Stressfaktor Klinik-Bürokratie
Bonbons statt Pillen
Die Bürokratie begleitet Ärzte im Alltag auf Schritt und Tritt. Fast die Hälfte sowohl der leitenden Klinikärzte als auch der Praxischefs identifiziert die Dokumentationsanforderungen als Hauptursache für belastenden Stress im Versorgungsalltag.
Veröffentlicht:HAMBURG. Eine aktuelle Befragung von ambulant und stationär tätigen Ärzten im Auftrag des privaten Krankenhausbetreibers Asklepios könnte die Diskussion um Bürokratieabbau wieder befeuern. Laut der nicht-repräsentativen, aber aussagekräftigen Online-Befragung von Klinik- und niedergelassenen Vertragsärzten empfindet jeder vierte Arzt das Stresslevel während eines durchschnittlichen Arbeitstages als hoch, nur acht Prozent empfinden es als moderat und zwei Drittel als mittelhoch. Während dieser Wert bei Klinik- und Praxisärzten gleich bleibt, gibt mit 28 Prozent ein höherer Anteil im Krankenhaus einen hohen Stresslevel an als in der Praxis (22 Prozent). Auch wird er in der Klinik mit 43 Prozent deutlich häufiger als negativ empfunden als in einer Praxis (32 Prozent). An der Online-Befragung nahmen insgesamt 162 Ärzte aus Krankenhäusern unterschiedlicher Trägerschaft und Praxen in ganz Deutschland teil.
Hauptverursacher von Stress sind "zu viel Bürokratie/Dokumentationspflichten", "Arbeitsverdichtung" und "zu wenig Zeit pro Patient" vor "keine Zeit für Pausen" und "Druck zur Wirtschaftlichkeit". Am wenigsten beeinträchtigen "häufige Wechsel im Kollegium", "Personalmangel" und "Druck durch Vorgesetzte, Therapien durchzuführen".
Angestellte Ärzte sind entspannter
Speziell noch wenig erfahrenere Ärzte stressen die heutigen Dokumentationspflichten (58 Prozent), bei leitenden Ärzten sind es 46 Prozent, ebenso wie bei Praxisinhabern. Nur Angestellte Ärzte in der Praxis sehen das mit 28 Prozent völlig anders, dafür belastet sie mit 44 Prozent zu wenig Zeit pro Patient am meisten. Gerade junge Ärzte in der Klinik empfinden das Stresslevel als hoch und den Stress als negativ.
Nach den Dokumentationspflichten kommen die mit Zeitmangel verbundenen Faktoren besonders zum Tragen: Arbeitsverdichtung, zu wenig Zeit pro Patient und keine Zeit für Pausen. Wenig überraschend, dass gerade Ärzte mit einem hohen Stresslevel und überwiegend negativem Stress sich am meisten mehr Zeitreserven wünschen als Puffer für Unvorhergesehenes und Notfälle.
Mehr Spielraum, weniger Stress
Als Zweites steht mehr Familienfreundlichkeit auf der Wunschliste, gefolgt von mehr Möglichkeiten, Aufgaben zu delegieren, und mehr kollegiale Supervision und Beratung. Mit 86 Prozent ist eine große Mehrheit der Meinung, dass mehr Entscheidungsspielräume den negativen Stress vermindern, und 80 Prozent sehen Weiterbildungen als Entlastung an, weil sie sich vom zusätzlich erworbenen Wissen versprechen, sicherer und effektiver zu arbeiten.
Assistenzärzte besonders sensibel
Rund ein Drittel der Ärzte leidet laut Umfrage aufgrund von negativem Stress "regelmäßig" oder "häufig" unter körperlichen Symptomen wie Kopf- oder Rückenschmerzen, Migräne, Schlafstörungen, Ohrgeräuschen/Hörsturz, Herz-Kreislauf- oder Magen-Darm-Problemen oder Hauterkrankungen. Das ist zwar deutlich weniger als bei Pflegekräften, wo es mindestens jede Zweite ist, aber dennoch eine bemerkenswert hohe Quote. Mit 22 Prozent gibt gut jeder fünfte Arzt an, regelmäßig oder häufig psychische Beschwerden wie Niedergeschlagenheit, Konzentrationsprobleme, Nervosität und Unruhe, Ängste und Panikattacken aufgrund von negativem Stress zu verspüren. Dabei sind die Assistenzärzte mit 47 Prozent bei körperlichen und 32 Prozent bei psychischen Beschwerden besonders stresssensibel. Wird ein hohes Stresslevel erlebt, bei dem zudem der negative Stress überwiegt, kommt es besonders häufig zu eigenen Beschwerden.
"Das sind Ergebnisse, die nachdenklich machen und zeigen, wie sehr und warum gerade junge Ärzte und Berufsanfänger in deutschen Kliniken unter Druck stehen", kommentiert Dr. Thomas Wolfram, Konzerngeschäftsführer der Asklepios Kliniken, die Umfrageergebnisse. "Bürokratie und zunehmender Dokumentationszwang lassen den Kollegen immer weniger Zeit, ihrer eigentlichen Arbeit, dem Dienst am Patienten, nachzugehen", so Wolfram weiter.
Während der Arbeit helfen der Hälfte der Ärzte kurze Gespräche mit Kollegen, 43 Prozent greifen zu Süßigkeiten oder Snacks und 39 Prozent lesen oder surfen im Internet. Mit jeweils sechs Prozent greift nur eine Minderheit im Extremfall zu einem Medikament oder macht eine Zigarettenpause.
Gut jeder zweite Klinikarzt berichtet über mindestens ein Angebot seines Arbeitgebers zur Entspannung und Stressverarbeitung. So hätten 14 Prozent eine Kooperation mit einem Sportverein oder einem Sportstudio, genauso viele böten Kurse zur Entspannung an. Jeweils zwölf Prozent offerierten Fitnesskurse oder Betriebssport. Knapp jeder zweite Arzt nutze auch eines dieser Angebote.