Folge 10
Lange Wertberechnungen ohne echten Gewinner
Der Praxiswert ist in einem Ausgleichsverfahren für den Zugewinn eine wichtige Komponente. Doch die korrekte Rechnung ist alles andere als einfach.
Von Günther Frielingsdorf
Die Konstellation: Eine solche Wende im Leben ist wirklich bitter: Die Praxis läuft gut, die Schulden für erste größere Anschaffungen sind fast zurückgezahlt, dann kommt die Ehescheidung. Bei der Aufteilung des Zugewinns ist die Ermittlung des Praxiswerts - wenn er nicht im Ehevertrag ausdrücklich ausgeschlossen worden ist - eine hochkomplexe Angelegenheit. Wer eine rechtssichere, faire Regelung erreichen will, sollte die Berechnung von einem Experten machen lassen. Denn viele Faktoren spielen für den Praxiswert eine Rolle: Welcher Anteil des Wertes ist an die Person des Arztes gebunden? Auch die zu erwartende Entwicklung des Honorars, nicht nur die Entwicklung bis zur Gegenwart, spielt eine Rolle.
In Zugewinnausgleichsrechnungen ist immer auf den jeweiligen Stichtag, das ist in der Regel der Zustellungszeitpunkt der Scheidungsklage, abzustellen. Alle Informationen, die am Stichtag bekannt sind und Einfluss auf den Wert nehmen, müssen berücksichtigt werden. Das gilt auch für Veränderungen in der Zukunft, sofern diese schon am Stichtag, zum Beispiel aufgrund veränderter gesetzlicher Regelungen bekannt sind.
Der Fall: Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine sehr gut etablierte fachärztliche Einzelpraxis im Bereich der Gastroenterologie, in der der Praxisinhaber vor Ort und im weiten Umkreis eine dominierende Stellung einnahm. Außerdem waren aufgrund der gesetzlichen Neuregelungen zum RLV (Regelleistungsvolumen) zusätzliche Kürzungen vorzunehmen, weil die KV-Umsätze unmittelbar nach dem Stichtag rückläufig wurden. Zu berücksichtigen war auch der relativ hohe Umsatz mit Privatpatienten, so dass dadurch - im Gegensatz zu den Einnahmen aus kassenärztlicher Tätigkeit - die Umsätze auch wieder stabilisiert werden konnten.
Die RLV-Einführung drückte den erwarteten Umsatz
Der Praxisinhaber, Gastroenterologe, ist 52 Jahre alt. Die Praxis wurde mit Alleinstellungsmerkmal erst 1997 gegründet. Im Ehevertrag hatten es die Partner versäumt, die Praxis aus dem Zugewinnausgleich herauszunehmen. Der ursprüngliche Durchschnittsumsatz musste wegen der Einführung der RLV auf den "Übertragbaren Umsatz" am Stichtag reduziert werden. Er belief sich nach den vorgenommenen Kürzungen auf rund 475 000 Euro.
Die Kosten - in der Praxis aufgrund perfekter Praxisführung außerordentlich niedrig - mussten an die zukünftig erwirtschaftbaren Umsätze angepasst werden. Sie schlugen danach mit 226 500 Euro zu Buche, so dass der "Übertragbare Jahresgewinn" etwa 248500 Euro ausmachte. Stichtag war der 30. Juni 2009.
Der Goodwill wurde aufgrund differenzierter Berechnungen, zugeschnitten auf das Fach Innere Medizin, hier mit dem Fachbereich Gastroenterologie, mit 213 750 Euro berechnet, wobei alle auf den Goodwill Einfluss nehmenden Parameter einbezogen wurden, darunter, das Praxisspektrum/die Spezialisierung, die Fallzahlentwicklung, der Patientenstamm, die Lage der Praxis mit dem Einzugsbereich, die Verkehrsanbindung, das Mietverhältnis und letztlich auch die Gewinnentwicklung.
Ein Teil des Gewinns gilt jeweils als nicht übertragbar
Zuvor wurde der Gewinn bereits um jene "nicht übertragbaren" Anteile gekürzt, die auch unter dem Begriff "Individuelles Inhaberentgelt" bekannt sind. Sie werden über das Herausrechnen nicht übertragbarer Umsatz- und Gewinnanteile dezidiert erfasst. Dabei geht es letztlich darum, das herauszufiltern, was unmittelbar mit den hoch speziellen Fähigkeiten des aktuellen Praxisbesitzers zusammenhängt, die ein Nachfolger für sich nicht nutzen kann.
Der Goodwill wird dann noch um die Verkehrswerte des Sachanlagevermögens (Sachwert) ergänzt. Das Sachvermögen hatte nur noch einen Funktionalwert (Verkehrswert) von 42 175 Euro. Insgesamt machte der Praxiswert damit 255 925 Euro aus.
