Hygiene
Wie Mikroben ein neues Krankenhaus besiedeln
In den Kliniken Europas sterben im Jahr hochgerechnet 91.000 Patienten an Krankenhausinfektionen. An mangelnder Hygiene muss das nicht immer liegen. Denn selbst Klinikneubauten werden schnell von Mikroben besiedelt, wie US-Forscher beobachteten.
Veröffentlicht:CHICAGO. US-Forscher haben die Besiedlung einer neuen Klinik durch Mikroorganismen dokumentiert. In dem Krankenhaus sei vor der Eröffnung eine relativ geringe Vielfalt an Bakterien gefunden worden, sagte Jack Gilbert, Direktor des Mikrobiom-Zentrums an der Universität von Chicago, laut Mitteilung. "Als allerdings Patienten, Ärzte und Pfleger einzogen, übernahmen die Bakterien ihrer Haut." Die Aufnahme jedes einzelnen Patienten änderte die Zusammensetzung der Mikroorganismen in dessen Zimmer, wie die Wissenschaftler um Gilbert im Fachblatt "Science Translational Medicine" schreiben. Das Team nahm über einen Zeitraum von zwölf Monaten immer wieder Proben in einer neu eröffneten Klinik.
Hilfe bei Eindämmung erhofft
Jedes Jahr infizieren Krankenhauskeime weltweit Millionen Menschen, teilweise mit tödlichen Folgen. Allein in den Kliniken Europas sterben laut einer Studie aus dem vergangenen Jahr hochgerechnet 91 000 Patienten pro Jahr an Krankenhausinfektionen. Die Forscher gehen von insgesamt 2,6 Millionen Infektionen aus, die sich Patienten erst in einer Klinik zuziehen. Zu den häufigsten Infektionen dieser Art gehören Pneumonien, Sepsis, Harnwegs- und Wundinfektionen, wie die Forscher in "Plos Medicine" berichten.
Für Deutschland schätzt Professor Petra Gastmeier, Direktorin des Nationalen Referenzzentrums zur Überwachung von Krankenhausinfektionen an der Berliner Charité, die Zahl der Krankenhausinfektionen pro Jahr auf rund 500.000. Dadurch kommt es geschätzt zu bis zu 15.000 Todesfällen. Ein Drittel der Krankenhausinfektionen gilt als vermeidbar – zum Beispiel durch bessere Hygiene. Die Ergebnisse der Untersuchung aus den USA könnten helfen, gefährliche Keime, die in Kliniken im Umlauf sind, einzudämmen. Die US-Forscher untersuchten, welche Faktoren die Zusammensetzung der Mikroben beeinflussen, wie diese sich über die Zeit entwickeln und wie sie sich ausbreiten.
Die Universität von Chicago eröffnete 2013 ein neues "Center for Care and Discovery". Dort fanden die Forscher ideale Bedingungen für ihre Arbeit vor: Sie konnten schon zwei Monate vor Aufnahme des Klinikbetriebs mit ihren Untersuchungen beginnen. Die Wissenschaftler nahmen über einen Zeitraum von zwölf Monaten mehr als 10.000 Proben – in zehn Patientenzimmern, einer Pflegestation für Krebskranke und einer für Patienten der Chirurgie.
Keine lange Verzögerung
Die Biologen und Mediziner machten Abstriche von den Händen, aus der Nase sowie den Achseln der Patienten ebenso wie von den Oberflächen, welche sie berührt hatten – dazu gehören die Bettgitter und die Armaturen in den Bädern. Hinzu kamen Proben vom Boden der Zimmer und den Luftfiltern. Auch das Pflegepersonal wurde gründlich untersucht. Dabei stellten die Forscher fest, dass sich unmittelbar nach Beginn des Klinikalltags Mikroben wie Corynebakterien, Staphylokokken und Streptokokken ausbreiteten.
Die Aufnahme jedes neuen Patienten veränderte zudem die Zusammensetzung der Bakterien in seinem Zimmer. "Innerhalb von 24 Stunden übernahm das Mikrobiom des Patienten den Krankenhausraum", sagte Gilbert. Als Mikrobiom wird die Gesamtheit aller Mikroorganismen bezeichnet, die den Menschen oder andere Lebewesen besiedeln. Die Wissenschaftler fanden zudem heraus, dass das Personal in den wärmeren Monaten verstärkt Bakterien austauschte.
Die Forscher nahmen 92 Patienten unter die Lupe, die über längere Zeit in dem Krankenhaus waren. Bei ihnen wurden potenziell schädliche Bakterien wie Staphylococcus aureus und Staphylococcus epidermidis gefunden, die mit der Zeit Gene entwickelten, welche Resistenzen gegen Antibiotika fördern und Infektionen begünstigen können. Vor allem Staphylococcus aureus ist in seiner multiresistenten Form als Klinikkeim MRSA bekannt und gefürchtet: Er ist für etwa 30 Prozent aller Klinikinfektionen verantwortlich.
Welche Maßnahmen nun sinnvoll sein könnten, um die Ausbreitung der gefährlichen Keime zu verhindern, wird in der Veröffentlichung noch nicht diskutiert. (dpa)