortkoordination laufen in Purrs Büro zusammen. Vernetzt sind die Praxen über einen Zentralserver. "Das funktioniert gut, aber wenn es nicht funktioniert, sind drei Praxen sofort lahm gelegt", sagt Purr. Sein Problem mit Software und IT für die Arztpraxis: "In unserer Größe sind die meisten Anbieter einfach überfordert." Er beklagt, dass die Mitarbeiter und Ärzte sich mit einer Vielzahl von Systemen auseinandersetzen müssten. "Wir kommen im Augenblick an einem Flickenteppich nicht vorbei", so Purr. Als Fortschritt wertet er, dass es für den Datenaustausch mit dem regionalen Krankenhaus nun ein Arztportal gebe. Das Besondere: Seit 2012 gehört ein eigener Pflegedienst zum Gesundheitszentrum. Dafür haben sich die Ärzte "aus versorgungstechnischen Gründen" entschieden, wie Purr berichtet. Der Pflegedienst ist unabhängig, Purr jedoch der Chef der rund 30 Mitarbeiter. Für den Hausarzt ist das "Delegation weitergedacht".

Auch der Berliner Kieferorthopäde Woo-Ttum Bittner will seinen Patienten moderne Versorgung bieten: Statt herkömmliche Kieferabdrucke zu nehmen und Zahnspangen von Hand zu biegen setzt sein Unternehmen schon seit mehr als zehn Jahren auf die digitale Behandlungstechnik Suresmile. Dabei werden die Patienten gescannt und Roboter biegen die Drähte für die festen Spangen. Mit diesem kundenfreundlichen Angebot setzt sich die Marke Adentics – Die Kieferorthopäden von vielen Mitbewerbern in der Hauptstadt ab und macht zugleich ihre Standortnachteile in der Peripherie Berlins wett.

"Megatrend im Megatrend"

Bittner bezeichnet Adentics als digitale Praxis und sich selbst als Geschäftsführer. "Digitalisierung ist der Megatrend im Megatrend Gesundheit", sagt der Berliner Kieferorthopäde, der inzwischen einen Betrieb mit knapp 100 Mitarbeitern, darunter 14 Ärzte, an mehreren Standorten leitet. Alle Mitarbeiter haben einen eigenen Outlook-Account, ein eigenes Telefon und einen Chip zur Arbeitszeiterfassung. Das Unternehmen ist auch auf der Social-Media-Plattform Facebook präsent. "Digitalisierung ist im Sinne von Qualitätsmanagement für den Patienten sehr gut, denn der Patient kann sofort seine Meinung abgeben", sagt Bittner. Digitalisiert ist bei Adentics unter anderem auch der Einkauf. Mit einem Strichcodeleser erfasst das Programm Wawibox die Ausgänge aus dem Warenbestand und setzt sie auf eine Einkaufsliste. Außerdem können Patienten Termine online buchen. Das hat Bittner zufolge dazu geführt, dass die Noshows in der Praxis um 20 bis 30 Prozent zurückgegangen sind.

Die digitale Behandlungstechnik erlaubt zudem eine telemedizinische Betreuung der Patienten. Die Patienten schicken dann im Zwei-Wochen-Takt Selfies, damit der Arzt entscheidet, wann die Spange nachjustiert werden muss. So betreut Bittner nach eigenen Angaben derzeit einen Patienten in Neuseeland, und er hat auch schon vom Dach des Marina Bay Sands Hotels in Singapur aus Patienten betreut. Bitters Tipp: "Das Geheimnis ist der richtige IT-Support."

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