Die latente Steuerlast: Ebenfalls eine Rolle spielt die latente Steuerlast (vgl. Kasten links). Dazu hat der Bundesgerichtshof schon vor längerer Zeit ein Grundsatzurteil gefällt (BGH-Urteil 24.10.1990, Az.: XII ZR 101/89). Der Praxisinhaber hatte noch nicht das 55. Lebensjahr vollendet, so dass kein ermäßigter Steuersatz zum Ansatz kommen konnte. Die Berechnung erfolgte deshalb nach der so genannten Fünftelregelung.
Im hier vorgestellten Fall war es zum Beispiel so, dass die dominante Stellung der Praxis vor Ort mit teilweise nur dort vorgehaltenen Leistungen wertsteigernd wirkte. Wertmindernd wirkte, dass im Kassenbereich aufgrund sinkender RLV ein Umsatzrückgang zu erwarten war. Die hohe Zahl von Stammpatienten wirkte wertsteigernd, wobei mit einfließen sollte, inwieweit die Patienten an die Praxis oder an den Praxischef gebunden sind. Eine kosteneffiziente Praxisführung, die Personalstruktur der Praxis, eine gute Verkehrsanbindung, Zentrumslage, ein langfristiger Mietvertrag - auch diese Effekte wirkten wertsteigernd.
Der Gesamtwert der Praxis erfordert allerdings weitergehende Berechnungen, die auf der einen Seite in zusätzlichen Aktiva (Werte wie offene Forderungen), auf der anderen Seite auf bestehenden Passiva (Werte wie langfristige Bankdarlehen) beruhen müssen, sofern sie durch den Praxisbetrieb verursacht wurden. Denn auch sie zählen zu den Vermögenswerten, die beim Zugewinnausgleich eine Rolle spielen. Der errechnete Praxiswert wird in solchen Fällen vorgetragen und um Aktiva und Passiva ergänzt. Die Rechnung im konkreten Fall ist in der Tabelle dargestellt, gehört aber wegen der Kompliziertheit der weitergehenden Abgrenzungsrechnungen in die Hand eines erfahrenen Sachverständigen.
Am Ende zahlt ein Partner die Hälfte als Ausgleich
Nach den Berechnungen ergibt sich, dass in den Zugewinn eine Summe von 254 636 Euro geht, die gewöhnlich hälftig vom Ausgleichpflichtigen zu zahlen ist. Im vorliegenden Fall sind das rund 127 000 Euro.
Hat der/die Praxisinhaber(in) die Praxis mit in die Ehe gebracht, ist gleichermaßen der Wert zum 1. Stichtag (Tag der Eheschließung) zu berechnen. Damit ergibt sich ein Aufrechnungswert, der sowohl positiv wie auch negativ sein kann. Sicher positiv dürfte er dann sein, wenn zum 1. Stichtag die Verbindlichkeiten höher sind als der Wert, also wenn die Praxis im Aufbau war. Wenn der Wert zum zweiten Stichtag dagegen niedriger ist als zum Zeitpunkt der Eheschließung, ergibt sich aus dem Saldo auch kein Zugewinn.
Günther Frielingsdorf, Köln, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger
Wichtig für den Praxiswert: die latente Steuerlast | |
Anhand von Hochrechnungen wird die mögliche Steuerlast ermittelt. | |
Grunddaten Besteuerung nach § 34, Abs. 1 EStG |
Euro |
Praxiswert | 255.925,00 |
./. Buchwerte des Anlagevermögens | 6.900,00 |
= Außerordentliche Einkünfte | 249.025,00 |
+ zu versteuerndes Einkommen (zvE) | 312.100,00 |
= Fiktives zu versteuerndes Einkommen | 561.125,00 |
Die nachfolgenden Berechnungen sind kurzgefasst und beinhalten u. a. Folgendes: | |
1/5 der außerordentlichen Einkünfte | 49.805,00 |
Erhöhtes zu versteuerndes Einkommen | 361.905,00 |
Nach weiteren Berechnungen ergibt sich eine latente Steuerlast in Höhe von (incl. Soli und Kirchensteuer) | 119.750,00 |
Quelle:G. + O. Frielingsdorf & Partner, KölnTabelle: Ärzte Zeitung |
Diese Vermögenswerte fließen in den Zugewinn | ||
Der Praxiswert wird vorgetragen und ergänzt um Aktiva und Passiva | ||
Was? | Vermögen in m | Schulden in m |
Praxiswert | 255.925,00 | |
Kassenbestand | 75,00 | |
Bankguthaben Kreissparkasse | 123.710,00 | |
Materialbestand | s. Gutachten | |
Rückkaufswerte KapLV | 56.480,00 | |
Offene Forderungen KV | 49.776,00 | |
Offene Forderungen Privat | 17.820,00 | |
Bankverbindlichkeiten: - Kontokorrent 34.520 - Langfristig 84.200 |
118.720,00 |
|
Löhne und Gehälter (13. Gehalt) | 5.310,00 | |
Latente Steuerlast (siehe oben) | 119.750,00 | |
Lieferanten-Verbindlichkeiten | 2.370,00 | |
Zwischensumme | 503.786,00 | 246.150,00 |
Summe Zugewinn Praxis | 254.636,00 | |
Quelle: G. + O. Frielingsdorf & Partner, KölnTabelle: Ärzte Zeitung |